„Zahl der Missbrauchsfälle erschreckend“
Bischof Franz-Josef Bode rechtfertigt Zurückhaltung bei Namensnennung
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FRAGE: Die von den Bischöfen in Auftrag gegebene Missbrauchsstudie weist bundesweit 3677 Betroffene sexueller Übergriffe und 1670 beschuldigte Geistliche aus. Das Bistum Osnabrück verzeichnete 68 Betroffene und 35 Beschuldigte in den Jahren 1946 bis 2015. Hat Sie das Ausmaß erschüttert?
B8DE: Die hohe Zahl ist erschreckend. Wir müssen aber sehen, dass die Mehrzahl der Missbrauchsfälle schon Jahrzehnte zurückliegt und die Fälle in jüngerer Zeit abgenommen haben. Die Studie ist wichtig – zur Vergangenheitsbewältigung für uns und vor allem für die Opfer. Dass heute auch weiter zurückliegende Fälle öffentlich werden, kann ihnen helfen, mit ihrem Leiden fertig zu werden. Die Fälle haben zur Spaltung von Gemeinden und Familien geführt und Lebensgeschichten zerstört. Das kann man gar nicht genug wahrnehmen. FRAGE: Sie haben gerade Fälle von sexuellem Missbrauch durch einen heute im Ruhestand lebenden Priester Ihrer Diözese bekanntgegeben. Schon am nächsten Tag meldeten
sich weitere Opfer. War das ein Anstoß für die Aufdeckung weiterer unbekannter Fälle?
B8DE: Es ist gut möglich, dass sich Opfer durch die Veröffentlichung ermutigt fühlen. Ich kann auch weitere Fälle nicht ausschließen. Wir wissen nicht, ob wir bisher alles wahrgenommen haben. Zudem hat die mediale Öffentlichkeit den Vorteil, dass unsere Netzwerke der Hilfe, etwa die unabhängigen Ansprechpersonen für Missbrauch, noch besser bekannt werden.
FRAGE: Im Nachgang zur Missbrauchsstudie fordern viele die Nennung der Namen jener, die früher Beschuldigte möglicherweise durch Versetzungen
gedeckt und Taten nicht sanktioniert haben. Wie stehen Sie dazu?
B8DE: In manchen drastischen Fällen von wissentlicher Vertuschung wird es nötig sein, Namen zu nennen. Andererseits wurden viele Entscheidungen von Organisationen innerhalb der Kirche getroffen, so dass die Nennung einzelner Verantwortlicher schwer fällt. Zudem sind manche Fälle auch aus heutiger Sicht nicht so ganz eindeutig und die damit Befassten verstorben. Eine Täterliste von Verantwortlichen zu erstellen, halte ich daher für schwierig.
FRAGE: Werfen Sie sich aus heutiger Sicht etwas vor bezüglich Ihrer eigenen Entscheidungen in der Vergangenheit? B8DE: Ich gebe zu, ich habe die schwere Wirkung der Taten auf die Opfer unterschätzt. Früher habe auch ich nicht begriffen, warum sich Menschen erst 30 Jahre später melden, warum manche die Taten nicht zur Anzeige bringen wollen. Ich habe die Verletzung der Psyche nicht genug erkannt. Das sehe ich heute anders. Das sieht auch die Kirche heute anders. FRAGE: Als Konsequenz aus den Missbrauchsfällen fordern manche jetzt eine andere Sexualmoral der Kirche. Wie stehen Sie dazu?
B8DE: Wir werden uns intensiv damit befassen müssen, wie wir als Kirche auf Menschen schauen, die ihre gleichgeschlechtliche Beziehung bindungsbereit und verantwortungsvoll leben. Wie würdigen wir deren Sexualität? Darauf müssen wir Antworten finden. Zudem zeigen die Missbrauchsfälle, dass der Zölibat indirekt mitverantwortlich für solche Taten sein kann – in Fällen, in denen falsche Motive für diese Lebensform zu sexuellen Verfehlungen führen. Der Zölibat muss reflektiert und in wirklicher Freiheit gewählt werden.