ANKLAGE SPRICHT VON GRÄUELTATEN
Kind musste sich Müllsäcke überziehen und auf dem Boden schlafen
Offenbar wegen der Ähnlichkeit mit seinem Vater wurde ein Junge jahrelang schwer misshandelt. Nun sitzt seine Mutter vor Gericht.
OSNABRÜCK/EMSLAND – Zwei Jahre lang hat ein heute 18Jähriger aus dem Emsland die Hölle in der eigenen Familie erlebt – so sieht es die Staatsanwaltschaft. Er sei von seiner Mutter verprügelt, gedemütigt und misshandelt worden, der Stiefvater habe weggesehen. Seit Dienstag steht das Paar vor dem Landgericht Osnabrück.
Als die inzwischen 37 Jahre alte Mutter den Schwurgerichtssaal betritt, verbirgt sie ihr Gesicht mit einer Kapuze, einem Pulloverkragen und ihren Händen. Ihr 48 Jahre alter Mann schaut beständig zu Boden. Als sie ihre Vermummung lüftet, offenbart sie weiche Gesichtszüge mit gebräuntem Teint. Zu den Vorwürfen der Misshandlung von Schutzbefohlenen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und Freiheitsberaubung sagt sie an diesem ersten Prozesstag aus – allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch schon die noch öffentlich vorgetragene Anklage zeichnet ein Bild des Grauens.
Das Martyrium des Jungen beginnt nach Ansicht der Staatsanwältin 2015, als die Mutter ihr drittes Kind bekommt. Er hat einen anderen Vater als seine zwei Halbgeschwister. Das sei ihm später zum Verhängnis geworden, zeigt sich die Staatsanwältin überzeugt.
Mindestens von 2015 bis 2017 soll die Mutter aus Emsbüren ihren Sohn drangsaliert haben. Der damals 14-Jährige habe sich täglich zu Hause ausziehen und gelbe Müllsäcke überstreifen müssen. Zu den Erniedrigungen seien dann Prügel hinzugekommen – anfangs noch Ohrfeigen, später mit Fäusten und einem Besenstiel. Die Mutter soll ihn an den Haaren gezogen und gegen eine Tür geschlagen haben.
Wenn der Junge weinte, soll sie ihm nach Ansicht der Staatsanwältin befohlen haben, einen Mundschutz zu tragen. Der Grund: Er sehe sonst aus wie sein leiblicher Vater. Das soll die Mutter nicht ertragen haben.
An gemeinsamen Mahlzeiten der Familie durfte der Junge laut Anklage nicht teilnehmen. Nachts sei er in sein Zimmer eingesperrt worden, wo er auf dem Boden habe schlafen müssen. Nur im Winter soll er eine dünne Decke bekommen haben. Das Badezimmer der Familie habe er nicht benutzen dürfen. Zum Waschen sei er in eine Abstellkammer geschickt worden, wo es nur kaltes Wasser gegeben habe.
Mehrfach sei der Teenager in jugendpsychiatrischer Behandlung gewesen, so die Staatsanwältin. Dort sei festgestellt worden, dass seine soziale und psychische Entwicklung beeinträchtigt ist. Der Fall des Jungen war erst bekannt geworden, weil seine jüngere Halbschwester heimlich ein Video gedreht hatte. Die Geschwister wurden daraufhin in Obhut des Jugendamtes genommen.
Mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit am ersten Verhandlungstag gab die Richterin auch einem Antrag des Sohnes, der als Nebenkläger auftritt, statt. Sie begründete die Entscheidung damit, dass im Prozess Lebensbereiche und Intimsphäre des Opfers und der Angeklagten erörtert werden. Diese verdienten einen besonderen Schutz.