Nordwest-Zeitung

Ehrung für das „Napalm-Girl“

Wie das Bild von Kim Phuc Phan Thi 1972 um die Welt ging

- VON SIMONA BLOCK

7ie heute 55-Jährige setzt sich für den Frieden ein. Privat hat sie ihr Glück gefunden.

DRESDEN – „Ich wollte sterben“, sagt Kim Phuc Phan Thi. Die zierliche Vietnamesi­n mit schwarzem Pagenkopf und großen dunklen Augen schluckt, als sie sich erinnert. Am 8. Juni 1972 war in ihrem Dorf Trng Bàng Feuer vom Himmel gefallen. Ein Kriegsrepo­rter fotografie­rte, wie die Neunjährig­e nach dem Napalm-Angriff nackt und schreiend vor Schmerzen über eine Straße läuft, im Hintergrun­d dicker Qualm. Das später mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Bild ging um die Welt als Symbol des Vietnamkri­egs – und trug zum Umdenken in der US-Bevölkerun­g bei.

„Wenn ich allein bin, meide ich das Bild“, sagt die 55Jährige. „Aber ich kann damit für den Frieden arbeiten, das ist meine Vision.“Seit vielen Jahren engagiert sie sich für Versöhnung und kümmert sich mit einer eigenen Stiftung um Kinder aus Kriegsgebi­eten. Dafür erhielt sie in Dresden am Montagaben­d den mit 10 000 Euro dotierten Dresdner Friedenspr­eis. „Mein Traum ist zu helfen, dass die Welt ein besserer Platz zum Leben ist.“Sie reist als UN-Botschafte­rin um die Erde, obwohl ihre Narben manchmal wie Feuer brennen, erzählt ihre Geschichte und spricht für Kinder, „die keine Stimme haben“.

Ihre Stiftung baut seit 2002 Schulen, Waisenhäus­er und medizinisc­he Einrichtun­gen auf der ganzen Welt. Das jüngste Projekt: eine Bibliothek für Kinder in dem Dorf, wo sie zum „Napalm-Girl“wurde. „Bildung ist so wichtig, jedes Kind muss die Chance haben, zu lernen.“Nach dem verhängnis­vollen Tag, an dem sie der Fotograf noch mit Wasser übergossen und in ein Krankenhau­s gebracht hatte, schien ihr eigenes Leben zu Ende. „Im Grunde wollte ich sterben, einfach aufgeben, ich hatte keine Hoffnung auf Leben und eine Zukunft, nur Leiden.“

Zehn Jahre war ihr Herz voller Hass, Verbitteru­ng und negativer Gedanken, bis sie in der Saigoner Bibliothek auf der Suche nach Antworten auf ihr Schicksal den christlich­en Glauben entdeckte. „Ich bin sehr dankbar, dass ich noch lebe, dass ich aus dem Erlebten lernen, einen Weg finden konnte, anders mit Verletzung­en, Schmerzen und der Quälerei umzugehen“, sagt sie. Und sie beschloss, kein Kriegsopfe­r mehr zu sein. „Ich bin eine Mutter, Großmutter und Überlebend­e, die sich für den Frieden einsetzt.“Ihr eigenes Leben sei bestimmt von Hoffnung, Liebe und Vergebung.

Die Südvietnam­esische Armee hatte damals fälschlich­erweise Phucs Dorf mit Napalm beschossen. Die zähflüssig­e Brandwaffe klebt am Ziel – auch an menschlich­er Haut. Viele Opfer überlebten das nicht. Phuc erlitt auf der Hälfte ihres Körpers Verbrennun­gen dritten Grades, 14 Monate lang war sie im Krankenhau­s und wurde danach unzählige Male operiert. Bis heute unterzieht sie sich immer wieder Therapien, um ihre Narben erträglich zu machen.

Die kommunisti­schen Machthaber, die die Macht des Bildes erkannten, hatten sie als Kriegsopfe­r zur Propaganda vorgeführt. Nach einer Behandlung in Deutschlan­d studierte Phuc auf Kuba, erst Pharmazie, dann wegen der Chemikalie­n Sprachen, und lernte ihren Mann kennen. „Ich habe nicht geglaubt, dass mich ein Mann liebt und heiratet. Ich dachte, ich würde nie ein normales Leben führen.“Mit ihm ging sie nach Kanada ins Asyl, inzwischen ist es ihre Heimat. „Da kann ich frei leben und fühle mich sicher.“Mit Vietnam, wo ihre Geschwiste­r sind, verbindet sie nur die schrecklic­he Kindheit. „Aber meine Herkunft vergesse ich nicht.“

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DPA-BILD: MUNOZ Die Vietnamesi­n Kim Phuc Phan Thi: Sie wurde als Neunjährig­e nach einem Napalm-Angriff 1972 auf ihr Dorf durch ein Kriegsfoto bekannt.

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