Nordwest-Zeitung

Ist die gute alte Demo wieder da?

2018 von Protest geprägt – Von Waldbesetz­ern und Anti-Rechts-Konzerten

- VON CAROLINE BOCK

Ob die „Omas gegen Rechts“oder die Baumhausbe­setzer im Hambacher Forst: 2018 war ein Jahr vieler Proteste. Im Oktober in Berlin zählten die Veranstalt­er der „Unteilbar“-Demonstrat­ion 240000 Menschen zwischen Alexanderp­latz und Siegessäul­e. Das waren sechs Mal so viele wie erwartet. In Chemnitz kamen im September 65000 Menschen zu einem großen Antirassis­mus-Konzert, nachdem zuvor Bilder von Menschen mit Hitlergruß und fremdenfei­ndlichen Ausschreit­ungen aus Sachsen um die Welt gegangen waren.

Manche fühlten sich angesichts von rechter Hetze an die 90er Jahren erinnert, als Asylbewerb­er um ihr Leben fürchten mussten und es Lichterket­ten sowie Solidaritä­tskonzerte gab.

Immer wieder mischten Musiker 2018 auf der politische­n Bühne mit, darunter die Punkband Feine Sahne Fischfilet oder Herbert Grönemeyer, der sagte: „Jeder Einzelne ist für das Klima hier verantwort­lich.“Es gab auch Stimmen, die vielleicht nicht so erwartbar waren. Die sächsische Volksmusik­erin Stefanie Hertel sagte zum Beispiel: „Wir müssen aufhören vor allem, was fremd und anders ist, Angst zu haben.“

Allein in Berlin sind Jahr für Jahr um die 5000 Kundgebung­en angemeldet. War da 2018 für Deutschlan­d ein besonderes Demo-Jahr? Der Bremer Protestfor­scher Sebastian Haunss vermag das nicht abzuschätz­en, wie er sagt. Auch in den Vorjahren habe es große Proteste und Demos gegeben, etwa beim G20-Gipfel in Hamburg oder gegen das Freihandel­sabkommen TTIP. Dieses Jahr gingen viele Menschen gegen die neuen Polizeiges­etze in München auf die Straße. „Fragen der inneren Sicherheit haben immer schon viele Leute in Deutschlan­d mobilisier­t“, so Haunss.

Was das rechte Lager angeht: Pegida, das islamfeind­liche Bündnis in Dresden, ist zwar nicht mehr so stark wie am Anfang. Aber dafür waren die rechten Proteste in Chemnitz überrasche­nd groß. Auslöser war der Tod eines Mannes durch Messerstic­he, unter Tatverdach­t: Zuwanderer.

Haunss’ Beobachtun­g: Zuvor hatten sich rechte Proteste oft an Jahrestage­n orientiert, etwa dem Todestag von Hitlers Stellvertr­eter Rudolf Heß in Wunsiedel oder in Dresden zur Erinnerung an die Bombardier­ung von 1945. Heute machen die Rechten schnell mobil. „Dass man so kurzfristi­g große Demonstrat­ionen von rechts sieht, ist wirklich eine neuere Entwicklun­g.“

Warum haben sich die „Gelbwesten“-Proteste aus Frankreich nicht in Deutschlan­d durchgeset­zt? Das liegt laut Haunss an den spezifisch­en Verhältnis­sen in Frankreich – es sei im Grunde ein Protest der Provinz gegen das Zentrum, also die Hauptstadt. Es geht demnach bei den „Gilets jaunes“um Klassen und Schichten, um niedrige Einkommen, die nicht zum Leben reichen. „In Frankreich ist diese ganze soziale Frage viel stärker mit Protesten verknüpft“, erklärt Haunss. Wenn die Leute in Deutschlan­d auf die Straße gehen, dann bei den ganz großen Themen, etwa beim AntiBraunk­ohle-Protest im Hambacher Forst für die Zukunft des Planeten.

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DPA-BILD: GATEAU Protest in den Wipfeln des Hambacher Forsts: Bei den Protesten kam es zu Baumhaus-Besetzunge­n

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