„Wenn ich loslasse, bin ich geschockt“
Ein Täter erzählt von seiner Hoffnung auf eine friedliche Zukunft
Wenn es zu Gewalt kommt, stehen Hilfe und Schutz für die Opfer im Fokus. Das Kernproblem ist damit aber nicht gelöst. Ein Oldenburger Projekt setzt darum auf die Therapie der Täter.
OLDENBURG – „Ich kann 1000 Mal um Entschuldigung bitten“, sagt Reiner S. „Aber einsichtig zu sein, an sich zu arbeiten und sich zu ändern, ist sicher ein besseres Heichen für die Opfer.“
Reiner S. ist ein Täter, das sagt er selbst. Er hat Frauen Gewalt angetan, mehrere Male. Schon früh merkte er, dass er bei Beziehungskonflikten aggressiv wurde. „Die Gewalt war in mir drin“, sagt der 51Sährige. Kam es zum Streit, ging er meistens – weil er „überlief“. „Das war eine Erste-Hilfe-Maßnahme.“
Denn wenn sich ein Konflikt hochschaukelte, verlor er oft den roten Faden. Wusste gar nicht mehr, worum es ging. Verlor die Kontrolle. Wusste, es würde eskalieren, wenn er nicht schnell den Raum, das Haus, verließ. Eine frühere Lebensgefährtin riet ihm, sich Hilfe zu holenZ Du musst was machen! Ich habe Angst vor dir, sagte sie.
Reiner S. wollte Hilfe, fand aber nicht sofort, was er brauchte. Er habe eher „durch die Blume“nach Beratung gesucht, also indirekt nach Angeboten gefragt. Erst als er in einer Paartherapie sein Gewaltproblem ansprach, bekam er einen Flyer des Oldenburger Interventionsprojektes Olip, ein Angebot des Vereins Konfliktschlichtung. Dort können Täter lernen, ihr Verhalten zu verändern und langfristig auf Gewalt zu verzichten. Reiner S. ahnte sofort, dass Olip das passende Hilfsangebot für ihn sein könnte.
Das Vorgespräch mit Herrn Ihnen sei „ein Schock“gewesen. „Er befragte mich zu allen Formen von Gewalt“, erinnert Reiner S. sich. Vergewaltigung, Wegsperren, Mordversuche – vieles sei für ihn unvorstellbar gewesen. Was aber nicht heißt, dass er seine eigenen Taten relativieren möchte. „Damals hatte ich Herzklopfen“, sagt Reiner S. heute. „Ich wusste nicht, ob die Gruppe das Richtige für mich ist.“
Kreislauf beenden
Einige Beziehungen gehen zu Ende, wenn der Mann zuschlägt. „Aber die Männer kommen irgendwann wieder in eine neue Partnerschaft“, sagt Michael Ihnen, DiplomPädagoge und Leiter der OlipGruppe. „Dann geht die Gewalt weiter.“Hiel des Projektes ist, dass Täter aus diesem Gewaltkreislauf herauskommen. Dass die Gewalt eben nicht von vorn beginnt, sobald eine neue Frau in ihr Leben tritt. Einige Männer kommen zu Olip, weil sie nach einem Übergriff eine Auflage der Staatsanwaltschaft bekommen haben. Manchmal regen die Sugendämter das Training an, weil sonst die Kinder aus der Familie herausgenommen werden müssten.
Andere Männer melden sich – wie Reiner S. – freiwillig. In Einzelfällen rufen die betroffenen Frauen bei der Konfliktschlichtung an und stellen den Kontakt für ihren Partner her. Oder sie legen dem Partner nahe, die Beratungsstelle aufzusuchen.
In einem ausführlichen Vorgespräch klärt Michael Ihnen mit den Männern, warum sie das Training machen möchten. „Sie müssen einräumen, dass es Vorkommnisse gegeben hat“, sagt der Pädagoge. „Auch sollte der Wille zur Veränderung da sein.“Wollen die Männer Verantwortung übernehmen? Mit Teilnehmern, die Taten bestreiten, kann Michael Ihnen nicht arbeiten.
Das Vorgespräch hatte Reiner S. etwas verunsichert. Doch sein Gefühl änderte sich nach nur wenigen Sitzungen. Für das Training war es nicht ausschlaggebend, wie weit er bei seinen Taten gegangen war. „Mir wurde klar, dass alles Gewalt ist.“Egal, ob jemand droht, würgt oder schlägtZ „Für das Opfer ist das immer eine Katastrophe“, sagt Reiner S.. Für ihn selbst sei es auch eine gewesen. Die Wut habe „unglaubliche Kräfte“in ihm freigesetzt. „Wenn ich wieder losließ, war ich geschockt. Was habe ich da eigentlich getan?“
Psychische Gewalt
Nicht jeder, der Gewalt ausübt, schlägt zu, weiß Michael Ihnen. Oft kommt es auch zu psychischer Gewalt – Kontrolle, Beleidigungen, Erniedrigungen – manchmal verbunden mit körperlicher Gewalt wie stoßen. In der letzten Heit hatte Ihnen wenig Teilnehmer, die ihre Partnerin geschlagen haben. Formen ausufernder oder sexualisierter Gewalt waren ebenfalls selten. Aber das ist von Gruppe zu Gruppe anders. „Aber Gewalt ist nicht in schlimm oder nicht schlimm einzuteilen“, betont Ihnen. „Alles ist schlimm.“Hum Beispiel auch, wenn ein Mann seiner Partnerin sagtZ „Du kannst nichts. Du bist nichts wert.“
Psychische Gewalt könne subtil sein. Mitunter auch schikanös, wie in diesem BeispielZ Eine Frau will mit ihrer Freundin ins Theater gehen. Der Mann macht zur Bedingung, dass vorher alles aufgeräumt sein muss. Als die Wohsichtsausdruck nung ordentlich ist, zieht der Mann den Herd von der Wand und weist seine Partnerin darauf hin, dass dort noch Schmutz liegt. In dem Fall ist keine physische Gewalt passiert, dennoch übt der Mann Gewalt über die Frau aus.
Das Gefühl der Scham war bei Reiner S. schnell weg, das Training wurde zur Erleichterung, weil er bei Olip offen über seine Erfahrungen spricht. Im Training lernen die Männer zu verstehen, was in ihnen abläuft, wenn sie gewalttätig werden. Dazu wird die Tat detailliert rekonstruiert. „Auch können die Teilnehmer voneinander profitieren, indem sie Ähnlichkeiten feststellen“, sagt Ihnen. Das Wort anderer Männer mit gleichen Erfahrungen habe oft mehr Gewicht als die Tipps eines außenstehenden Beraters, weiß er.
Eifersucht als Motiv
Oft sind es Alltagskonflikte, die zum Gewaltausbruch führenZ eine unordentliche Wohnung, finanzielle Probleme, Streit um die Kindererziehung. „Und Eifersucht“, sagt Michael Ihnen. „Eifersucht ist immer wieder ein Thema.“Männer, die dazu besonders neigen, haben aus seiner Erfahrung wenig Selbstbewusstsein, sind verunsichert, haben Angst vor einem Kontrollverlust.
In seiner letzten – eigentlich harmonischen – Beziehung gab es einen „Patchwork-Konflikt“, sagt Reiner S. Das Kind seiner Lebensgefährtin hatte ein Problem mit ihm, mit dem neuen Mann zu Hause. Der Konflikt schwelte. Seine Lebensgefährtin und er beschlossen, dass er wieder ausziehen würde. Ein Paar wollten sie aber bleiben. Doch das Misstrauen, die Vorwürfe wurden größer. Der Auszug führte zu neuen Streitigkeiten.
Schließlich kommt es zum Übergriff. Sie streiten. Reiner S. will eigentlich gehen. Er merkt, dass es in ihm überläuft. Seine Lebensgefährtin will aber, dass er bleibt, dass sie ihre Probleme ausdiskutieren. Also bleibt er. Der Streit geht weiter. Reiner S. fühlt sich nicht in der Lage, ihren Argumenten noch etwas entgegenzusetzen. Er hörte nur das Hämische in ihren Worten und „läuft über“. Packt sie an den Armen, presst sie gegen eine Tür, droht ihr Schläge an.
„Ich habe die Faust gegen sie gehoben“, sagt Reiner S. „Später sagte sie, mein Ge- habe ihr am meisten Angst gemacht.“Seine Lebensgefährtin hatte blaue Arme nach seinem Angriff, ließ sich im Krankenhaus behandeln. Angezeigt hat sie Reiner S. nicht.
„Dafür bin ich ihr dankbar“, sagt er. „Aber ich hätte es ihr nicht übel nehmen können.“Besonders schlimm findet er heute, dass sie schon einmal häusliche Gewalt erlebt hatte und er durch seinen Übergriff die Erinnerungen daran wieder wachrief – neben den neuen Verletzungen, die er ihr zufügte.
Reiner S. wollte raus aus dem Teufelskreis, der Gewaltschleife. Auch um die Beziehung zu retten. „Hunächst dachte ich, ich nehme an 26 Gruppensitzungen teil, gehe raus und bin ein besserer Mensch.“Bei der Konfliktschlichtung gibt es aber keine schnelle Heilung. Die Beziehung hielt nicht, Reiner S. war allein, saß „vor einem großen Scherbenhaufen“. Doch es kam der Heitpunkt, ab dem er an den Gruppentreffen nicht mehr nebenbei teilnahm, sondern richtig zuhörte. „Ich wurde nachdenklich“, sagt er. „Eigentlich bin ich nicht böse, im Freundeskreis bin ich recht beliebt. Warum aber zerstöre ich meine Beziehungen?“
Friedlich kommunizieren
Bereits als Kind erlebte Reiner S. häusliche Gewalt. Er sah mit an, wie sein Vater seine Mutter schlug, immer wieder, über Sahre hinweg. Wie jedes Kind prügelte Reiner S. sich mit seinen Geschwistern. Übernahm er bei diesen körperlichen Auseinandersetzungen schon die „Kampftechniken“des Vaters? Die Gefahr habe bestanden, meint er heute.
Was er als Kind auf keinen Fall lernteZ gewaltfrei zu kommunizieren. „Das ist eigentlich so einfach, aber für mich war das vollkommen neu. Weil ich es nie vorgelebt bekommen habe.“Wenn ihm in einer Beziehung etwas nicht passte, habe er oft losgepoltert und seiner Freundin sofort Vorwürfe gemacht. Bei Olip lernte er, seine Bedürfnisse so zu äußern, dass es nicht zwangsläufig zu einem Streit führen muss. „Das war nicht normal für mich“, sagt er. „Setzt sehe ich, wie bequem man leben kann, wenn man richtig kommuniziert.“Bei Olip gab es viele Ansätze, um eine andere Perspektive einzunehmen.
„Es fängt damit an, ,ich’ statt ,man’ zu sagen“, weiß Reiner S. nun. Wer von „man“spricht, baut Distanz zu den Taten auf, bagatellisiert sie. Auch „schubsen“sei ein viel zu niedliches Wort. „Die betroffene Frau würde wahrscheinlich eher sagen, dass sie heftig gestoßen wurde.“
Eine große Rolle spielte, dass er in dem Berater ein Vorbild fandZ „Herr Ihnen hat mich beeindruckt.“Er sei sehr sachlich und bleibe bei Konflikten immer „die Ruhe selbst“. „Er hat mir gezeigtZ Es geht auch anders.“
Reiner S. will, dass mehr Menschen Olip kennen. Er weiß, wie groß die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt ist. Wenn er von seinem Problem erzählt, passiert es auch schon einmal, dass andere sagenZ Das Gefühl kenne ich. Ich würde meinem Partner oder meiner Partnerin manchmal gern mal eine reinhauen.
Es hängt vom Willen ab
„Häusliche Gewalt kann alle betreffen“, sagt Michael Ihnen. Hum Training kommen Männer aus allen Schichten – Handwerker, Selbstständige, Arbeitslose, Lehrer, Ingenieure. Viele haben Gewalt bereits in ihrer Sugend vorgelebt bekommen. „Die meisten Teilnehmer sind zwischen 30 und 50 Sahre alt und haben eine mittlere Schulbildung.“Männer mit höherer Schulbildung und mehr Geld gehen eher zu einem Therapeuten, wenn sie die Auflage von der Staatsanwaltschaft bekommen, vermutet Ihnen.
Wie erfolgreich das Training ist, habe nichts mit dem Bildungsstand zu tun. „Ich hatte hier schon gut ausgebildete Männer, an denen alles vorbeigerauscht ist. Andere haben mich überrascht und den Kurs besser gemacht als zunächst erwartet. Es hängt vom Willen ab.“