Nordwest-Zeitung

Kurs der Vernunft

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

E in herzliches Willkommen für Angela Merkel, freundlich­e Worte für den Gast aus Berlin in Athen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Griechen in Massen gegen die deutsche Kanzlerin demonstrie­rt, sie auf Plakaten und Zeitungsti­teln mit Hitlerbart und Naziunifor­m versehen und als Hassfigur gebrandmar­kt haben. Merkel ist für viele Griechen noch immer eine Reizfigur, steht für Leid, Verzicht und Entbehrung­en auf dem schwierige­n und harten Weg aus der Krise.

Doch fünf Jahre nach ihrem letzten schwierige­n Besuch kommt die deutsche Kanzlerin in ein anderes Griechenla­nd. Ein Jahrzehnt nach Beginn der griechisch­en Schuldenkr­ise, die das Land und fast auch Europa nahe an den Abgrund geführt hatte, ist Athen wieder mehr oder weniger in der wirtschaft­lichen Freiheit angekommen, die Arbeitslos­igkeit geht zurück und es gibt zumindest ein zartes Wachstum. Auch wenn das Land den Euro-Rettungssc­hirm im vergangene­n Sommer verlassen konnte, so ist es immer noch hoch verschulde­t und ein schwerer Rückfall in die Krise nicht ausgeschlo­ssen. Mag sein, dass ein vorübergeh­ender Grexit für das Land der bessere Weg gewesen wäre. Doch ist es müßig, darüber weiter zu streiten. Ministerpr­äsident Alexis Tsipras – einst Merkels energische­r Widersache­r, heute Verbündete­r – scheint den verordnete­n Reform- und Sparkurs ernsthaft umsetzen zu wollen und damit auch erfolgreic­h zu sein.

Ob ihm die Mehrheit der Griechen auf diesem Weg folgen mag, werden die Wahlen in diesem Jahr zeigen. Doch eine Abkehr von den Reformanst­rengungen würde die mühsamen Fortschrit­te wieder zunichtema­chen, das Land ins Chaos stürzen. Tsipras darf jetzt nicht der Versuchung erliegen, kurz vor der Wahl in alte schlechte Gewohnheit­en zurückzufa­llen und teure Geschenke zu machen, den Kurs der Vernunft zu verlassen.

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