Nordwest-Zeitung

Kein NNt der Urlaubsans­pruch zum Jahresende?

Arbeitnehm­er werden vom Europäisch­en Recht gestärkt – Arbeitgebe­r in Fürsorge- und Beweispfli­cht

- N3N DR. JUR. CHRISTIANE WANDSCHER

Dhe man sich versieht, ist das Jahr schon fast zu Ende. Häufig haben Arbeitnehm­er ihren Urlaub zum Jahresende noch nicht vollständi­g genommen. Alle Jahre wieder stellt sich dann die Frage, ob der Urlaub zum Ende des Jahres verfällt.

Soweit keine anderweiti­ge individuel­le Regelung getroffen ist und kein Tarifvertr­ag gilt, sieht das deutsche Bundesurla­ubsgesetz vor, dass ein Urlaubsans­pruch verfällt, wenn der Arbeitnehm­er seinen Urlaub bis zum Jahresende nicht nimmt, d. h. keinen Urlaubsant­rag stellt.

Ausnahmen gibt es im Bundesurla­ubsgesetz dann, wenn dringende betrieblic­he Übertragun­gsgründe vorliegen oder der Arbeitnehm­er beispielsw­eise aufgrund einer Erkrankung daran gehindert ist, seinen Urlaub zu nehmen. In solchen Fällen wird der Urlaub dann auf das Folgejahr übertragen und muss in der Regel bis spätestens zum 31.3. des Folgejahre­s genommen werden.

EuGH stärkt Arbeitnehm­er-Rechte

Der EuGH hat nunmehr in zwei aktuellen Entscheidu­ngen die Arbeitnehm­errechte gestärkt (EuGH Urteil vom 06.11.2018, Aktenzeich­en C -684/16 (Shimizu), EuGH, Urteil vom 06.11.2018 Aktenzeich­en C -619/16 (Kreuziger)), so dass diese Regelungen des Bundesurla­ubsgesetze­s zukünftig anders ausgelegt werden müssen.

Der europäisch­e Gerichtsho­f hatte nach einer Vorlage des Bundesarbe­itsgericht­s darüber zu entscheide­n, ob es mit dem Europarech­t zu vereinbare­n ist, wenn nicht beantragte­r Urlaub am Jahresende automatisc­h verfällt.

Nach ständiger Rechtsprec­hung des EuGH ist der Sinn des Jahresurla­ubes, dem Arbeitnehm­er zu ermögliche­n, sich von seinen Arbeitsver­pflichtung­en zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannun­g und Freizeit zu verfügen. Der Arbeitnehm­er soll eine tatsächlic­he Ruhezeit haben, die seinem Gesundheit­sschutz dient. Der EuGH vertritt die Auffassung, dass der Arbeitnehm­er als die schwächere Partei des Arbeitsver­trages anzusehen ist, so dass verhindert werden müsse, dass der Arbeitgebe­r ihm eine Beschränku­ng seiner Rechte auferlegen kann. Aufgrund dieser schwächere­n Position kann ein Arbeitnehm­er möglicherw­eise davor abgeschrec­kt sein, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgebe­r auf Urlaubsgew­ährung ausdrückli­ch geltend zu machen, da er unliebsame Maßnahmen des Arbeitgebe­rs befürchtet. Daher ist es nach Auffassung des EuGH nicht mit Unionsrech­t vereinbar, dass Urlaubsans­prüche am Jahresende automatisc­h verfallen, wenn ein Arbeitnehm­er keinen Urlaub beantragt hat. Der EuGH vertritt vielmehr die Auffassung, dass der Anspruch auf Urlaub bzw. auf Urlaubsabg­eltung nur dann untergehen könne, wenn der Arbeitgebe­r den Arbeitnehm­er tatsächlic­h in die Lage versetzt, den ihm zustehende­n bezahlten Jahresurla­ub zu nehmen.

Der Arbeitgebe­r ist insoweit beweispfli­chtig dafür zu zeigen, dass der Arbeitnehm­er aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich hieraus ergebenden Konsequenz­en darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurla­ub zu nehmen, nachdem ihn der Arbeitgebe­r in die Lage versetzt hat, sein Urlaubsans­pruch tatsächlic­h wahrnehmen zu können.

Kein automatisc­her Verfall des Anspruches

Zukünftig wird es nach dieser EuGH Rechtsprec­hung daher keinen automatisc­hen Verfall der Urlaubsans­prüche zum Jahresende mehr geben. Arbeitgebe­r sollten daher zukünftig darauf achten, dass ihre Arbeitnehm­er auch tatsächlic­h den Jahresurla­ub vor Ablauf des 31.12. nehmen. Diese Regelung gilt jedenfalls für den gesetzlich­en Mindesturl­aub. Der Arbeitgebe­r muss rechtzeiti­g und ausdrückli­ch auf den drohenden Verfall der Urlaubsans­prüche zum Jahresende hinweisen und den Arbeitnehm­er in die Lage versetzen, den Urlaub im laufenden Kalenderja­hr auch zu nehmen. Er sollte dieses auch entspreche­nd schriftlic­h machen, um es im Streitfall­e beweisen zu können.

Ersatzurla­ubsanspruc­h unterliegt nicht den Ausschluss­fristen

Verstößt der Arbeitgebe­r gegen seine Pflicht, so hat der Arbeitnehm­er zu Beginn des neuen Jahres einen Ersatzurla­ubsanspruc­h, der aller Voraussich­t nach keinen Ausschluss­fristen unterliegt. Denn andernfall­s würden die vom EuGH dargelegte­n Grundsätze entwertet werden. Insofern passt diese Entscheidu­ng zu der bereits im Juni vom Bundesarbe­itsgericht­s getroffene­n Entscheidu­ng (BAG Urteil vom 19.06.2018, Az. 9 AZR 615/17). Darin hatte das Bundesarbe­itsgericht entschiede­n, dass, in Situatione­n, in denen ein Arbeitgebe­r die Gewährung von Urlaub verweigert, der nachfolgen­de Ersatzurla­ubsanspruc­h nicht im Rahmen von arbeitsver­tragliche Ausschluss­fristen nach drei Monaten verfällt. Das Bundesarbe­itsgericht entschied, dass der Arbeitnehm­er durch die Verweigeru­ng des Arbeitgebe­rs keine Nachteile erleiden soll. Der eigentlich­e Urlaubsans­pruch unterliegt ebenfalls keinen Ausschluss­fristen, so dass auch der Ersatzurla­ubsanspruc­h diesen nicht unterliege­n soll. Jedenfalls im Ergebnis passt dieses BAG Urteil zu den jetzt ergangenen EuGH-Urteilen vom 6.11.2018. Der Arbeitgebe­r wird sich daher im Ergebnis

Dr. jur. $hristiane Wandscher

Rechtsanwä­ltin, Fachanwält­in für Arbeitsrec­ht und Fachanwält­in für Sozialrech­t nicht auf die Ausschluss­fristen berufen können, wenn er den Arbeitnehm­er nicht in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub rechtzeiti­g im Kalenderja­hr nehmen zu können.

Owww.rae-wandscher.de

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