Geheim-Operation Nachtsprung
Mie die BND-Spione von Pullach in die Bundeshauptstadt zogen
Die Agenten des Bundesnachrichtendienstes haben ihr neues Hauptquartier in Berlin bezogen. Es war einer der größten Umzüge in der Geschichte der Bundesrepublik – und einer der geheimsten.
PULLACH/BERLIN – Die weiße Präsidenten-Villa auf dem riesigen Gelände der früheren BND-Zentrale im Münchner Vorort Pullach wirkt verlassen. Bruno Kahl nutzt sein Büro im ersten Stock nicht mehr. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes ist schon im Sommer endgültig ins neue Hauptquartier im Zentrum Berlins gezogen. Bis Ende November sind 4000 der rund 6500 Geheimen in den hochmodernen Bau gewechselt. Der Umzug des Auslandsgeheimdienstes hat ein Jahr gedauert, jetzt ist er so gut wie abgeschlossen. Die meisten Agenten kamen aus Pullach, viele auch aus anderen Standorten.
Es ist einer der größten Umzüge in der Geschichte der Bundesrepublik. Und auch wenn die Verlegung des Geheimdienstes lange bekannt war: Es dürfte einer der geheimsten im Lande sein.
Aus der Vergangenheit
Für den BND bedeutet der Wechsel auch einen Weg weg von vergangenen Nazi-Zeiten und der düsteren Umgebung des Kalten Krieges mit klaren Bedrohungsszenarien zwischen Ost und West. Die Arbeit in Pullach war jahrzehntelang so abgeschirmt, dass viele Außenstehende der Legende glaubten, hinter den Mauern liege eine Irrenanstalt. Selbst ihren Kindern durften die Spione nicht verraten, für wen sie arbeiten.
Gut 70 Jahre hatte der BND-Präsident in Pullach residiert. Das alte Chefbüro liegt im Schlafzimmer jener Villa, die der Hitler-Vertraute und NSDAP-Leiter Martin Bormann (1900-1945) für sich und seine Familie gebaut hatte. Deren Musikzimmer diente lange als BND-Besprechungsraum. An der mit Holz vertäfelten Wand hängt ein Porträt Friedrichs des Großen – der Preußenkönig war ein Vorbild Hitlers. Mit israelischen Geheimdienstlern soll hier schon verhandelt worden sein, auch afghanische Taliban seien bereits da gewesen, heißt es. Bestätigt werden solche Details nicht.
Ein paar Hundert Meter entfernt von der Präsidentenvilla tragen zehn Packer einer Speditionsfirma an diesem Freitagmorgen Kisten und Container aus den Bürogebäuden. Es ist noch dunkel, als der BND-Umzugsmanager die Sicherheitsphilosophie erklärt: „Es darf nix flöten gehen.“Der Referatsleiter ist für den Gesamtumzug zuständig. Er wirkt wie der Projektmanager eines normalen Großunternehmens. Mit einer Besonderheit: Er ist Spezialist fürs Geheime. „Wir haben unseren Job gut gemacht, wenn keiner ihn mitkriegt. Ein Umzug, der langweilig ist, ist der beste“, sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht in den Medien lesen will.
Im November 2018 sind viele der 93 Gebäude auf dem abgeriegelten 68-Hektar-Areal an der Heilmannstraße in Pullach schon geräumt. Doch auch nach dem Umzug werden noch rund 1000 BND-ler in Pullach Dienst tun. Die Abteilung Technische Aufklärung, kurz „TA“, etwa bleibt. Sie ist zuständig für elektronische Überwachung von Telekommunikation, Datenanalyse und Softwareentwicklung – ein wichtiger Teil der Spionage. Die Abteilung analysiert auch Cyber-Bedrohungen und deren Abwehr. Alle auswertenden Abteilungen in Berlin werden weiter mit den in Pullach gewonnenen Informationen arbeiten.
Fantasie von Bond-Fans
An diesem Tag wechseln Akten und Ausrüstung einer mittleren dreistelligen Zahl von Frauen und Männern der Abteilung „GU“– „Gesamtlage und Unterstützung“– nach Berlin. Im Agentenalltag steuern und koordinieren sie die Produktion des Dienstes. Es geht um geheime Analysen, auf deren Grundlage Regierung und Abgeordnete Entscheidungen treffen. Im Lagezentrum behalten die Mitarbeiter das Weltgeschehen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr im Auge.
Etwa 30 BND-Umzugshelfer haben sich gemeldet. Bei dem Transport durch die verwinkelten Gänge von Pullach sollen die Helfer „bitte genau die Sichtachsen im Blick behalten“, gibt der BND-Verantwortliche den Kollegen mit auf den Weg. Im Klartext: Trotz aller Sicherheitschecks sollen die Packer lieber nicht aus den Augen verloren werden. „Wir sind hier etwas sensibel, wenn wir Leute sehen, die wir sonst nicht sehen“, sagt einer trocken.
Mit acht Umzugskisten muss jeder BND-ler im Schnitt auskommen. In mehreren Tranchen werden allein aus Pullach fast 32000 Kartons in die neue Zentrale verfrachtet. Was in Kisten verpackt oder in speziell verplombten Containern verstaut in die Laster gestapelt wird, lässt der Fantasie von James-Bond-Fans breiten Raum. Wie sensibel viele Akten und Geräte wirklich sind, zeigt das aufwendige Prozedere: Mindestens vier Mal wird jedes Umzugsstück am Ende gescannt worden sein. Alle Einzelteile bekommen ein Etikett mit unverwechselbarem Strichcode. Die Verantwortlichen in der Umzugsleitstelle atmen erst auf, wenn am Ende im eigens programmierten Waren-Verfolgungs-System nach jedem Scanvorgang hinter den langen Zahlenreihen auf ihren Rechnern alles grün leuchtet. Dann ist klar: Es ist nix flöten gegangen.
Sie sind auch ein wenig stolz darauf beim BND, dass ihr Umzug nicht trivial ist. Zwar gehe es in der Masse um Büroarbeitsplätze, sagt ein Verantwortlicher. Hinzu kä- men die großen Kartenlager des für alle Welt zuständigen Geo-Dienstes und die Bibliothek mit Zehntausenden Geheimakten. Ganz zu schweigen von den Spezialausrüstungen der Labors und Werkstätten. „Schnucki-Spezialzeug“nennt einer das lässig. Er meint zum Beispiel besondere IT-Ausrüstungen und spezielle Kameras. „Alles, was ,LM so braucht“eben, sagte der Mann. Bond lässt grüßen.
In die Zukunft
„Nachtsprung“sagen sie beim BND dazu, wenn die Lastwagen zwischen Freitag und Sonntag die rund 600 Kilometer von Pullach nach Berlin rollen. Nicht von der Polizei, sondern von BND-eigenem Sicherheitspersonal werden die Laster begleitet – das ist unauffälliger. Sogar ein Werkstattwagen fährt mit, falls es eine Panne gibt.
Pro Wochenende wechselten so im Oktober und November jeweils etwa 400 Arbeitsplätze von Bayern nach Berlin. „Wenn etwas passiert, passiert es so nur für einen Bruchteil der Akten und Geräte“, erläutert der Umzugsmanager. Passiert sei bislang nichts, versichert er.
Mehr als 15 Jahre ist die Entscheidung für den Umzug her, vor gut 12 Jahren folgte der erste Spatenstich für den Neubau. In den Jahren darauf gab es Pfusch, verschwundene Baupläne und Probleme mit der Lüftung. Unbekannte sorgten 2015 im schwer gesicherten Bau für einen Millionenschaden, als sie Wasserhähne abmontierten und einen Teil des Gebäudes unter Wasser setzten. Die halbe Republik lachte – auch wenn die Spione noch gar nicht Hausherren waren, sondern die Bauverwaltung des Bundes.
Der bis 2013 geplante Wechsel verzögerte sich mehrfach. Doch der ganz große Skandal ist bisher ausgeblieben: Bei den Sicherheitsprüfungen konnten Experten keine von fremden Geheimdiensten versteckten Wanzen entdecken. Das wäre der Super-Gau gewesen.
Schließfach 007
BND-Präsident Kahl spricht von einer Herausforderung, „den Dienstbetrieb am Laufen zu halten, während wir umgezogen sind“. Das hat Gott sei Dank alles hingehauen“, sagt der 56-Jährige erleichtert.
Seit fast genau zwei Jahren ist der Hochbau der Zentrale fertig. Es folgte ein Jahr Abnahme und Sicherheitschecks. Im November 2017 startete der Einzug.
Nicht jeder BND-Experte ist gern aus Pullach in die Hauptstadt gegangen – insgesamt hat der Dienst von dort 1200 Arbeitsplätze nach Berlin verlegt. Bruno Kahl sieht, dass Umzüge die Lebensplanung durchkreuzen können. Doch man habe in einem sozialen Verfahren „alle Härten abgefedert“, sagt er.
Um 3 Uhr früh kommt der Umzugs-Lkw an diesem Samstag wie geplant in BerlinMitte an. Um 7 Uhr beginnt das Entladen – die Prozedur entspricht der in Pullach: Scannen beim Ausladen, Transport in die Büros. 200 Haupt- und Nebenflure gibt es im Gebäude, nicht gerade übersichtlich ist das. Sowieso ist es ein Neubau der Superlative: größter Behördenneubau in der Geschichte der Bundesrepublik, die Grundfläche des Gebäudes entspricht der Größe von etwa 36 Fußballfeldern.
Damit sich die Berliner Neulinge in ihrer RiesenZentrale nicht verlaufen, werden sie von den Umzugsplanern an die Hand genommen. Schon in Pullach konnten sich die Mitarbeiter in Musterbüros mit der Zukunft vertraut machen. Meist zu zweit sind Auswerter und Agenten auf 17 Luadratmetern einquartiert. Für jeden gibt es zwei Computer und zwei Telefone: ein System für die geheime interne Kommunikation, abgeschottet vom Internet. Top secret eben. Und ein zweites System für die Kommunikation mit der Außenwelt. Weil auch in die neue Zentrale private Mobiltelefone nicht mitgenommen werden dürfen, gibt es vor den Eingangsschleusen Bereiche mit Tausenden kleiner Schließfächer. Das Fach mit der Nummer 007 ist da besonders begehrt...
ZAlles, was ,Q‘ so braucht“