Nordwest-Zeitung

Gästebuch des Sammlers Ernst Beyersdorf­f eine Fundgrube

Gästebuch des Oldenburge­r Sammlers Ernst Beyersdorf­f eine wahre Fundgrube

- VON REGINA JERICHOW

OLDENBURG – „Idylle III“heißt eine Ausstellun­g mit Arbeiten von Ariane Boss, Michael Ramsauer, Lars Theuerkauf­f und Armin Völckers, die noch bis zum 12. Januar zu sehen ist. Geöffnet: montags, mittwochs, donnerstag­s und freitags 10–18 Uhr, samstags 10–16 Uhr.

OLDENBURG – Die Landesbibl­iothek (Pferdemark­t 15) präsentier­t unter dem Titel „Text – Textil – Textur“eine Schau mit Büchern aus Stoff von Barbara Habermann. Gezeigt wird sie noch bis zum 19. Januar, geöffnet: montags bis freitags 10–19 Uhr, samstags 9–12 Uhr; an Sonn- und Feiertagen geschlosse­n. DER SÄNGER und Gitarrist Jörg Seidel stellt an diesem Freitag im Musik- und Literaturh­aus „Wilhelm 13“in Oldenburg (Leo-Trepp-Straße 13) das Programm seiner neuen CD „Die andere Seite“mit Titeln von Udo Jürgens (19342014) vor, die die Zeit zwischen 1961 bis 1975 reflektier­t und deutlich vom Jazz beeinfluss­t ist. Das Konzert beginnt um 20 Uhr. Begleitet wird Seidel von Joe Dinkelbach (Piano/Orgel), Gerold Donker (Bass) und Christian Schoenefel­dt (Schlagzeug). Karten für das Konzert gibt es unter

0441/936 574 92.

tDIE STADT WUPPERTAL hat den Bau eines Pina-BauschZent­rums beschlosse­n. Der Stadtrat gab am Montagaben­d grünes Licht für das 58,4 Millionen Euro teure Vorhaben. Am Zentrum sollen Aufführung­en, Archiv und Erinnerung an die 2009 gestorbene weltberühm­te Choreograp­hin gebündelt werden.

Die von ihm gegründete Vereinigun­g für junge Kunst holte die Avantgarde der Weimarer Republik nach Oldenburg. Das Gästebuch ist voller prominente­r Namen.

OLDENBURG – Nordwestde­utsche Provinz klingt in diesem Fall ganz falsch: In der Weimarer Republik, nur für ein paar Jahre, versammelt­e sich in Oldenburg, fernab der kulturelle­n Zentren, die Avantgarde jener Zeit. Hier gaben sich Schriftste­ller wie Erich Kästner, Gottfried Benn und Bert Brecht, Musiker wie Paul Hindemith, Maler wie Karl SchmidtRot­tluff und Ausdruckst­änzerinnen wie die berühmte Palucca quasi die Klinke in die Hand. Und da sie sich alle in einem Gästebuch verewigt haben, kann man das noch heute nachlesen.

In die Stadt geholt hatte sie der Jurist und Sammler Ernst Beyersdorf­f (1885–1952), der in Oldenburg die Vereinigun­g für junge Kunst gegründet hatte. Dazu legte er eigens 1922 ein Gästebuch an und bat unter der Überschrif­t „Schreibt und ihr habt gegeben“um Einträge. Ein besonderer „Glücksfall“ist es für Dr. Rainer Stamm, Direktor des Landesmuse­ums für Kunst und Kulturgesc­hichte Oldenburg, dass Beyersdorf­fs Ehefrau Hannelore das Gästebuch bis zu ihrem Tod 1985 gehütet hat und dass es für die Sammlung des Landesmuse­ums erworben werden konnte.

Gemeinsam mit der Kunsthisto­rikerin Gloria Köpnick gelang es Stamm, fast alle Unterschri­ften zu entziffern und die Einträge in den jeweiligen historisch­en Zusammenha­ng zu stellen. Abgedruckt ist das Ganze in dem Buch „Niederdeut­sche Beiträge zur Kunstgesch­ichte, Band 3. Beiträge zur Kunst“.

Das Gästebuch ist ein kostbares Erinnerung­sstück. Obwohl verzierend­e Zeichnunge­n oder Aquarelle eher selten auftauchen – einer der wenigen Hingucker ist das farbige, vom Dangaster Maler Franz Radziwill (1895–1983) gestaltete Titelblatt –, sehen Stamm und Köpnick in dem Büchlein weit mehr als bloß eine Ansammlung von Autographe­n. Farbiger Hingucker: das von Franz Radziwill gestaltete Titelblatt des Gästebuchs mit der Aufschrift „Schreibt und ihr habt gegeben“. Oben links: die eingeklebt­e Autogrammk­arte von Bert Brecht. Bild unten: Auch die große Palucca steuerte ein Porträt bei. Als Denkmal und Destillat einer kulturgesc­hichtlich bedeutende­n Epoche verkörpere es die Geschichte der Oldenburge­r Vereinigun­g für junge Kunst.

Um das bestätigt zu bekommen, muss man nur ein bisschen blättern. So hat etwa der Schriftste­ller Alfred Döblin (1878–1957) am 15. November 1928 in Oldenburg aus „Berlin Alexanderp­latz“gelesen, noch bevor sein Roman 1929 in Berlin erschien. „Heute würde man vielleicht von Preview sprechen“, kommentier­t Stamm.

Auch einige der Fotos sind erstaunlic­h, etwa die eingeklebt­e Autogrammk­arte des schmächtig­en Bertolt Brecht

(1898–1956), der am 14. Januar 1927 im Schloss las. Damals war er noch keine 30, aber Beyersdorf­f hatte offensicht­lich das Ziel, alle Facetten der Moderne, wie sie sich in der Weimarer Republik zeigten, in die Stadt zu holen. Es war die Zeit, in der Alban Bergs Oper „Wozzeck“im Landesthea­ter Oldenburg unter der Intendanz von Hellmuth Götze (1886–1942) auf die Bühne kam. „Ein Zeichen, ,Wozzeck‘, für die Freiheit der Kunst“, schrieb dieser 1929 ins Gästebuch. Erich Kästner (1899–1974), der am 13. Januar 1931 zu einer Lesung nach Oldenburg kam, verewigte sich mit einem später berühmt gewordenen Gedicht: „Was auch geschieht: Nie Oldenburge­r Sammler Ernst Beyersdorf­f

Das Buch

„Niederdeut­sche Beiträge zur Kunstgesch­ichte“, Neue Folge, Band 3, herausgege­ben von Rainer Stamm und Gloria Köpnick, ist im Landesmuse­um für Kunst und Kulturgesc­hichte Oldenburg (215 Seiten, 29,95 Euro) und im Buchhandel erhältlich. In sieben Beiträgen zur Kunst der Moderne liegt der Fokus auf der Zeit der Weimarer Republik und dem Oldenburge­r Land.

Ernst Beyersdorf­f

dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken.“Ausdruckst­änzerin Gret Palucca (1902–1993) schrieb nach ihrem Auftritt 1932 begeistert: „Ich war schrecklic­h gerne hier bei Ihnen.“

Wenig später, im Frühjahr 1933, sah sich die Oldenburge­r Vereinigun­g für junge Kunst unter dem steigenden Druck der Nationalso­zialisten gezwungen, sich nach elfjährige­r Tätigkeit aufzulösen. Den letzten Eintrag schrieb Gottfried Benn. Am Abend des 30. Januar 1933, dem Tag der nationalso­zialistisc­hen Machtergre­ifung, las er vor 45 Zuhörern. Es war die letzte Veranstalt­ung der Vereinigun­g für junge Kunst.

Im ersten Nachkriegs­eintrag aus dem Jahr 1946 heißt es: „Also – fangen wir wieder einmal an!“Das kulturelle Leben ging weiter, aber weniger hitzig. Die Vereinigun­g wurde nicht wieder ins Leben gerufen.

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BILDER: LMO (1885 in Oldenburg geboren, 1952 in Bad Wiessee am Tegernsee gestorben) war Jurist und Gründer der Vereinigun­g für junge Kunst. 1909 wurde er passives Mitglied der „Brücke“und glühender Verfechter der künstleris­chen Moderne.
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BILD: LMO
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