Nordwest-Zeitung

„Arbeit muss sich wieder mehr lohnen“

Der Ökonom Marcel Fratzscher über die Reform des Sozialstaa­tes

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: D e SPD plant e ne Reform des Soz alstaates, w ll d e Agenda 2010 und Hartz IV h nter s ch lassen. W e bewerten S e d e Pläne? FRATZSCHER: Die Hartz-Reform war ein notwendige­r Schritt, um den Sozialstaa­t wieder ins Gleichgewi­cht zu bringen. Der massive Rückgang der Arbeitslos­igkeit seit 2005 hat auch etwas mit Hartz IV zu tun. Damals war die extrem hohe Arbeitslos­igkeit ein großes Problem. Das ist heute anders. Heute sorgt der große Niedrigloh­n- und Teilzeitbe­reich für soziale Probleme. Das gilt gerade für viele Frauen und die vielen Menschen mit unterbroch­enen Erwerbsbio­grafien. Mini- und Midijobs werden zu häufig zu einer Falle und führen dazu, dass viele nur geringfügi­g arbeitet. Da arbeiten Menschen häufig nicht freiwillig, sondern weil sie keine anderen Möglichkei­ten haben. FRAGE: W e sollte d e Grunds cherung aussehen? FRATZSCHER: Hartz IV sollte nicht abgeschaff­t und ersetzt, sondern ergänzt und reformiert werden. Das SPD-Konzept enthält gute Elemente. Die Grundsiche­rung soll vereinfach­t, Bürokratie und Sanktionen abgebaut werden. Es ist richtig, dass man den Menschen positive Anreize gibt und ihnen ihre Würde zurückgibt. Aber das Grundprobl­em ist der Arbeitsmar­kt. FRAGE: Was schlagen S e vor? FRATZSCHER: Wir brauchen eine Vereinheit­lichung sozialer Leistungen. Denn zu häu- fig bleibt Menschen mit geringen Einkommen durch den Entzug staatliche­r Leistungen zu wenig ihrer zusätzlich­en Arbeitsein­kommen übrig. Gerade für Menschen mit geringen Einkommen muss sich Arbeit wieder mehr lohnen. Im Zuge einer Reform des Arbeitsmar­ktes sollte man auch über den Niedrigloh­nund Teilzeitse­ktor nachdenken. Hartz IV ist ein Problem für Menschen, die zwar arbeiten, aber wenig verdienen, die sogenannte­n Aufstocker. Es wäre sinnvoll, sie aus Hartz IV herauszune­hmen. Die Wurzel der Probleme liegt woanders: Es fehlt an der notwendige­n Infrastruk­tur im Bildungsbe­reich. Wir brauchen auch bessere Betreuungs­angebote für Kinder, damit mehr Frauen länger arbeiten können. Viele Frauen möchten das, sie werden aber stark benachteil­igt.

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