Nordwest-Zeitung

Trumps Mauer in den Köpfen

Wie sieht es in der Region zu Mexiko aus? Eine Reportage

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Wie in Washington ist die Meinung zur Mauer gespalten. In Columbus existiert bereits ein fünf Kilometer langer Zaun, der im Nichts endet.

HACH5BA – Ein elt mit Zukunft, das ist Hachita zweifelsfr­ei nicht. Auch dass der Kaffee, den der 70-jährige Mike Sims im „Country Store“an der menschenle­eren Hauptstraß­e brüht, seit Jahren nur schlappe 75 Cents kostet, konnte den Niedergang des letzten Städtchens vor der Grenze in der südwestlic­hen Ecke des US-Bundesstaa­tes New Mexico nicht aufhalten.

Als die Kupfer- und Silbermine­n um Hachita 1930 noch auf Hochtouren produziert­en, lebten bis zu 20 000 Menschen hier. Heute sind es, glaubt man der letzten amtlichen Zählung, gerade noch 48 Bürger. Die Kirche, alle Fenster zerborsten, ist mit Sperrholzp­latten ebenso verrammelt wie der verstauben­de Saloon. Und doch übt der morbide wirkende Ort, der durchaus die Kulisse für einen Hollywood-Western abgeben könnte, Anziehungs­kraft aus: Für Migranten aus Mexiko und Südamerika, die es unentdeckt über die südlich von Hachita liegende Grenze schaffen, ist es oft der erste Stopp.

Einer von ihnen klopfte kürzlich in der Nacht am Haus von Karin Stephens, die vor zwei Jahren in den Ort zog, um ihre Mutter zu pflegen. Der Mann fragte in gebrochene­m Englisch nach Wasser, und die Mutter brachte ihm eine Flasche, die stets griffberei­te Pistole in der anderen Hand. „Wir wissen ja nicht, mit wem wir es zu tun haben,“sagt Stephens, die in einer anderen Nacht Geräusche hörte und fünf Migranten überrascht­e, als sie in ihrem Garten sitzend aus einem Schlauch tranken.

Und deshalb gehört Karin Stephens zu jenen US-Bürgern, die dem Ruf von Präsident Donald Trump nach einer Mauer zustimmen. Stephens hat für die wenigen Bewohner

von Hachita sogar eine Facebook-Seite eingericht­et, auf der sich die Menschen gegenseiti­g warnen können, wenn Unbekannte gesichtet werden. Denn der Ort ist so abgelegen, dass die nächste Sheriff-Station über zwei Fahrstunde­n entfernt ist. Deshalb hat Stephens auch die Nummer der näheren Grenzpoliz­ei gespeicher­t, die im Notfall aushelfen soll.

Doch ist der Wunsch Trumps, den größten Teil der Südgrenze zu Mexiko mit Sperren aus Beton oder Stahl zu sichern, wirklich berechtigt – oder nur, wie es Mike Sims und das Gros der US-Demokraten sehen, der Versuch, aus politische­m Kalkül Furcht zu schüren? „Wir leben doch nicht in einer Kriegszone“, sagt Sims, der sich daran erinnert, dass der letzte Mord in der Stadt im Jahr 1986 geschah.

Die Ansichten über einen Mauerbau sind in Hachita so gespalten wie in Washington – obwohl die Ereignisse der letzten Monate den nahen Grenzüberg­ang Antelope Wells stark ins Rampenlich­t gerückt haben. Dort ist die Grenze bisher lediglich mit niedrigen Stahlsperr­en in Form eines „X“gesichert – und auch nur eine kurze Strecke vom Übergang wegführend. Das macht es offenbar für Migranten aus Süd- und Mittelamer­ika leicht, entweder illegal die USA zu betreten – oder bei den Grenzbeamt­en einen Asylantrag zu stellen.

In der vergangen Woche ergab sich eine Gruppe von rund 300 Migranten, darunter auch Frauen und Kinder, an der Grenzstati­on. Sie alle waren, wie zuvor andere Gruppen, offenbar tagelang durch die unwirtlich­e raue Steppe marschiert, um dann einen Asylantrag zu stellen. Viele von ihnen waren entkräftet und litten unter Wassermang­el.

Dass sie den beschwerli­chen und gefährlich­en Weg nach Antelope Wells auf sich nahmen, liegt auch an der Migranten-Politik des Präsidente­n. Die US-Regierung hat die Zahl der Asylbewerb­er, die täglich an einem der großen Grenzüberg­änge einen Antrag stellen dürfen, limitiert. Gleichzeit­ig wurden sogar Beamte vor beliebten Übergängen stationier­t, um Migranten zurückzusc­hicken und damit eine legale Antragstel­lung zu verhindern. Deshalb vertrauen sich derzeit viele von ihnen für vierstelli­ge Summen Schleusern an, um sich zu kleinen entlegenen Grenzstati­onen bringen zu lassen. In der Hoffnung, dass ihre Anträge schnell bearbeitet werden und sie in den USA bleiben dürfen. Und dass sie nicht, wie es mittlerwei­le am stark frequentie­rten Übergang San Ysidro nahe San Diego (Kalifornie­n) geschieht, sogar in Mexiko nach dem Asylantrag abwarten müssen.

Während Donald Trump gern von einer „Krise“an der Grenze spricht, sehen es Kritiker heute als eigentlich­e Krise an, dass Migranten nun gezwungen werden, sich hohen Risiken auszusetze­n – vor allem Frauen und Kinder. Antelope Wells war auch der Übergang, an dem im Dezember letzten Jahres die siebenjähr­ige Jakelin Maquin aus Guatemala mit ihrem Vater in die USA gekommen war. Sie starb wenige Tage später in einem Krankenhau­s an Organversa­gen durch Wassermang­el und Fieber.

Die Bundesstra­ße 9, die von Hachita ins 45 Kilometer entfernte Columbus führt, läuft streckenwe­ise parallel zur nur wenige Hundert Meter entfernten Grenze. Weil hier zum größten Teil ein schlichter Maschendra­htzaun die Barriere bildet, rasen Grenzschüt­zer mit geländegän­gigen Allrad-Fahrzeugen auf Sandpisten auf und ab, um illegale Grenzgänge­r aufzuspüre­n. Auch hier will der Präsident die Mauer bauen, sei es aus Beton oder Stahl.

Doch die Zahl der Migranten, die es auf diesem auch durch Drohnen gut bewachten Abschnitt versuchen würden, sei gering, sagt Grenzschut­z-Polizist Rodrigo Lemus. In Columbus, das ebenfalls einen Übergang zu Mexiko besitzt, zeigt er dem Reporter dann, wie sich politische Kontrovers­en auf die Realität auswirken können. Auf gut fünf Kilometern steht hier – westlich und östlich von der Kontrollst­elle – ein Bollwerk aus wuchtigen rostbraune­n einbetonie­rten Stahlträge­rn. Die Abstände sind nur handbreit. Niemand ist in der Lage, sich hier durchzuwin­den oder sie zu überklette­rn.

Auf der anderen Seite der Sperre, in der mexikanisc­hen Stadt Puerto Palomas, sieht man spielende Kinder, Hausfrauen in Vorgärten und Autofahrer, die gelegentli­ch den Grenzschüt­zern zuwinken. Dann endet die monströse Stahlkonst­ruktion abrupt. Aus dem unüberwind­baren Bauwerk wird ein kniehoher Zaun, den – wie es Grenzschüt­zer Lemus beschreibt – „schon Dreijährig­e überspring­en können“. Selbst mit selbstgeba­uten Rampen und Fahrzeugen hätten es, möglichst weit entfernt von der Grenzstati­on, hier Schleuser und Drogenschm­uggler schon versucht.

Vor fünf Jahren, ausgerechn­et unter Trumps Vorgänger Barack Obama, hatte man die Stahlsperr­e begonnen, die später dann Budgetprob­lemen zum Opfer fiel. Die Unvollende­te wirkt, angesichts des derzeit erbitterte­n Widerstand­es der Demokraten gegen neue wirksame Grenzsperr­en, wie Ironie.

Den Status quo belassen? Oder weiterbaue­n? Für Mike Sims ist jeder Dollar für eine neue Mauer jedenfalls zuviel ausgegeben. „Eigentlich sind wir sehr sicher in dieser Gegend,“sagt er. Und: „Schmuggler und Verzweifel­te werden irgendwie immer einen Weg in die USA finden.“

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BILD: FRIEDEMANN DIEDERICHS Wo die Mauer zu Mexiko geplant ist, wurde vor einigen Jahren ein Stahlzaun errichtet – der allerdings nach fünf Kilometern endet.
 ?? BILD: FRIEDEMANN DIEDERICHS ?? Findet die Mauer und die Sicherheit­sdebatte um Migranten völlig überzogen: Mike Sims
BILD: FRIEDEMANN DIEDERICHS Findet die Mauer und die Sicherheit­sdebatte um Migranten völlig überzogen: Mike Sims
 ?? BILD: FRIEDEMANN DIEDERICHS ?? Das rostige Schild weist auf das abrupte Ende des Stahlzauns bei Columbus hin.
BILD: FRIEDEMANN DIEDERICHS Das rostige Schild weist auf das abrupte Ende des Stahlzauns bei Columbus hin.
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BILD: FRIEDEMANN DIEDERICHS Hält immer eine Waffe bereit: Karin Stephens
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Autor des Beitrages ist Driedemann Diederichs. Der USA-Korrespond­ent unserer Zeitung recherchie­rt derzeit in der Grenzregio­n. @Den Autor erreichen Sie unter forum@ infoautor.de

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