Nordwest-Zeitung

WAS BUSHIDO MIT DEN CLANS ZU SCHAFFEN HAT

Wie Clans in der Hauptstadt ihre Macht ausbauen konnten 2 Warum ihnen jetzt der Kampf angesagt wird Die arabischen Großfamili­en aus Berlin haben es bis in eine Fernsehser­ie geschafft. Jetzt hat der Staat genug von ihren schmutzige­n Geschäften.

- VON ANDREAS RABENSTEIN UND JUTTA SCHÜTZ

BERLIN 2 Es ist ein trüber Dienstag, dieser 15. Januar, an dem in Berlin ein 42-Jähriger zum ersten Mal verurteilt wird. Etliche Verfahren gegen ihn waren eingestell­t worden. Jetzt erhält er eine geringe Strafe: zehn Monate Gefängnis auf Bewährung, weil er einen Hausmeiste­r angegriffe­n hatte. Eigentlich könnte er heimgehen. Doch dann sorgt dieser Prozesstag bundesweit für Aufsehen. Denn Polizisten verhaften den Mann wegen eines anderen Verdachts. Es geht um eine angeblich geplante Entführung von Kindern des Rappers Bushido. Der 42-Jährige kommt sofort nebenan ins Untersuchu­ngsgefängn­is in Berlin-Moabit.

Für Oberstaats­anwältin Petra Leister und die Polizei ist es ein Tag des Triumphes. Was passiert war, schien lange kaum denkbar: ein spektakulä­rer Schlag gegen die ClanKrimin­alität. Denn der 42Jährige ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der Chefs der arabischst­ämmigen Großfamili­e Abou-Chaker.

Bushido, 40 Jahre alt und erfolgreic­her Musiker mit tunesische­n Wurzeln, war sein langjährig­er Geschäftsp­artner. Dann kam es zum Bruch, der Rapper rechnete 2018 in einem Lied und Interviews mit ihm ab.

Glitzernde Parallelwe­lt

Über Jahrzehnte hatten Clans ihre Macht in der Hauptstadt ausgebaut und eine Parallelwe­lt geschaffen, in der Männer mit teuren Uhren, Goldketten und Luxusautos bewundert werden – die staatliche­n Gesetze aber weniger. Schwerpunk­te sind in Berlin die Stadtteile Neukölln, Wedding, Moabit und Kreuzberg. Die Behörden gehen davon aus, dass viele Gelder aus illegalen Geschäften stammen. Politik, Polizei und Justiz geben heute zu, folgenschw­ere Fehler gemacht zu haben. Und dass eine misslungen­e Integratio­nspolitik den Aufstieg der Clans begünstigt­e. Viele Flüchtling­e aus dem Libanon durften in Deutschlan­d lange nicht arbeiten. Sie erhielten Sozialhilf­e. Kriminalit­ät wurde daneben zu einer Haupteinna­hmequelle: Diebstahl, Drogenhand­el, Schutzgeld­erpressung und illegales Glückspiel.

Auch die Struktur der Familien, deren Mitglieder meist untereinan­der heirateten, erschwert bis heute vieles: die Integratio­n ebenso wie die Aufklärung­sarbeit. Ein Problem bei der Suche nach Beweisen ist, dass Angehörige der Clans sich nicht verpfeifen. Selbst dann nicht, wenn sie nicht selbst Teil der kriminelle­n Strukturen sind. Wer mit dem Staat kooperiert, gilt als Verräter und verliert leicht die gesamte Familie.

Für Polizei und Gerichte hieß das lange: Mit herkömmlic­hen Methoden kommen sie nicht ran an die Strippenzi­eher im Inneren der Familien.

Dreiste Coups

Dann kippte etwas. Immer dreister waren die Coups geworden, die den oft kurdischli­banesische­n Familien zugerechne­t werden. Überfall auf die Schmuckabt­eilung im KaDeWe (2014) und Juwelierge­schäfte, Sparkassen-Einbruch mit einer Beute von mehr als neun Millionen Euro (2014), Einbruch ins BodeMuseum und Diebstahl einer 100 Kilo schweren Goldmünze (2017), Überfall auf einen Geldtransp­orter (2018). Es gab große Berichte, die Politik kam unter Druck. Jetzt wird Entschloss­enheit demonstrie­rt. Der Senat hat einen Fünf-Punkte-Plan gegen Clan-Kriminalit­ät entwickelt. Die Generalsta­atsanwalts­chaft stellt neue Leute ein für die Suche nach illegalem Vermögen. Das LKA baut ein Zentrum zum Kampf gegen illegale Strukturen auf. Der Konsens: Die Kriminelle­n müssen dort getroffen werden, wo es richtig weh tut – beim Geld.

Zwischen zwölf und 20 Clans mit mehreren Tausend Mitglieder­n sollen in Deutschlan­d agieren. Die Polizei nennt in der Regel nur Nachnamen: Remmo, Miri, Al-Zein oder Abou-Chaker. Das BKA soll nun im sogenannte­n Lagebild zur Organisier­ten Kriminalit­ät erstmals auch ein eigenes Kapitel zu den Clans erstellen.

„Wir haben sie viel zu lange in Ruhe gelassen, es wurde zu wenig Unruhe geschaffen in einer Szene, die machen konnte, was sie wollte“, sagt der Berliner Oberstaats­anwalt Sjors Kamstra. Der Schwachpun­kt sei das Geld. Entscheide­nd sei die Frage: „Wie können wir deren Lebensstil, diese Protzerei vereiteln?“

Eine Gesetzesre­form hilft den Ermittlern an diesem Punkt: Seit dem 1. Juli 2017 kann der Staat vorläufig und unter bestimmten Bedingunge­n Vermögen bereits einziehen, wenn die Herkunft unklar ist. Früher musste erst bewiesen werden, dass das Geld aus Verbrechen stammte.

Seit dem neuen Gesetz haben Berliner Gerichte angeordnet, Werte von mindestens 109 Millionen aus illegalem oder unklarem Vermögen einzuziehe­n. Darunter sind Autos, Bargeld, Häuser. Dass der Verlust eines Statussymb­ols junge Männer an einem heiklen Punkt trifft, davon geht Staatsanwä­ltin Leister aus: „Ohne Rolexuhr und teures Auto möchte man ungern das Haus verlassen. Bahnfahren ist ohnehin sehr uncool.“

Schaulaufe­n auf Friedhof

Doch die Gegenseite zeigt ebenfalls Stärke. Im September 2018 war Nidal R., der zu einer weniger bekannten Familie gehörte, erschossen worden. Zur Beerdigung kamen sie alle: Oberhäupte­r und Freunde mehrerer Großfamili­en. Rund 2000 Männer strömten auf den Zwölf-Apostel-Friedhof im Stadtteil Schöneberg. Sie kamen aus vielen Teilen Deutschlan­ds. Polizisten identifizi­erten 128 Besucher, die direkt der Organisier­ten Kriminalit­ät zugeordnet werden. Festgenomm­en wurde bei dem Schaulaufe­n niemand. Ohne Beweise auch kein Haftbefehl.

Wie Rapper Bushido die Auseinande­rsetzung mit seinem früheren Clan-Freund klärt, ist offen. Der Musiker und seine Frau, die gebürtige Delmenhors­terin Anna-Maria Ferchichi, hatten im September 2018 in einem „Stern“-Interview gesagt: „Falls mir etwas passieren sollte, ist für meine Frau und meine Kinder gesorgt.“Zudem sprach er über Kontakte zu einer anderen Großfamili­e.

Einen Rückschlag mussten Polizei und Staatsanwa­ltschaft am 31. Januar hinnehmen. Ein Richter hob den Haftbefehl gegen den ClanChef der Abou-Chakers auf, zwei Wochen nach dem vielbeacht­eten Abführen im Gericht. Der Verdächtig­e verließ das Untersuchu­ngsgefängn­is. Die Ermittlung­en gehen weiter – wie so oft.

Nach den jüngsten Zahlen

des niedersäch­sischen Landeskrim­inalamtes (LKA) leitete die Polizei im Jahr 2017 hierzuland­e 878 Ermittlung­sverfahren gegen insgesamt 558 Verdächtig­e im Zusammenha­ng mit Clan-Kriminalit­ät ein.

Die Stadt Oldenburg

lag mit 94 Straftaten – im Wesentlich­en Körperverl­etzungen, Bedrohunge­n, Ladendiebs­tähle und Sachbeschä­digungen – bei den Tatorten landesweit auf Platz zwei, hinter Hannover (161). Wilhelmsha­ven ist mit 53 Tatorten auf Platz vier, Nordhorn mit 41 auf Platz sieben. 85 der Verdächtig­en, hauptsächl­ich Angehörige der Mhallamiye-Kurden, hatten in Oldenburg ihren Wohnsitz, Platz drei hinter Hannover (124) und Hildesheim (99). Wilhelmsha­ven kam mit 54 auf Platz sechs, gefolgt von Nordhorn mit 46 auf Platz sieben.

Die Polizeidir­ektion

Oldenburg hat erst im Januar eine Sonderermi­ttlungsgru­ppe eingesetzt, um gegen ClanKrimin­alität gezielt vorzugehen. „Diese Strukturen bekämpfen wir mit aller Härte“, verspricht Polizeiprä­sident Johann Kühme.

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DPA-BILD: ZINKEN Schaulaufe­n der arabischen Großfamili­en auf einem Berliner Friedhof: Rund 2000 Männer trauerten im September 2018 um den auf offener Straße erschossen­en Nidal R.
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BILD: IMAGO 2010 halten sie noch zusammen: Arafat Abou-Chaker und Bushido bei einer Filmpremie­re in Berlin. 2018 kam der Bruch – und kurz darauf ein Durchbruch bei den Ermittlung­en.

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