Nordwest-Zeitung

Der ganz normale Schrecken

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Erinnert sich noch jemand? Es gab „Je suis Charlie!“. Es gab „Je suis Nice“, „Je suis Paris“und „Je suis Bruxelles“. In den Sozialen Medien waren diese Sätze als Hashtags allgegenwä­rtig. Millionen ersetzten in den Jahren 2016 und auch noch 2017 ihre Profilbild­er durch Grafiken mit diesen Sätzen. Das waren Solidaritä­tsbekundun­gen mit den Opfern islamische­n Terrors – und es war ein Weg, mit dem eigenen Schrecken umzugehen. 2018 aber ist niemand „Straßburg“.

Europa nahm den Anschlag des Terroriste­n ChPrif Chekatt auf den Weihnachts­markt mit fünf Toten fast emotionslo­s hin. Man hat sich offenbar an den Terror, das Morden auf offener Straße gewöhnt. Das trifft auch auf die Weihnachts­markt-Festungen in deutschen Innenstädt­en zu. Glühwein hinter Zäunen und Barrikaden – eine deutsche, eine europäisch­e Normalität. Wer erinnert sich noch an Zeiten ohne solche Sicherheit­strakte?

Es ist eingetrete­n, was Politiker in der Hochzeit des islamische­n Terrors vor zwei Jahren bereits durch die Blume gefordert hatten: Die Gewöhnung an die terroristi­sche Bedrohung. Sie wird heute hingenomme­n wie schlechtes Wetter. Im September vergangene­n Jahres sagte der damalige Innenminis­ter Thomas de MaiziQre: „Wir werden auf Dauer mit der terroristi­schen Gefahr leben müssen.“Sadiq Khan, Bürgermeis­ter von London, meinte, terroristi­sche Bedrohung sei eben „Teil des Lebens in einer Großstadt“.

Ist solche Gewöhnung nun vielleicht sogar eine positive Angelegenh­eit? Vermindert sie nicht den Schrecken, den Attentäter zu verbreiten vermögen? Vordergrün­dig mag das so scheinen. In Wirklichke­it ist sie Symptom einer Teil-Kapitulati­on vor dem Terror: Man kann es eben nicht verhindern – so what! Stellt euch nicht so an! Die Pannen im Fall Amri und Chekatt sind wohl auch durch solches Denken in Behörden und Politik zu erklären, ebenso wie der lieblose Umgang mit den Opfern des Terrors. Nur nicht drüber reden! Nur nicht daran erinnern! Doch auch in einem Bürgerkrie­g gewöhnen sich die Leute irgendwann an den Beschuss – tolerabel oder gar wünschensw­ert ist der Zustand trotzdem nicht.

Inzwischen sind wir in der Debatte bereits einen Schritt weiter: Im Netzauftri­tt der Süddeutsch­en Zeitung war da in dieser Woche ein Text zu lesen, der forderte, man möge das Wort „Terrorismu­s auf den Müllhaufen“werfen.

Begründung unter anderem: Was für den einen Terror sei, sei für den anderen ja positiv belegt. Beispiele sind ausgerechn­et der Terror der französisc­hen Revolution­äre von 1789 und die Sowjetunio­n.

Natürlich ist das Unfug. Leute, die durch Morde an Zivilisten, durch Angriffe auf die Infrastruk­tur ganz konkreten Schaden anrichten und Furcht säen wollen, sind das abgrundtie­f Böse. Da hilft keine Relativier­ung. Einer der das genau wusste, war Helmut Schmidt. Am 16. September 1977 prangte sein Gesicht auf dem Titel der „Bild“neben der programmat­ischen Schlagzeil­e „Wir besiegen die Terroriste­n“. Was für ein Kontrast zu den Defätisten, den de MaiziQres und Khans, des frühen 21. Jahrhunder­ts!

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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