WAS BUSHIDO MIT DEN CLANS ZU SCHAFFEN HAT
Wie Clans in der Hauptstadt ihre Macht ausbauen konnten 2 Warum ihnen jetzt der Kampf angesagt wird Die arabischen Großfamilien aus Berlin haben es bis in eine Fernsehserie geschafft. Jetzt hat der Staat genug von ihren schmutzigen Geschäften.
BERLIN 2 Es ist ein trüber Dienstag, dieser 15. Januar, an dem in Berlin ein 42-Jähriger zum ersten Mal verurteilt wird. Etliche Verfahren gegen ihn waren eingestellt worden. Jetzt erhält er eine geringe Strafe: zehn Monate Gefängnis auf Bewährung, weil er einen Hausmeister angegriffen hatte. Eigentlich könnte er heimgehen. Doch dann sorgt dieser Prozesstag bundesweit für Aufsehen. Denn Polizisten verhaften den Mann wegen eines anderen Verdachts. Es geht um eine angeblich geplante Entführung von Kindern des Rappers Bushido. Der 42-Jährige kommt sofort nebenan ins Untersuchungsgefängnis in Berlin-Moabit.
Für Oberstaatsanwältin Petra Leister und die Polizei ist es ein Tag des Triumphes. Was passiert war, schien lange kaum denkbar: ein spektakulärer Schlag gegen die ClanKriminalität. Denn der 42Jährige ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der Chefs der arabischstämmigen Großfamilie Abou-Chaker.
Bushido, 40 Jahre alt und erfolgreicher Musiker mit tunesischen Wurzeln, war sein langjähriger Geschäftspartner. Dann kam es zum Bruch, der Rapper rechnete 2018 in einem Lied und Interviews mit ihm ab.
Glitzernde Parallelwelt
Über Jahrzehnte hatten Clans ihre Macht in der Hauptstadt ausgebaut und eine Parallelwelt geschaffen, in der Männer mit teuren Uhren, Goldketten und Luxusautos bewundert werden – die staatlichen Gesetze aber weniger. Schwerpunkte sind in Berlin die Stadtteile Neukölln, Wedding, Moabit und Kreuzberg. Die Behörden gehen davon aus, dass viele Gelder aus illegalen Geschäften stammen. Politik, Polizei und Justiz geben heute zu, folgenschwere Fehler gemacht zu haben. Und dass eine misslungene Integrationspolitik den Aufstieg der Clans begünstigte. Viele Flüchtlinge aus dem Libanon durften in Deutschland lange nicht arbeiten. Sie erhielten Sozialhilfe. Kriminalität wurde daneben zu einer Haupteinnahmequelle: Diebstahl, Drogenhandel, Schutzgelderpressung und illegales Glückspiel.
Auch die Struktur der Familien, deren Mitglieder meist untereinander heirateten, erschwert bis heute vieles: die Integration ebenso wie die Aufklärungsarbeit. Ein Problem bei der Suche nach Beweisen ist, dass Angehörige der Clans sich nicht verpfeifen. Selbst dann nicht, wenn sie nicht selbst Teil der kriminellen Strukturen sind. Wer mit dem Staat kooperiert, gilt als Verräter und verliert leicht die gesamte Familie.
Für Polizei und Gerichte hieß das lange: Mit herkömmlichen Methoden kommen sie nicht ran an die Strippenzieher im Inneren der Familien.
Dreiste Coups
Dann kippte etwas. Immer dreister waren die Coups geworden, die den oft kurdischlibanesischen Familien zugerechnet werden. Überfall auf die Schmuckabteilung im KaDeWe (2014) und Juweliergeschäfte, Sparkassen-Einbruch mit einer Beute von mehr als neun Millionen Euro (2014), Einbruch ins BodeMuseum und Diebstahl einer 100 Kilo schweren Goldmünze (2017), Überfall auf einen Geldtransporter (2018). Es gab große Berichte, die Politik kam unter Druck. Jetzt wird Entschlossenheit demonstriert. Der Senat hat einen Fünf-Punkte-Plan gegen Clan-Kriminalität entwickelt. Die Generalstaatsanwaltschaft stellt neue Leute ein für die Suche nach illegalem Vermögen. Das LKA baut ein Zentrum zum Kampf gegen illegale Strukturen auf. Der Konsens: Die Kriminellen müssen dort getroffen werden, wo es richtig weh tut – beim Geld.
Zwischen zwölf und 20 Clans mit mehreren Tausend Mitgliedern sollen in Deutschland agieren. Die Polizei nennt in der Regel nur Nachnamen: Remmo, Miri, Al-Zein oder Abou-Chaker. Das BKA soll nun im sogenannten Lagebild zur Organisierten Kriminalität erstmals auch ein eigenes Kapitel zu den Clans erstellen.
„Wir haben sie viel zu lange in Ruhe gelassen, es wurde zu wenig Unruhe geschaffen in einer Szene, die machen konnte, was sie wollte“, sagt der Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra. Der Schwachpunkt sei das Geld. Entscheidend sei die Frage: „Wie können wir deren Lebensstil, diese Protzerei vereiteln?“
Eine Gesetzesreform hilft den Ermittlern an diesem Punkt: Seit dem 1. Juli 2017 kann der Staat vorläufig und unter bestimmten Bedingungen Vermögen bereits einziehen, wenn die Herkunft unklar ist. Früher musste erst bewiesen werden, dass das Geld aus Verbrechen stammte.
Seit dem neuen Gesetz haben Berliner Gerichte angeordnet, Werte von mindestens 109 Millionen aus illegalem oder unklarem Vermögen einzuziehen. Darunter sind Autos, Bargeld, Häuser. Dass der Verlust eines Statussymbols junge Männer an einem heiklen Punkt trifft, davon geht Staatsanwältin Leister aus: „Ohne Rolexuhr und teures Auto möchte man ungern das Haus verlassen. Bahnfahren ist ohnehin sehr uncool.“
Schaulaufen auf Friedhof
Doch die Gegenseite zeigt ebenfalls Stärke. Im September 2018 war Nidal R., der zu einer weniger bekannten Familie gehörte, erschossen worden. Zur Beerdigung kamen sie alle: Oberhäupter und Freunde mehrerer Großfamilien. Rund 2000 Männer strömten auf den Zwölf-Apostel-Friedhof im Stadtteil Schöneberg. Sie kamen aus vielen Teilen Deutschlands. Polizisten identifizierten 128 Besucher, die direkt der Organisierten Kriminalität zugeordnet werden. Festgenommen wurde bei dem Schaulaufen niemand. Ohne Beweise auch kein Haftbefehl.
Wie Rapper Bushido die Auseinandersetzung mit seinem früheren Clan-Freund klärt, ist offen. Der Musiker und seine Frau, die gebürtige Delmenhorsterin Anna-Maria Ferchichi, hatten im September 2018 in einem „Stern“-Interview gesagt: „Falls mir etwas passieren sollte, ist für meine Frau und meine Kinder gesorgt.“Zudem sprach er über Kontakte zu einer anderen Großfamilie.
Einen Rückschlag mussten Polizei und Staatsanwaltschaft am 31. Januar hinnehmen. Ein Richter hob den Haftbefehl gegen den ClanChef der Abou-Chakers auf, zwei Wochen nach dem vielbeachteten Abführen im Gericht. Der Verdächtige verließ das Untersuchungsgefängnis. Die Ermittlungen gehen weiter – wie so oft.
Nach den jüngsten Zahlen
des niedersächsischen Landeskriminalamtes (LKA) leitete die Polizei im Jahr 2017 hierzulande 878 Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 558 Verdächtige im Zusammenhang mit Clan-Kriminalität ein.
Die Stadt Oldenburg
lag mit 94 Straftaten – im Wesentlichen Körperverletzungen, Bedrohungen, Ladendiebstähle und Sachbeschädigungen – bei den Tatorten landesweit auf Platz zwei, hinter Hannover (161). Wilhelmshaven ist mit 53 Tatorten auf Platz vier, Nordhorn mit 41 auf Platz sieben. 85 der Verdächtigen, hauptsächlich Angehörige der Mhallamiye-Kurden, hatten in Oldenburg ihren Wohnsitz, Platz drei hinter Hannover (124) und Hildesheim (99). Wilhelmshaven kam mit 54 auf Platz sechs, gefolgt von Nordhorn mit 46 auf Platz sieben.
Die Polizeidirektion
Oldenburg hat erst im Januar eine Sonderermittlungsgruppe eingesetzt, um gegen ClanKriminalität gezielt vorzugehen. „Diese Strukturen bekämpfen wir mit aller Härte“, verspricht Polizeipräsident Johann Kühme.