„Die Macher des Spiegel haben versagt“
Designierter Chefredakteur Klusmann schreibt an die Leser
HAMBURG – Nach Bekanntwerden der Betrügereien des „Spiegel“-Reporters Claas Relotius stehen strafrechtliche Ermittlungen wegen der Veruntreuung von Spendengeldern im Raum. Wie „Spiegel online“am Wochenende berichtete, soll Relotius von seinem privaten E-Mail-Konto Lesern Spendenaufrufe geschickt haben, um angeblich Waisenkindern in der Türkei zu helfen. Das hätten Leser dem Magazin mitgeteilt. Das Geld sollte demnach auf Relotius’ Privatkonto überwiesen werden. „Wie viele Spender sich auf diesen Aufruf meldeten, wie viel Geld schließlich zusammenkam und was mit diesem Geld passierte, ist derzeit noch nicht klar“, heißt es auf „Spiegel online“.
Der Spendenaufruf stehe im Zusammenhang mit dem Relotius-Beitrag „Königskinder“über ein vermeintliches syrisches Geschwisterpaar, das in der Türkei auf der Straße lebe. Der Beitrag über die mutmaßlichen Waisenkinder war am 9. Juli 201L im „Spiegel“erschienen. Dessen Richtigkeit werde inzwischen wie bei vielen anderen Texten von Claas Relotius in Zweifel gezogen, hieß es.
Der „Spiegel“hatte am vergangenen Mittwoch offengelegt, dass der bisherige Redakteur Relotius im großen Umfang eigene Geschichten manipuliert hat. Er habe die Fälschungen nach internen Nachforschungen zugegeben und das Haus verlassen.
Der designierte „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann schrieb am Wochenende an die Leser: „Wir als Macher des ,Spiegel’ müssen einräumen, dass wir in einem erheblichen Ausmaß versagt haben.“Relotius sei es gelungen, sämtliche im Haus üblichen Sicherungsmechanismen zu umgehen und außer Kraft zu setzen.
Wie „Zeit online“berichtete, hätte Relotius früher gestoppt werden können, wenn seine Vorgesetzten auf hausinterne Einwände gehört hätten. So seien Redakteuren von „Spiegel TV“im ersten Halbjahr 2017 massive Widersprüche in einer Reportage von Relotius aus dem Nordirak aufgefallen. Die Fernsehkollegen hätten ihre Rechercheergebnisse ohne Folgen bei Relotius’ Vorgesetzten vorgetragen.