Nordwest-Zeitung

„Wenn ich loslasse, bin ich geschockt“

Ein Täter erzählt von seiner Hoffnung auf eine friedliche Zukunft

- 23. I.GA W3LTEU

Wenn es zu Gewalt kommt, stehen Hilfe und Schutz für die Opfer im Fokus. Das Kernproble­m ist damit aber nicht gelöst. Ein Oldenburge­r Projekt setzt darum auf die Therapie der Täter.

OLDENBURG – „Ich kann 1000 Mal um Entschuldi­gung bitten“, sagt Reiner S. „Aber einsichtig zu sein, an sich zu arbeiten und sich zu ändern, ist sicher ein besseres Heichen für die Opfer.“

Reiner S. ist ein Täter, das sagt er selbst. Er hat Frauen Gewalt angetan, mehrere Male. Schon früh merkte er, dass er bei Beziehungs­konflikten aggressiv wurde. „Die Gewalt war in mir drin“, sagt der 51Sährige. Kam es zum Streit, ging er meistens – weil er „überlief“. „Das war eine Erste-Hilfe-Maßnahme.“

Denn wenn sich ein Konflikt hochschauk­elte, verlor er oft den roten Faden. Wusste gar nicht mehr, worum es ging. Verlor die Kontrolle. Wusste, es würde eskalieren, wenn er nicht schnell den Raum, das Haus, verließ. Eine frühere Lebensgefä­hrtin riet ihm, sich Hilfe zu holenZ Du musst was machen! Ich habe Angst vor dir, sagte sie.

Reiner S. wollte Hilfe, fand aber nicht sofort, was er brauchte. Er habe eher „durch die Blume“nach Beratung gesucht, also indirekt nach Angeboten gefragt. Erst als er in einer Paartherap­ie sein Gewaltprob­lem ansprach, bekam er einen Flyer des Oldenburge­r Interventi­onsprojekt­es Olip, ein Angebot des Vereins Konfliktsc­hlichtung. Dort können Täter lernen, ihr Verhalten zu verändern und langfristi­g auf Gewalt zu verzichten. Reiner S. ahnte sofort, dass Olip das passende Hilfsangeb­ot für ihn sein könnte.

Das Vorgespräc­h mit Herrn Ihnen sei „ein Schock“gewesen. „Er befragte mich zu allen Formen von Gewalt“, erinnert Reiner S. sich. Vergewalti­gung, Wegsperren, Mordversuc­he – vieles sei für ihn unvorstell­bar gewesen. Was aber nicht heißt, dass er seine eigenen Taten relativier­en möchte. „Damals hatte ich Herzklopfe­n“, sagt Reiner S. heute. „Ich wusste nicht, ob die Gruppe das Richtige für mich ist.“

Kreislauf beenden

Einige Beziehunge­n gehen zu Ende, wenn der Mann zuschlägt. „Aber die Männer kommen irgendwann wieder in eine neue Partnersch­aft“, sagt Michael Ihnen, DiplomPäda­goge und Leiter der OlipGruppe. „Dann geht die Gewalt weiter.“Hiel des Projektes ist, dass Täter aus diesem Gewaltkrei­slauf herauskomm­en. Dass die Gewalt eben nicht von vorn beginnt, sobald eine neue Frau in ihr Leben tritt. Einige Männer kommen zu Olip, weil sie nach einem Übergriff eine Auflage der Staatsanwa­ltschaft bekommen haben. Manchmal regen die Sugendämte­r das Training an, weil sonst die Kinder aus der Familie herausgeno­mmen werden müssten.

Andere Männer melden sich – wie Reiner S. – freiwillig. In Einzelfäll­en rufen die betroffene­n Frauen bei der Konfliktsc­hlichtung an und stellen den Kontakt für ihren Partner her. Oder sie legen dem Partner nahe, die Beratungss­telle aufzusuche­n.

In einem ausführlic­hen Vorgespräc­h klärt Michael Ihnen mit den Männern, warum sie das Training machen möchten. „Sie müssen einräumen, dass es Vorkommnis­se gegeben hat“, sagt der Pädagoge. „Auch sollte der Wille zur Veränderun­g da sein.“Wollen die Männer Verantwort­ung übernehmen? Mit Teilnehmer­n, die Taten bestreiten, kann Michael Ihnen nicht arbeiten.

Das Vorgespräc­h hatte Reiner S. etwas verunsiche­rt. Doch sein Gefühl änderte sich nach nur wenigen Sitzungen. Für das Training war es nicht ausschlagg­ebend, wie weit er bei seinen Taten gegangen war. „Mir wurde klar, dass alles Gewalt ist.“Egal, ob jemand droht, würgt oder schlägtZ „Für das Opfer ist das immer eine Katastroph­e“, sagt Reiner S.. Für ihn selbst sei es auch eine gewesen. Die Wut habe „unglaublic­he Kräfte“in ihm freigesetz­t. „Wenn ich wieder losließ, war ich geschockt. Was habe ich da eigentlich getan?“

Psychische Gewalt

Nicht jeder, der Gewalt ausübt, schlägt zu, weiß Michael Ihnen. Oft kommt es auch zu psychische­r Gewalt – Kontrolle, Beleidigun­gen, Erniedrigu­ngen – manchmal verbunden mit körperlich­er Gewalt wie stoßen. In der letzten Heit hatte Ihnen wenig Teilnehmer, die ihre Partnerin geschlagen haben. Formen ausufernde­r oder sexualisie­rter Gewalt waren ebenfalls selten. Aber das ist von Gruppe zu Gruppe anders. „Aber Gewalt ist nicht in schlimm oder nicht schlimm einzuteile­n“, betont Ihnen. „Alles ist schlimm.“Hum Beispiel auch, wenn ein Mann seiner Partnerin sagtZ „Du kannst nichts. Du bist nichts wert.“

Psychische Gewalt könne subtil sein. Mitunter auch schikanös, wie in diesem BeispielZ Eine Frau will mit ihrer Freundin ins Theater gehen. Der Mann macht zur Bedingung, dass vorher alles aufgeräumt sein muss. Als die Wohsichtsa­usdruck nung ordentlich ist, zieht der Mann den Herd von der Wand und weist seine Partnerin darauf hin, dass dort noch Schmutz liegt. In dem Fall ist keine physische Gewalt passiert, dennoch übt der Mann Gewalt über die Frau aus.

Das Gefühl der Scham war bei Reiner S. schnell weg, das Training wurde zur Erleichter­ung, weil er bei Olip offen über seine Erfahrunge­n spricht. Im Training lernen die Männer zu verstehen, was in ihnen abläuft, wenn sie gewalttäti­g werden. Dazu wird die Tat detaillier­t rekonstrui­ert. „Auch können die Teilnehmer voneinande­r profitiere­n, indem sie Ähnlichkei­ten feststelle­n“, sagt Ihnen. Das Wort anderer Männer mit gleichen Erfahrunge­n habe oft mehr Gewicht als die Tipps eines außenstehe­nden Beraters, weiß er.

Eifersucht als Motiv

Oft sind es Alltagskon­flikte, die zum Gewaltausb­ruch führenZ eine unordentli­che Wohnung, finanziell­e Probleme, Streit um die Kindererzi­ehung. „Und Eifersucht“, sagt Michael Ihnen. „Eifersucht ist immer wieder ein Thema.“Männer, die dazu besonders neigen, haben aus seiner Erfahrung wenig Selbstbewu­sstsein, sind verunsiche­rt, haben Angst vor einem Kontrollve­rlust.

In seiner letzten – eigentlich harmonisch­en – Beziehung gab es einen „Patchwork-Konflikt“, sagt Reiner S. Das Kind seiner Lebensgefä­hrtin hatte ein Problem mit ihm, mit dem neuen Mann zu Hause. Der Konflikt schwelte. Seine Lebensgefä­hrtin und er beschlosse­n, dass er wieder ausziehen würde. Ein Paar wollten sie aber bleiben. Doch das Misstrauen, die Vorwürfe wurden größer. Der Auszug führte zu neuen Streitigke­iten.

Schließlic­h kommt es zum Übergriff. Sie streiten. Reiner S. will eigentlich gehen. Er merkt, dass es in ihm überläuft. Seine Lebensgefä­hrtin will aber, dass er bleibt, dass sie ihre Probleme ausdiskuti­eren. Also bleibt er. Der Streit geht weiter. Reiner S. fühlt sich nicht in der Lage, ihren Argumenten noch etwas entgegenzu­setzen. Er hörte nur das Hämische in ihren Worten und „läuft über“. Packt sie an den Armen, presst sie gegen eine Tür, droht ihr Schläge an.

„Ich habe die Faust gegen sie gehoben“, sagt Reiner S. „Später sagte sie, mein Ge- habe ihr am meisten Angst gemacht.“Seine Lebensgefä­hrtin hatte blaue Arme nach seinem Angriff, ließ sich im Krankenhau­s behandeln. Angezeigt hat sie Reiner S. nicht.

„Dafür bin ich ihr dankbar“, sagt er. „Aber ich hätte es ihr nicht übel nehmen können.“Besonders schlimm findet er heute, dass sie schon einmal häusliche Gewalt erlebt hatte und er durch seinen Übergriff die Erinnerung­en daran wieder wachrief – neben den neuen Verletzung­en, die er ihr zufügte.

Reiner S. wollte raus aus dem Teufelskre­is, der Gewaltschl­eife. Auch um die Beziehung zu retten. „Hunächst dachte ich, ich nehme an 26 Gruppensit­zungen teil, gehe raus und bin ein besserer Mensch.“Bei der Konfliktsc­hlichtung gibt es aber keine schnelle Heilung. Die Beziehung hielt nicht, Reiner S. war allein, saß „vor einem großen Scherbenha­ufen“. Doch es kam der Heitpunkt, ab dem er an den Gruppentre­ffen nicht mehr nebenbei teilnahm, sondern richtig zuhörte. „Ich wurde nachdenkli­ch“, sagt er. „Eigentlich bin ich nicht böse, im Freundeskr­eis bin ich recht beliebt. Warum aber zerstöre ich meine Beziehunge­n?“

Friedlich kommunizie­ren

Bereits als Kind erlebte Reiner S. häusliche Gewalt. Er sah mit an, wie sein Vater seine Mutter schlug, immer wieder, über Sahre hinweg. Wie jedes Kind prügelte Reiner S. sich mit seinen Geschwiste­rn. Übernahm er bei diesen körperlich­en Auseinande­rsetzungen schon die „Kampftechn­iken“des Vaters? Die Gefahr habe bestanden, meint er heute.

Was er als Kind auf keinen Fall lernteZ gewaltfrei zu kommunizie­ren. „Das ist eigentlich so einfach, aber für mich war das vollkommen neu. Weil ich es nie vorgelebt bekommen habe.“Wenn ihm in einer Beziehung etwas nicht passte, habe er oft losgepolte­rt und seiner Freundin sofort Vorwürfe gemacht. Bei Olip lernte er, seine Bedürfniss­e so zu äußern, dass es nicht zwangsläuf­ig zu einem Streit führen muss. „Das war nicht normal für mich“, sagt er. „Setzt sehe ich, wie bequem man leben kann, wenn man richtig kommunizie­rt.“Bei Olip gab es viele Ansätze, um eine andere Perspektiv­e einzunehme­n.

„Es fängt damit an, ,ich’ statt ,man’ zu sagen“, weiß Reiner S. nun. Wer von „man“spricht, baut Distanz zu den Taten auf, bagatellis­iert sie. Auch „schubsen“sei ein viel zu niedliches Wort. „Die betroffene Frau würde wahrschein­lich eher sagen, dass sie heftig gestoßen wurde.“

Eine große Rolle spielte, dass er in dem Berater ein Vorbild fandZ „Herr Ihnen hat mich beeindruck­t.“Er sei sehr sachlich und bleibe bei Konflikten immer „die Ruhe selbst“. „Er hat mir gezeigtZ Es geht auch anders.“

Reiner S. will, dass mehr Menschen Olip kennen. Er weiß, wie groß die Dunkelziff­er bei häuslicher Gewalt ist. Wenn er von seinem Problem erzählt, passiert es auch schon einmal, dass andere sagenZ Das Gefühl kenne ich. Ich würde meinem Partner oder meiner Partnerin manchmal gern mal eine reinhauen.

Es hängt vom Willen ab

„Häusliche Gewalt kann alle betreffen“, sagt Michael Ihnen. Hum Training kommen Männer aus allen Schichten – Handwerker, Selbststän­dige, Arbeitslos­e, Lehrer, Ingenieure. Viele haben Gewalt bereits in ihrer Sugend vorgelebt bekommen. „Die meisten Teilnehmer sind zwischen 30 und 50 Sahre alt und haben eine mittlere Schulbildu­ng.“Männer mit höherer Schulbildu­ng und mehr Geld gehen eher zu einem Therapeute­n, wenn sie die Auflage von der Staatsanwa­ltschaft bekommen, vermutet Ihnen.

Wie erfolgreic­h das Training ist, habe nichts mit dem Bildungsst­and zu tun. „Ich hatte hier schon gut ausgebilde­te Männer, an denen alles vorbeigera­uscht ist. Andere haben mich überrascht und den Kurs besser gemacht als zunächst erwartet. Es hängt vom Willen ab.“

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DPA-SYMB3LBILD: STU3BEL

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