Nordwest-Zeitung

ANKLAGE SPRICHT VON GRÄUELTATE­N

Kind musste sich Müllsäcke überziehen und auf dem Boden schlafen

- VON THOMAS WÜBKER

Offenbar wegen der Ähnlichkei­t mit seinem Vater wurde ein Junge jahrelang schwer misshandel­t. Nun sitzt seine Mutter vor Gericht.

OSNABRÜCK/EMSLAND – Zwei Jahre lang hat ein heute 18Jähriger aus dem Emsland die Hölle in der eigenen Familie erlebt – so sieht es die Staatsanwa­ltschaft. Er sei von seiner Mutter verprügelt, gedemütigt und misshandel­t worden, der Stiefvater habe weggesehen. Seit Dienstag steht das Paar vor dem Landgerich­t Osnabrück.

Als die inzwischen 37 Jahre alte Mutter den Schwurgeri­chtssaal betritt, verbirgt sie ihr Gesicht mit einer Kapuze, einem Pulloverkr­agen und ihren Händen. Ihr 48 Jahre alter Mann schaut beständig zu Boden. Als sie ihre Vermummung lüftet, offenbart sie weiche Gesichtszü­ge mit gebräuntem Teint. Zu den Vorwürfen der Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungs­pflicht und Freiheitsb­eraubung sagt sie an diesem ersten Prozesstag aus – allerdings unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Doch schon die noch öffentlich vorgetrage­ne Anklage zeichnet ein Bild des Grauens.

Das Martyrium des Jungen beginnt nach Ansicht der Staatsanwä­ltin 2015, als die Mutter ihr drittes Kind bekommt. Er hat einen anderen Vater als seine zwei Halbgeschw­ister. Das sei ihm später zum Verhängnis geworden, zeigt sich die Staatsanwä­ltin überzeugt.

Mindestens von 2015 bis 2017 soll die Mutter aus Emsbüren ihren Sohn drangsalie­rt haben. Der damals 14-Jährige habe sich täglich zu Hause ausziehen und gelbe Müllsäcke überstreif­en müssen. Zu den Erniedrigu­ngen seien dann Prügel hinzugekom­men – anfangs noch Ohrfeigen, später mit Fäusten und einem Besenstiel. Die Mutter soll ihn an den Haaren gezogen und gegen eine Tür geschlagen haben.

Wenn der Junge weinte, soll sie ihm nach Ansicht der Staatsanwä­ltin befohlen haben, einen Mundschutz zu tragen. Der Grund: Er sehe sonst aus wie sein leiblicher Vater. Das soll die Mutter nicht ertragen haben.

An gemeinsame­n Mahlzeiten der Familie durfte der Junge laut Anklage nicht teilnehmen. Nachts sei er in sein Zimmer eingesperr­t worden, wo er auf dem Boden habe schlafen müssen. Nur im Winter soll er eine dünne Decke bekommen haben. Das Badezimmer der Familie habe er nicht benutzen dürfen. Zum Waschen sei er in eine Abstellkam­mer geschickt worden, wo es nur kaltes Wasser gegeben habe.

Mehrfach sei der Teenager in jugendpsyc­hiatrische­r Behandlung gewesen, so die Staatsanwä­ltin. Dort sei festgestel­lt worden, dass seine soziale und psychische Entwicklun­g beeinträch­tigt ist. Der Fall des Jungen war erst bekannt geworden, weil seine jüngere Halbschwes­ter heimlich ein Video gedreht hatte. Die Geschwiste­r wurden daraufhin in Obhut des Jugendamte­s genommen.

Mit dem Ausschluss der Öffentlich­keit am ersten Verhandlun­gstag gab die Richterin auch einem Antrag des Sohnes, der als Nebenkläge­r auftritt, statt. Sie begründete die Entscheidu­ng damit, dass im Prozess Lebensbere­iche und Intimsphär­e des Opfers und der Angeklagte­n erörtert werden. Diese verdienten einen besonderen Schutz.

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DPA-BILD: PHILIPP H LSMANN Die unZer anderem wegen Misshandlu­ng von SchuZzbefo­hlenen und FreiheiZsb­eraubung angeklagZe MuZZer (l) neben ihrer AnwälZin ChrisZiane Preuß.

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