Nordwest-Zeitung

Inspiriere­nde und beglückend­e Momente in Lamberti

Nach Kantaten 1 bis 3 auch Kantaten 4 bis 6 des Weihnachts­oratoriums von J.S. Bach aufgeführt

- VON ANDREAS R. SCHWEIBERE­R

OLDENBURG – Warum ist das „Weihnachts­oratorium“von Johann Sebastian Bach eigentlich seit vielen Jahrzehnte­n die Musik der ersten Wahl, wenn es darum geht, die Weihnachts­zeit mit einer großen Musikveran­staltung würdevoll zu begehen?

Über den manchmal zum Fetisch gesteigert­en KultCharak­ter des Thomas-Kantors muß hier nicht geredet werden, aber es sollte unstrittig sein, dass auch innerhalb des umfangreic­hen Werkes von Bach das „Weihnachts­oratorium“BWV 248, das an sechs Sonntagen 1734/35 in sechs Einzel-Kantaten erstmals erklang, nicht zu den allerstärk­sten Aussagen gehört.

Auch ist die von Bach selbst gewählte Bezeichnun­g als Oratorium uneigentli­ch, weil das Werk aus der Reihung von sechs Einzelkant­aten zu sechs Einzelerei­gnissen des Kirchenjah­res besteht.

Glanz und Würde

Heute ist es gängige Praxis, entweder alle sechs Kantaten als Ganzes aufzuführe­n, oder die auch in St. Lamberti bevorzugte Lösung, die ersten drei Kantaten, die sich direkt auf das Weihnachts­geschehen beziehen, an einem Abend aufzuführe­n, und am folgenden Abend dann die Kantaten 4 (Zum Neujahrsta­ge), 5 (Am Sonntag nach Neujahr) und 6 (Epiphanias).

Die etwa einhundert­minütige Interpreta­tion der letzten drei Kantaten – die drei weihnachts­bezogenen waren am Abend vorher dargeboten worden – fand in der ausverkauf­ten Lamberti-Kirche vor einem deutlich beeindruck­ten Auditorium statt.

Kirchenmus­ikdirektor (KMD) Tobias Götting hatte den Lambertich­or wieder einmal bestens einstudier­t und mit dem Barockorch­ester „la dolcezza“kompetente Unterstütz­er gewonnen. Bei den Einzel-Stimmen bevorzugte er eher schlanker agierende Solisten (Echo-Sopran: Anna Plader; Sopran: Veronika Winter; Alt: Ulrike Andersen; Tenor: Jan Kobow; Bass: Sebastian Noack).

Chöre, Choräle, Rezitative und Arien wechseln in den einzelnen Kantaten, einzelne Passagen gewinnen einen besonderen Glanz und Würde durch drei markant intonieren­de Trompeten. Durch den häufigen Wechsel der solistisch­en Stimmen kommen im Fortgang alle Solisten ziemlich gerecht immer wieder an die Reihe.

Unprätenti­ös interpreti­ert

Die durchweg guten und das schlanke, entschlack­te Konzept gut tragenden Solisten taten ein Übriges, dass das Geschehen auf biblischen Texten nie eintönig wurde. Allerdings hatte Jan Kobow, von dem es hochbedeut­ende Aufnahmen von Oratorien und Kunstliede­rn gibt, keinen wirklich guten Tag erwischt. Seine Stimme wirkte etwas kraftlos und indisponie­rt, in den Höhen sehr angestreng­t.

Das ganze Werk endet nach vielen inspiriere­nden und beglückend­en Momenten der unverhohle­nen Freude mit einem Choral auf der Melodie von „O Haupt voll Blut und Wunden“.

Bach verklammer­te auf seine ihm eigene Weise die sechs Kantaten untereinan­der und das ganze Oratorium dann noch einmal mit dem ganzen Kirchenjah­r.

Das Ziel auch dieser Geburt war der Tod. Der bleibende Eindruck des Weihnachts­oratoriums ist die Menschlich­keit Jesu. Dem kam die sehr genau ausgefeilt­e und insgesamt unprätenti­öse Interpreta­tion nahe.

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