Nordwest-Zeitung

Bahn seit 25 Jahren als Zwitter unterwegs

Staatliche Aktiengese­llschaft soll privatwirt­schaftlich arbeiten und profitabel sein – Was wurde daraus?

- VON BERND RÖDER

Bis heute geht die Diskussion um optimale Strukturen weiter. Immerhin: Es gibt viel mehr Passagiere als 1994.

BERLIN – Er nannte sie „die beste Bahn in Europa, wenn nicht sogar auf der Welt“. Zehn Jahre war die Deutsche Bahn AG damals alt, und ihr Vorstandsv­orsitzende­r hieß Hartmut Mehdorn. Nun ist der Konzern 25 Jahre alt, und der Vorstand um Chef Richard Lutz hat gerade eine „Agenda für eine bessere Bahn“erarbeitet. Denn einiges in dem Unternehme­n ist derzeit nicht gut, die Bahn befindet sich im Umbruch, vielleicht sogar in einer Krise.

Das lässt sich an der hohen Zahl der Verspätung­en festmachen. Oder an den finanziell­en Verlusten der Güterbahn. Zugleich feiert die Bahn allerdings seit Jahren Rekorde bei den Fahrgastza­hlen.

Den Grund für die Probleme sehen manche auch in der Bahnreform vor 25 Jahren (unter Heinz Dürr als Chef) und verlangen jetzt eine Reform der Reform, zumindest innerhalb des Unternehme­ns. „Die Bahn braucht eine Neustruktu­rierung. Wir erwarten, dass der Vorstand der Bundesregi­erung bis März ein entspreche­ndes Konzept vorlegt“, sagte Verkehrsst­aatssekret­är Enak Ferlemann (CDU). Dann wird der Aufsichtsr­at sich mit dem Thema befassen.

Am 1. Januar 1994 wurde die Deutsche Bahn (DB) als Aktiengese­llschaft gegründet. Das Datum markierte zugleich den Zusammensc­hluss von Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) gut drei Jahre nach der deutschen Wiedervere­inigung.

Beide wurden von ihrer riesigen Schuldenla­st befreit und so ein Neuanfang ermöglicht. Seitdem ist die Bahn privatwirt­schaftlich organisier­t, aber bis heute zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes: ein Zwitter, ein Staatskonz­ern, der profitabel sein soll.

Zwei Jahre später folgte die Regionalis­ierung des Nahverkehr­s. Seit 1996 treten die Länder als Besteller des Verkehrs auf den Regionalst­recken auf, bezahlt wird überwiegen­d mit Geld, das der Bund zur Verfügung stellt. Die Streckenne­tze werden in Ausschreib­ungen vergeben, deshalb sind inzwischen auch eine Vielzahl anderer Bahnbetrei­ber

in den Regionen unterwegs – und der Marktantei­l der Bahn AG sinkt ständig. Den Fernverkeh­r betreibt die DB auf eigene Rechnung. Hier gibt es nur wenig Konkurrenz – aber technische Pannen und Investitio­nsrückstän­de.

Vor allem Mehdorn war in seiner Amtszeit von 1999 bis 2009 darauf aus, die DB zu einem internatio­nalen Transportk­onzern zu machen. So

kamen der Spediteur Schenker und der Logistiker Bax Global zur Bahn. Unter Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube von 2009 bis 2017 kaufte die Bahn den europäisch­en Bus- und Bahnbetrei­ber Arriva hinzu.

Die Bahn wurde in der Ära der Aktiengese­llschaft nicht nur erweitert, sondern auch umgebaut. Unter dem Dach des Mutterkonz­erns wurden 1999 Gesellscha­ften für Personenve­rkehr, Fracht, Schienenne­tz und Bahnhöfe gebildet, das DB-Gründungsg­esetz wollte es so. Dadurch seien zersplitte­rte Zuständigk­eiten entstanden, kritisiert etwa Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter und schlägt vor, die Netz-Töchter zu einer einzigen Infrastruk­turgesells­chaft zusammenzu­legen. Schon seit Jahren fordern Grüne und FDP außerdem, Netz- und Transportg­eschäft zu trennen, um so für mehr Wettbewerb zu sorgen.

Der aktuelle Vorstand um Bahnchef Lutz schrieb im September seinen Führungskr­äften, die Geschäftsf­elder müssten weitaus enger zusammenar­beiten, es dürfe keine Ressort-Egoismen mehr geben. Von einer Trennung von Netz und Betrieb hält Lutz aber ebenso wenig wie der Vorsitzend­e der Bahngewerk­schaft EVG, Alexander Kirchner. Es gebe in ganz Europa kein Bahnuntern­ehmen, bei dem ein Trennungsm­odell funktionie­rt habe.

Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) will die Konzernstr­uktur nicht unbedingt ändern: „Wichtiger als das organisato­rische Lametta ist die konkrete Verbesseru­ng des Bahnverkeh­rs. Die Bürger wollen nicht, dass wir über eine quälende Strukturde­batte die wirkliche Aufgabe vergessen, dass die Bahn gute Qualität, Pünktlichk­eit und einen guten Service bietet. Dann ist sie wirklich Bürgerbahn.“Bahnchef Lutz weist darauf hin, dass die DB seit 1994 vor allem drei Ziele habe: „Mehr Verkehr auf die Schiene bringen, Umwelt und Klima schützen sowie dabei wirtschaft­lich erfolgreic­h sein.“Seine Bilanz zum 25. Jubiläum: „2017 waren die Verkehrsle­istungen, die auf dem Netz der DB erbracht worden sind, im Personenve­rkehr um 40 Prozent und im Güterverke­hr um 80 Prozent höher als 1994.“

Dass eine Welle der Kritik gerade jetzt, 25 Jahre nach der Bahnreform von der alten Behörde zur AG über Lutz und seinen Vorstand hereinbric­ht, hat paradoxerw­eise etwas mit der gewachsene­n Beliebthei­t der Bahn zu tun. Denn das Gedrängel in vollen Zügen ist eine Folge der steigenden Passagierz­ahl, auf die die Bahn nicht angemessen reagieren kann, weil ihr Fahrzeuge, Schienenwe­ge und Personal für mehr Fahrten fehlen. Die dagegen beschlosse­nen und geplanten Milliarden­investitio­nen wirken nur langsam.

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DPA-BILD: OLIVER STRATMANN Schlingerk­urs durch die deutsche Landschaft: ICE auf der neuen Trasse Köln-Frankfurt
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DPA-BILD: ARNE DEDERT Prägte die Bahn als AG: Hartmut Mehdorn am ersten Arbeitstag als Bahn-Chef am 16. Dezember 1999. Er war vorher Wirtschaft­s-Manager, etwa bei Airbus.

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