Lebensretter mit Sprengstoff im Gepäck
We(ne( Ha9e(fe''ne( hat Schneemassen in Inns9(uck im G(iff
De( 56-Jäh(ige ist Chef de( Lawinen-Kommission und ausge9i'dete( Be(g(ette(. Im Somme( 9eg'eitet e( Tou(isten 9eim Can:oning.
INNSBRUCK – „Ich habe einfach einen spannenden Job. Er macht unheimlich Spaß“, sagt Werner Haberfellner ganz entspannt in seinem Büro auf über 1900 Metern Höhe. Hoch über Innsbruck. Unglaubliche Schneemassen türmen sich neben dem Gebäude mitten in der Seegrube auf. Mit Sprengungen löst der 56-Jährige vorsorglich künstliche Lawinen aus. Kontrolliert. Damit Menschen in der Region nicht vom weißen Tod überrollt werden.
Acht Meter Neuschnee
In den Tagen der Schneekatastrophe in Österreich gehörten Lawinen-Experten wie der Tiroler Haberfellner zu den Helden im Hintergrund, die Menschenleben retten. Und der Winter ist noch lang in der ganzen Alpenregion.
Über das eigene Risiko spricht der Chef der Innsbrucker Lawinen-Kommission und Leiter des zweiköpfigen Spreng-Teams nicht. Ob Schneesturm oder klirrende Kälte – Haberfellner muss noch vor Sonnenaufgang auf den Berg und testen, wie groß das Lawinenrisiko für Skifahrer und Tourengeher in dem Skigebiet vom Hafelekar direkt über der Tiroler Metropole geworden ist. Dazu fährt der Tiroler auf seinen Skiern in die gefährlichsten Bereiche.
Im Januar gab es in 16 Tagen allein acht Meter Neuschnee. „Innsbruck ist nicht in Gefahr“, beruhigt Haberfellner. Aber drei Häuser mussten schon evakuiert werden. „Schutzengel der Stadt“, nennen Heimatzeitungen den kantigen Mann mit hartem Händedruck. In anderen Landesteilen ist die aktuelle Lage weit unberechenbarer.
Harmlos wie eine riesige Fleischwurst in roter Pelle liegt der Sprengstoff im Karton. Jedes Paket zweieinhalb Kilo schwer. An Drahtseilen hängend, wird der Sprengstoff vorsichtig in lawinengefährdetes Gebiet gesteuert. Ein Seilsystem erreicht auch entfernte Ecken. Die Zündschnur ist genau so lang, wie die berechnete Zeit für den Transport des Sprengstoffs zum vorgesehenen Ort.
Der Rumms weckt jeden. „Wenn der Wind richtig steht, klirren in manchen Stadtteilen von Innsbruck die Fensterscheiben“, erzählt Haberfellner. Deshalb zündet der Lawinenexperte auch niemals vor sieben Uhr morgens. Aus Rücksicht auf den Schlaf der Tiroler unten.
Als die letzte Schneewalze über Tirol rollte, musste Haberfellner zwei Wochen lang jeden Tag sprengen. Manchmal erledigen die Arbeit auch Gaskanonen, die sich in Bunkern, verteilt im Gelände, befinden und per Fernzündung ausgelöst werden. Letzte Möglichkeit: Hubschrauber werfen Dynamit ab.
Wie man zu einem so explosiven Job kommt? „Ich war immer schon auf dem Berg“, erzählt der ausgebildete Bergretter: „Da haben sie mich gefragt, ob ich nicht die Lawinen-Kommission von Innsbruck übernehmen wolle“. Ja, hat er gesagt und arbeitet jetzt hauptamtlich. Jeder Ort, jede Region in Österreich muss eine Lawinenkommission haben. Oft ein Ehrenamt.
Unbelehrbare Skifahrer
Heiß wird derzeit über Bußgelder diskutiert für Tourengeher, die in verbotene Zonen eindringen und Lawinen auslösen. 17 Lawinentote gab es im vergangenen Jahr in Österreich. Der Rekord: 50 Tote im Jahr 1999. „Ich halte nichts von Bußgeldern für Tourengeher in gesperrten Bereichen“, bekennt Haberfellner freimütig: „In Italien geht man zwar bei Verstößen ins Gefängnis. Aber wer soll das Verbot kontrollieren?“
Er könnte Recht haben. In der Gondel zum höchsten Punkt der Innsbrucker Nordkette sitzt auch eine ältere Frau deutlich jenseits der 60. Oben auf dem Hafelekar steigt sie aus – und zieht mit den Skiern los. Mitten ins Gelände. Sicht? Null. Keine Piste weit und breit, nur Schneeberge und Felsen. Es knirscht, als die Frau über ein paar Gesteinsbrocken schiebt. Dahinter geht‘s senkrecht bergab. Freier Fall. Die Frau verschwindet hinter einem Felsen im weißen Nichts. Wer sollte ihr den Bußgeldbescheid aushändigen? Man kann nur Glück wünschen.
Doch die politische Debatte um Bußgelder für unbelehrbare Skifahrer abseits der Pisten und Tourengeher im Gelände reißt nicht ab. Österreichs Regierung plant einen Lawinen-Gipfel Ende Februar. Wenn das Gröbste vorbei ist. Auch Haberfellner wird sicher um seine Meinung gefragt, welche Lehren aus diesem Katastrophen-Winter zu ziehen sind.
Was macht ein Lawinenexperte eigentlich im Sommer? „Canyoning“, sagt der Tiroler und strahlt über das ganze Gesicht. Dann zeigt der 56Jährige mutigen Touristen, wie man sich zwischen den Bergen in mächtigen Schluchten in wilde Bäche stürzt. – Natürlich ohne Dynamit im Rucksack.