Nordwest-Zeitung

„Mao war für uns ein Heiliger“

Die -ldenburger­in Xiaoping Hu über ihre Kindheit in Rot-China

- VON ALEXANDER WILL

FRAGE: Sie sagen, es war vor wenigen Jahren in China liberaler als heute. Das ist erstaunlic­h… Wie kommen Sie zu dieser Diagnose?

XIAOPING HU: Vor zehn oder 15 Jahren unter Jiang Zemin und in den 80er Jahren unter Deng war es relativ liberal. Das betrifft die Presse oder die Literatur. Aber jetzt hat Xi Jinping ja sogar die Verfassung geändert und die zeitliche Begrenzung der Amtszeit abgeschaff­t. Das ist für China nicht gut. Auch die Presse wird sehr streng behandelt. Es wird alles sehr stark kontrollie­rt. Als wir kürzlich in China waren, sahen wir überall Kameras, und es wird überall sehr viel Polizei eingesetzt.

FRAGE: Wie empfinden Sie das? Und wie kommt es, dass sich die Dinge wieder zurück zum )utorit*ren entwickeln? XIAOPING HU: Ich fühle mich in China nicht mehr so wohl wie noch vor zehn oder 15 Jahren. Die Welt – besonders der Westen – hat nach der wirtschaft­lichen Liberalisi­erung politische Reformen erwartet. Aber dabei wurde eines übersehen: China wird von der kommunisti­schen Partei regiert, und die will die ganze Macht. Das ist ein Konflikt zwischen Ideologie und freier Wirtschaft. Wenn die Wirtschaft wächst, wird die Mittelschi­cht stark. Die wiederum versucht, ihre eigenen Ansichten zu äußern und politisch Einfluss zu gewinnen. Das hat die Kommunisti­sche Partei nicht gern. Es gibt jetzt eine dünne Schicht, vielleicht 100 Familien, die sind sehr privilegie­rt. Sie haben sehr viel Geld. Aber die Kluft zwischen Reichtum und Armut wird immer größer. FRAGE: +st China nun noch ein kommunisti­sches 1and? XIAOPING HU: Nein. Es sind nur einige Familien, die herrschen. Es bleibt beim autoritäre­n Staat. Die Frage ist ja: „Was ist Kommunismu­s?“Heute ist für mich die Antwort in China darauf eine Lüge. Es ist nicht mehr das, wovon ich als Kind geträumt habe. FRAGE: Was war denn für Sie damals 2ommunismu­s? XIAOPING HU: Damals war ich überzeugt. Ich habe mir darunter vorgestell­t, dass alle gleich sind und dass jeder haben kann, was er braucht, ohne Gier und ohne Geiz. Wenn jemand etwas hat, dann ist er bereit zu teilen. Das haben wir geglaubt. Wir dachten, im Westen gibt es viel Armut, und wir müssen auch dem Westen helfen – besonders Amerika! (lacht) Wir haben ja von den dicken amerikanis­chen Kapitalist­en gelesen, die ihre Arbeiter ausbeuten. Als Kinder dachten wir: „Da müssen wir was tun!“Das haben wir wirklich geglaubt.

FRAGE: Wie muss man sich so ein 1eben als 2ind unter ,ao vorstellen?

XIAOPING HU: Ganz ähnlich wie in der Sowjetunio­n. Wir sind als Kinder zuerst Pioniere mit dem roten Halstuch geworden, und dann kamen die Roten Garden. Eine etwas kritischer­e Haltung kam bei mir erst viel später auf – in der Teenagerze­it.

FRAGE: 3ab es ein Schlüssele­rlebnis, das Sie mit dem 2ommunismu­s brechen lie4? XIAOPING HU: Nein. Als Kind nicht. Ich wurde ja in den 50er Jahren geboren und kannte nichts anderes. Natürlich gab es die Hungerkata­strophe. Aber ich bin in Peking aufgewachs­en. Dort war es zwar knapp, aber mein Vater war Offizier und meine Mutter Beamtin, deswegen ging es in meiner Familie irgendwie. Über diese Hungerkata­strophe habe ich erst ausführlic­h erfahren, als ich nach Deutschlan­d kam. Das war für mich ein Schock. Da sind ja 20 Millionen Menschen verhungert. Unvorstell­bar!

FRAGE: Wie haben Sie die 2ulturrevo­lution erlebt? XIAOPING HU: Das hat auch meine eigene Familie getroffen. Meine Oma war vor der Revolution in China Grundbesit­zerin. Das war ganz schlecht. Sie wurde öffentlich auf einer Bühne vorgeführt und gedemütigt. Das beschreibe ich auch im Buch. Einige der Eltern meiner Schulfreun­de hat es auch hart getroffen, es gab da sogar Suizide. Eine Schulfreun­din hat das bis heute nicht verkraftet, weil die Mutter direkt neben ihr an den Medikament­en ge- storben ist. Das haben wir jeden Tag erlebt, und das ist für Kinder natürlich ein Schock. Anfangs haben wir aber auch gedacht, das seien böse Menschen. Die haben das irgendwie verdient. Die Deutschen haben damals vielleicht über die Juden Ähnliches gedacht. FRAGE: ,an h-rt aus .erichten viel über die ,ao-.egeisterun­g, die damals herrschte. /aben Sie das so empfunden? XIAOPING HU: Ich war als Kind begeistert von Mao! Er war für uns so etwas wie ein Heiliger. Sogar als wir wussten, was da Grauenhaft­es passiert ist, haben wir es nicht für möglich gehalten, dass Mao es gewusst hat. Da waren „die anderen“Schuld. Aber Mao war für uns großartig, weil er das neue China gegründet hat. Das stimmte natürlich so auch nicht. Jedenfalls die damit verbundene­n Versprechu­ngen wurden nicht eingelöst. Aber als Kinder haben wir eben gelernt: Ohne Mao wäre es ganz schlecht gekommen. Wir wären eine Kolonie. Wir waren wirklich von ganzem Herzen begeistert. Und wir haben ihn geliebt! Ich dachte, ich könnte für Mao auch sterben, wenn das nötig wäre. FRAGE: Wie sehen Sie die 0ntwicklun­g in China? Sind Sie optimistis­ch, pessimisti­sch? XIAOPING HU: Sehr pessimisti­sch. Vor der Xi-Zeit war ich noch optimistis­ch. Die Mittelschi­cht wuchs, und viele Chinesen gingen ins Ausland und kamen mit neuen Erkenntnis­sen zurück. Und wenn so viele Menschen ins Ausland gehen, dann verändert das normalerwe­ise etwas. Aber nein! Jetzt wird Xi lebenslang regieren. Aus meiner Mittelschu­le hat nur einer geweint und gesagt: „Das ist Chinas Ende.“

@Das ungekürzte Interview unter http://bit.ly/RoterKaise­r

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