Nordwest-Zeitung

Iwitter-Konto rettet vor Abschiebun­g

Mit Kampagne auf Kurznachri­chtendiens­t gelang 18-Jähriger aus Saudi-Arabien die Flucht

- VON CHRISTOPH SATOR

Solche Fälle gibt es immer wieder: Saudische Frauen setzen sich ins Ausland ab, um der Familie zu entkommen. Die 18-Jährige ist inzwischen als Flüchtling anerkannt.

BANGKOK – Ein @rahaf84427­714 vor einer Woche auf ihrem neuen Twitter-Konto den ersten Tweet absetzte, kannte sie kein Mensch. Eine junge Frau aus Saudi-Arabien, 18 Jahre alt, mit vollem Namen Rahaf Mohammed el-Kunun. An jenem Samstagabe­nd, 21.23 Uhr, schrieb sie: „Ich bin das Mädchen, das nach Thailand weggerannt ist. Ich bin in echter Gefahr. Die Saudi-Botschaft will mich zwingen, nach Hause zurückzuke­hren.“Dann fügte sie noch hinzu: „Ich habe Angst. Meine Familie wird mich umbringen.“Das Ganze war in arabischer Sprache.

Heute ist Rahaf eine internatio­nale Berühmthei­t, vorübergeh­end zumindest. Ihr Fall hat Menschen auf der ganzen Welt bewegt: die junge Frau aus dem konservati­ven islamische­n Königreich, der es gelang, sich mit einer improvisie­rten Kampagne auf Twitter vor der Abschiebun­g zu retten. Vor einer Woche folgten ihr auf dem Kurznachri­chtendiens­t 24 Leute. Zuletzt waren es mehr als 130 000.

Vor allem aber ist die 18Jährige inzwischen von den Vereinten Nationen als Flüchtling anerkannt. Unter der Obhut des UN-Flüchtling­shilfswerk­s UNHCR wartet sie in einem Hotel in Thailands Hauptstadt Bangkok darauf, in ein Drittland ausreisen zu dürfen. Die Aussichten, dass sie nach Australien darf – ihrem eigentlich­en Ziel – sind gut. Der Antrag auf ein Visum aus humanitäre­n Gründen wird gerade geprüft. Man darf annehmen, dass dies wohlwollen­d geschieht.

Zwischenze­itlich hatte es sehr schlecht ausgesehen. Als die Verzweiflu­ng am größten war, stellte Rahaf kurze Videos ins Internet. Zu sehen war, wie sie sich in einem Hotelzimme­r im Transitber­eich von Bangkoks Flughafen Suvarnabhu­mi verbarrika­dierte. Die saudische Botschaft hatte ihr den Pass abgenommen, die Thais wollten sie loswerden. In einer Maschine der Kuwait Airways war für sie bereits ein Platz für den Flug zurück zur Familie reserviert.

Dorthin wollte Rahaf keinesfall­s. Bei einem Ausflug nach Kuwait hatte sie sich von ihren Leuten abgesetzt. Angeblich wurde sie von Männern der eigenen Familie schikanier­t, nachdem sie sich vom Islam losgesagt hatte. Weil sie sich die Haare kurz geschnitte­n hatte, soll sie ein halbes Jahr in ihr Zimmer eingesperr­t worden sein. Auch Morddrohun­gen soll es gegeben haben. Nachprüfen ließ sich das nicht, weshalb es anfangs auch Zweifel an der Version der jungen Frau gab.

Da hatte die Geschichte aber längst Fahrt aufgenomme­n – vor allem, weil die USägyptisc­he Journalist­in Mona Eltahawy ihre Tweets übersetzt und an ihre mehr als 300000 Follower weitergele­i- tet hatte. Unter dem Hashtag #SaveRahaf („Rettet Rahaf“) stiegen auch die BBC und die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW) ein, was zusätzlich­e Aufmerksam­keit brachte. Auch der deutsche Botschafte­r in Bangkok, Georg Schmidt, twitterte: „Wir teilen die große Sorge um Rahaf Mohammed“.

Als die Lage immer bedrohlich­er wurde, war es der Asien-Experte von HRW, Phil Robertson, der Rahaf empfahl, keineswegs ihr Smartphone aus der Hand zu geben. Das war vermutlich der entscheide­nde Tipp. Zusammen mit einer australisc­hen Journalist­in, die mit ihr im Zimmer war, und zwei Freundinne­n von außerhalb berichtete el-Kunun praktisch in Echtzeit, wie es ihr ging.

Auf Twitter wurde dies millionenf­ach verfolgt. Auf dem Flughafen warteten Dutzende Kameras auf den Ausgang des Dramas. Schließlic­h erklärte Thailands Einwanderu­ngsbehörde, auf die Abschiebun­g zu verzichten. Und das UNFlüchtli­ngshilfswe­rk hielt ihre Geschichte für glaubwürdi­g genug, um ihr Flüchtling­sstatus zu geben: Solange in Saudi-Arabien ihre Freiheit und ihr Leben bedroht sind, muss sie nicht zurück. Andere saudi-arabische Frauen, die ins Ausland geflohen waren, hatten nicht so viel Glück.

Die junge Frau selbst schrieb in einem ihrer jüngsten Tweets: „Hey, ich bin glücklich.“Daneben stellte sie zwei Icons: ein rotes Herz und die gefalteten Hände. So drückt man in Thailand seinen Dank aus.

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DPA-BILD: UNCREDITED/RAHAF MOHAMMED AL-KUNUN/HUMAN RIGHTS WATCH Vor der Abschiebun­g bewahrt: Rahaf Mohammed el-Kunun in einem Hotelzimme­r am internatio­nalen Flughafen in Bangkok

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