Wenn das Neue Jahr in der Notaufnahme beginnt
Ärzte warnen vor Verletzungsgefahr beim Feuerwerk – Knallerei bleibt männliche Domäne
BERLIN – Sie feuern Raketen aus der Hand ab. Werfen Böller aus dem Fenster. Importieren sprengstarke Pyrotechnik aus dem Ausland. Sammeln am Neujahrsmorgen Blindgänger auf. Oder halten Böller als Mutprobe extra lange in der Hand.
Nicht nur alkoholisierte Knaller-Freunde kommen auf gefährliche Ideen. „Der männlichen Experimentierfreude sind keine Grenzen gesetzt“, sagt Angela Kijewski, Sprecherin des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB). Sie spricht aus Erfahrung: Alljährlich sorgt der Jahreswechsel für volle Notaufnahmen. Ärzte behandeln aber nicht nur Hobby-Pyrotechniker, sondern auch Zufallsopfer.
Das sind vor allem Kinder, wie Experten berichten. Ihr Anteil unter den Silvester-Verletzten habe in den vergangenen Jahren bei Augen- und Ohrenverletzungen zugenommen, sagte der leitende Oberarzt der Notaufnahme am Virchow-Klinikum der Berliner Charité, Tobias Lindner. Grund seien etwa KnallerWürfe, die zu Explosionen nahe dem Gesicht oder dem Ohr führen. Opfer hätten in solchen Fällen keine Chance, sagt der Mediziner.
Augenkliniken meldeten bundesweit rund um Silvester der beiden Vorjahre jeweils weit mehr als 800 Augenverletzungen durch Pyrotechnik, wie die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft mitteilte.
Die ersten Unfallopfer sehen die Notaufnahme-Teams schon vor dem 31. Dezember – sobald Feuerwerk zum Verkauf steht, sagt Lindner. An
Silvester reißt der Zustrom an Verletzten von kurz nach Mitternacht an so schnell nicht mehr ab. An Neujahr schleppen sich dann noch viele in die Rettungsstelle, die ihre Verletzung in der Nacht noch unterschätzten. Doppelte Besatzung in der Chirurgie und bei den Pflegekräften stehen dann etwa am Virchow-Klinikum bereit.
Dass Menschen den Rutsch ins Neue Jahr nicht überleben, kommt immer wieder einmal vor – allein in Brandenburg gab es voriges Silvester zwei Tote durch Feuerwerk. Neben selbst gebautem Feuerwerk haben auch nicht frei verkäufliche Produkte wie Kugelbomben, die für professionelle Feuerwerke gedacht sind, hierzulande schon zum Tod oder zu erheblichen Verletzungen bei relativ jungen Männern geführt. „Die schweren Verletzungen passieren fast ausschließlich mit illegalen Böllern, sogenannten Polenböllern, oder selbstgebasteltem Feuerwerk“, betont Kijewski.
Das Geschlecht eint die allermeisten Opfer: Mutproben und Angeben mit Feuerwerk sowie mangelnde Sicherheitsvorkehrungen sind den Experten zufolge eher MännerSache. Lindner bezeichnet auch den „Straßenkampf“mit Böllern und Raketen als rein männliche Domäne. Von „Gehabe“gerade bei männlichen Jugendlichen sprechen mehrere Mediziner. Frauen würden, wenn überhaupt, durch abgefeuerte Knaller verletzt, bestätigt das UKB.
Häufig kommen Menschen mit kleineren Verletzungen wie Verbrennungen in die Notaufnahme. Diese können durch kalte Finger oder Unaufmerksamkeit beim Hantieren mit Feuerwerk entstehen, weil die Reaktionsfähigkeit durch Alkohol stark eingeschränkt ist. „Die Leute beugen sich noch mal über die Feuerwerkskörper – „huch, hat ja gar nicht gezündet“, erklärt Kijewski.