Mit allen Sinnen dem Tod auf der Spur
D–. Benedikt Vennemann und Dr. Vanessa Preuss obduzieren eine Leiche – Ein Einblick in ihre Arbeit
Im Obduktionssaal riecht es leicht säuerlich. Die beiden Rechtsmediziner schmieren sich dennoch keine Kräuter unter die Nase – und das hat einen guten Grund.
OLDENBURG – Din Rechtsmediziner steht in weißem Kittel allein in einem schummerigen Raum. Im Hintergrund läuft eine Arie. Vor ihm liegt eine Leiche, halb bedeckt mit einem weißen Tuch. Würgemale am Hals sind deutlich zu erkennen. Klarer Fall im TVKrimi am Abend: Hier liegt ein Gewaltverbrechen vor.
Doch geht das wirklich so schnell, wie so manch einem Krimi-Fan suggeriert wird? Reicht ein Blick auf das Opfer, ein kleiner Schnitt in der Nähe der Verletzung, um die Todesursache zu erkennen? Ein Einblick in die Arbeit der Rechtsmediziner in Oldenburg.
Es ist 10.20 Uhr. „Wie sieht denn der Fall aus?“, fragt Leiter und Rechtsmediziner Dr. Benedikt Vennemann. Gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Vanessa Preuss und einem Kriminaloberkommissar sitzt er im Besprechungsraum im zweiten Stock des Instituts für Rechtsmedizin an der Pappelallee in Oldenburg, einem Standort der Medizinischen Hochschule Hannover. Auf dem großen ovalen Tisch liegen in zwei Schalen große Clementinen. Eine Kaffeekanne, Tassen und Zucker stehen ebenfalls bereit. Doch niemand greift zu, die Arbeit geht vor. Die beiden Ärzte haben Papier vor sich liegen und schreiben mit, während der Kriminaloberkommissar den Fall schildert. Er hat eine rote Akte vor sich, aus der er bei kleinen Nachfragen Einzelheiten vorliest.
Nur 18 Minuten später ist die Vorbesprechung beendet. Über das Treppenhaus geht es zwei Etagen hinunter in das Erdgeschoss. Hier befindet sich der Obduktionssaal. Präparatorin Menexia Giannoulaki nimmt gerade die Leiche Auf dieser Tafel werden die Daten festgehalten.
von zwei Bestattern entgegen. Noch liegt sie verschlossen in einem weißen Leichensack. „Wir haben hier keine Kühlfächer, also werden die Verstorbenen nur zur Obduktion hergebracht und danach sofort vom Bestatter wieder abgeholt“, erklärt Preuss.
Grüne Schutzkittel
Die beiden Rechtsmediziner ziehen sich grüne Schutzkittel über und schlüpfen in Gummischuhe. Preuss befestigt einen Schutz an ihrer Brille und bedeckt ihre Haare mit einer OP-Haube. Alle tragen einen Mundschutz. Nebenan misst und wiegt Giannoulaki bereits die Leiche und überträgt die Daten auf eine große weiße Tafel.
In einem Nebenraum, der mit einer Glastür und Fenstern vom Obduktionssaal getrennt ist, stehen zwei Computer und einfache Bürostühle. Vennemann sitzt vor einem Computer und diktiert Daten und Personalien zu dem Fall in ein Aufnahmegerät. Preuss sitzt währenddessen am zweiten Computer, liest Fotodokumente ein und legt damit den Fall digital an.
Es ist 10.55 Uhr. Vennemann und Preuss streifen sich jeweils zwei paar Gummihandschuhe über. Dann betreten sie den Obduktionssaal. Neonröhren erhellen den Raum. Der Kriminaloberkommissar nimmt sich eine Kamera von einem Tisch in der Ecke. Er ist für das Fotografieren zuständig – falls der Fall vor Gericht kommt, gibt es so auch Anschauungsmaterial. Kurz wird die Leiche auf die Seite gedreht, um den Rücken zu betrachten. Der Polizist schießt ein Foto.
Vennemann hält noch immer das Diktiergerät in der Hand. Der 49-Jährige fängt an, den Leichnam zu beschreiben und überprüft gemeinsam mit Preuss die Leichenstarre. Die äußere Leichenschau beginnt. Der Oberkörper wird auf einen rechteckigen, schwarzen Gummiblock hochgelegt.
Mit einem Schwamm reinigt Giannoulaki vorsichtig das Gesicht. Vennemann und Preuss betrachten zunächst die Kopfhaut. Augen, Ohren, Mund und Hals folgen. Gemeinsam untersuchen die Ärzte auch Oberkörper, Beine und Arme bis ins Detail. „Wir gehen immer systematisch von Kopf bis Fuß vor“, erklärt Vennemann und diktiert alle Auffälligkeiten und Besonderheiten in das Gerät. „Könnten Sie hier ein Foto machen? Genau aus meiner Position“, bittet er ab und zu den Kriminaloberkommissar.
Um 11.10 Uhr beginnt der zweite Teil der Obduktion, die sogenannte innere Besichtigung. Den Schädel hat Giannoulaki bereits freigelegt. Vennemann betrachtet den Knochen. Alle Abläufe sind routiniert. Auch der Bauch wird nun geöffnet. Es riecht leicht säuerlich und ein wenig nach Fleisch.
Streichen sich die Rechtsmediziner manchmal Kräuter unter die Nase? „Nein, das geht überhaupt nicht“, sagt Preuss und lächelt. „Wir brauchen unsere Nase als Empfindungsorgan und müssen unverfälscht den Geruch wahrnehmen“, sagt die 37-Jährige.
Keine elektrische Säge
Die Organe werden in anatomischem Zusammenhang entnommen. „Die Brustorgane, also Lunge, Herz und Halsorgane, der Oberbauch mit Magen, Leber, Bauchspeicheldrüse und Zwölffingerdarm, und das Nierenpaket mit Nieren, Körperhauptschlagader und Blase gehören jeweils zusammen“, erklärt Vennemann.
Mit einer Handsäge legt Giannoulaki das Gehirn frei. „Wir verwenden keine elektrische Säge, weil durch den entstehenden Staub Viren und Bakterien in die Luft gelangen“, erklärt Vennemann. Im Hintergrund ist ein leises Sägegeräusch zu hören. „Wir müssen jeden Fall so angehen, als ob der Tote mit Tuberkulose, HIV oder einer anderen ansteckenden Krankheit infiziert war.“Die Arbeit ist an dieser Stelle eher rabiat und handwerklich.
Mittlerweile steht Venne- Mit Instrumenten wie Säge und Schere wird obduziert.
mann am Präparationstisch, die beiden Lungenflügel liegen auf einer blauen Kunststoffplatte. Andere Organe werden in Metallschüsseln aufbewahrt. Mit einer Wasserdüse entfernt er einige Male Blut, um Organe besser zu sehen, und zieht mit einem Fensterreiniger über die Platte, um sie zu trocknen.
Mit filigranen Schnitten und Griffen untersuchen die beiden Ärzte die Organe. Immer wieder entnehmen sie dabei kleine Proben, die später in Formaldehyd eingelegt werden und in die Asservatenkammer kommen. Präparatorin Giannoulaki wiegt die einzelnen Organe, Urin und Mageninhalt. Auch diese Zahlen werden auf der Tafel notiert.
„Wir tragen alle Befunde zusammen und schauen dann, wie sie zusammenpassen“, sagt Preuss. Sie zeigt auf ein Detail an der Leber: „Schauen Sie sich das mal genau an“, sagt die 37-Jährige zu ihrem Kollegen. Die beiden Rechtsmediziner sprechen über Auffälligkeiten und entwickeln anhand der Befunde Theorien.
„Natürlich haben wir oftmals Verdachtsdiagnosen bereits im Kopf. Trotzdem müssen wir alles genau und objektiv ansehen, damit wir am Ende ein geschlossenes Bild haben“, erklärt Preuss. „Je mehr man sieht, desto mehr Erfahrungen sammelt man und kann dann Befunde und Bil- der besser einordnen.“
Um 12.15 Uhr sind die Rechtsmediziner fertig. Präparatorin Giannoulaki gibt alle Organe zurück in den Körper näht die Leiche wieder zu. „Das ist unsere tägliche Arbeit – und trotzdem ist das für uns immer wieder spannend“, sagt Vennemann. „Es ist wichtig, dass später für die Angehörigen von der Obduktion nichts mehr zu sehen ist“, sagt der 49-Jährige, zieht seine Handschuhe aus und legt seinen Kittel in eine Wäschebox.
Im Nebenraum beginnt er, den inneren Befund zu diktieren. Zweitobduzentin Preuss digitalisiert den Fall. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich jeder Fall kalt lässt. Gerade komplexe Fälle wie Gewalttaten, die zu Gericht kommen, beschäftigen einen mehr“, sagt Preuss.
Kriminalistische Aspekte
War die Rechtsmedizin immer ihr Wunsch? „Ich fand den Beruf schon immer spannend. Nach der Schule habe ich zunächst eine Ausbildung zur Präparatorin absolviert“, erzählt die 37-Jährige. „Ich wollte wissen, ob ich damit umgehen kann.“Konnte sie. „Mir gefallen die Herausforderung und die kriminalistischen Aspekte“, sagt Preuss und fügt hinzu: „Es sind eher die natürlichen Todesfälle, die man reflektiert. Wenn man sieht, dass es auch plötzlich zu Ende sein kann.“
Es ist 12.30 Uhr. Nebenan reinigt Giannoulaki den Obduktionssaal. Nach einer kurzen Pause wird die nächste Leiche auf dem silbernen Metalltisch liegen – der Alltag der Rechtsmediziner geht weiter. Von düsteren Räumen, klassischer Musik und vorschnellen Diagnosen in Krimi-Filmen ist dieser jedoch meilenweit entfernt.