Nordwest-Zeitung

Von der Kirche mit den zwei Leben

U–sula Tangen lässt die besondere Geschichte der Kirche St. Petri zu den Fischteich­en lebendig werden

- VON ELLEN KRANZ

Das kleine, fast unscheinba­re Gotteshaus am Blockhaus Ahlhorn wurde erst 1949/50 erbaut. Und doch hat es eine bewegte Geschichte – und ein außergewöh­nliches Altarbild.

GROßENKNE EN/GARREL – Eine schmale Straße führt knapp vier Kilometer zu den Ahlhorner Fischteich­en. Über einen der Teiche hinweg ist auf der linken Seite bereits aus der Ferne ein Blick auf das Blockhaus Ahlhorn, zugehörig zur Gemeinde Großenknet­en möglich. Doch erst vor Ort ist die schlichte, fast unscheinba­re evangelisc­he Kirche St. Petri zu den Fischteich­en mit dem kleinen Dachreiter mit Glockenstu­hl und Kreuz zu sehen – sie liegt ein wenig abseits, rechter Hand der Zufahrtsst­raße.

„Die Glocke des kleinen Glockenstu­hls kann nicht mehr geläutet werden“, sagt Ursula Tangen und deutet auf einen hölzernen Turm mit drei Glocken neben der Kirche, auf dem ein Hahn thront. „Der Turm wurde Anfang der 90er Jahre hinzugefüg­t und läutet heute zum Gottesdien­st.“

Schlichthe­it überzeu t

Seit 2013 ist Ursula Tangen Kirchenfüh­rerin. Die 72-Jährige kommt gebürtig aus Süddeutsch­land, zog vor rund zehn Jahren mit ihrem Mann nach Oldenburg. „Die Schlichthe­it der Kirche hat mir sofort gefallen – und ihre spannende Geschichte“, sagt sie und betritt das Gotteshaus durch die linke Eingangstü­r „Es gibt zwei Eingänge, wahrschein­lich aus praktische­n Gründen.“

Praktisch. Das passt auch zu der Kirche selbst, hat sie doch eine besondere Geschichte. „Die Kirche hat bereits einmal ihren Standort gewechselt.“In den Jahren 1949/50 wurde sie in Steinfeld im Kreis Vechta aufgebaut und blieb bis 1964 in Betrieb. Damals wurde in Steinfeld eine größere, steinerne Kirche gebaut, da die Gemeinde stark angewachse­n war. „Erst im Jahr 1982 wurde sie hier bei den Ahlhorner Fischteich­en wieder aufgebaut“, sagt Ursula Tangen und betont: „Normalerwe­ise bleibt eine Kirche über Jahrhunder­te an ihrem Ort – der Umzug ist wirklich eine Besonderhe­it.“

Heimat für Flüchtlin e

Baugleiche Kirchen wie die am Blockhaus Ahlhorn gibt es insgesamt an noch etwa 19 anderen Standorten – alle aus dem gleichen Material. Eine davon steht auch heute noch in Garrel. „Sie wurden damals aus der Not heraus als Serie gebaut, was ihnen auch den Namen ,Notkirche‘ einbrachte, der heute aber nicht mehr verwendet wird“, erklärt Ursula Tangen, die sie als „Fertigkirc­he“bezeichnet.

Die Gotteshäus­er sollten damals Flüchtling­en und Vertrieben­en des Zweiten Weltkriegs eine neue Heimat geben – insbesonde­re wenn sie als protestant­ische Gläubige in katholisch­em Gebiet angesiedel­t wurden.

Nach Steinfeld kamen damals rund 1700 Flüchtling­e und Heimatvert­riebene – rund 1000 von ihnen waren Protestant­en. Sie kamen aus Niederschl­esien, Ostpreußen oder Pommern, waren oftmals aus Großstädte­n wie Breslau geflüchtet. „Die meisten Katholiken im Oldenburge­r Münsterlan­d hatten keine Erfahrung im Umgang mit Protestant­en oder urbanen Gepflogenh­eiten“, sagt Ursula Tangen. Und die Heimatvert­riebenen hatten in der katholisch­en Gegend keine Möglichkei­t, sich zu treffen. „Sie wohnten in Holzbarack­en oder wurden einquartie­rt. Es war erschütter­nd. Doch sie wollten eine evangelisc­he Heimat haben“, erzählt die Kirchenfüh­rerin.

„Für mich hat das einen starken symbolisch­en Wert“, sagt sie. Die Kirche könne bewegt und dorthin mitgenomme­n werden, wo sie benötigt werde. Somit stand auch bald das Thema für ihre Kirchenerk­undung fest: „Die zwei Leben dieser Kirche“. Der Zielgruppe, Tagungsgäs­te, würde sie zunächst eine Frage stellen, sagt Ursula Tangen: „Wie würde es mir gehen, wenn ich damals hier angekommen wäre?“So würden Gefühle wie Zusammenha­lt entstehen. „Eventuell könnte man auch eine Brücke zur heutigen Zeit schlagen. Es ist eine Kirche, die umgezogen ist – sie ist ein Kind ihrer Zeit.“

Schließlic­h sei der Architekt Otto Bartning (1883-1959) auf den Plan getreten. „Der spätere Bundestags­präsident Eugen Gerstenmai­er fragte ihn, ob er ein Notkirchen­programm entwerfen könne“, sagt Ursula Tangen. Er habe mehrere Varianten für Kirchen in zerstörten Städten entworfen und zwei Varianten entwickelt: das „Gemeindeze­ntrum Typ D“und die „Kapelle“für Diasporage­meinden.

„Die Gemeinden mussten nur Grundstück und Sockel zur Verfügung stellen“, sagt die 72-Jährige. Wieder kommt einem das Wort „praktisch“in den Sinn. „Der Architekt wollte kostengüns­tig bauen – die Kirche St. Petri wurde vom lutherisch­en Weltbund gestiftet.“Die Bauteile wurden dann vor Ort von Zimmerleut­en aufgebaut und mit einem Kran aufgestell­t. „Alle Kirchen haben durch ein umlaufende­s Lichtband mit Fenstern eine Erhöhung.“Je nach Vermögen der Gemeinde konnten anschließe­nd Bänke, Klapptisch­e, Altar, Pult oder ähnliche Einrichtun­gsgegenstä­nde dazugekauf­t werden.

Einfache Elemente

„Dem Architekte­n waren vor allem drei Punkte wichtig: die künstleris­che Gestaltung des Raumes, die Lösung funktional­er Probleme sowie die Suche nach einfachen Elementen und Systemen zur leichten Montage.“

Zeitsprung. 1982. Die Kirche wird auf dem Gelände Blockhaus Ahlhorn aufgebaut. In diesem Zusammenha­ng sei auch Geschichte des Blockhause­s Ahlhorn wichtig, so Ursula Tangen: „Während des Dritten Reiches hat Gauleiter Carl Röver Gefallen an dem Gelände gefunden. Parteitage und Parteifest­e haben hier stattgefun­den. Nach dem Krieg hat die evangelisc­h-lutherisch­e Kirche hier eine Jugendfrei­zeitstätte errichtet.

Auch der Innenraum der Kirche wirkt schlicht. Schmuck und Prunk sucht man hier vergebens. Der Boden und die Wände sind überwiegen­d aus Holz. Holzstühle mit grünen Kissen stehen in einem leichten Halbkreis, lassen sich nach Belieben anders platzieren. Auch die kleine Orgel, ein Flügel, die Prinzipals­tücke wie Altar, Kanzel oder Lesepult, sowie die alten Klappläden sind aus Holz. Auf dem Altar steht ein schlichter Strauß mit blassrosa-farbene Tulpen. Zwei große weiße Stumpenker­zen brennen, die Bibel liegt geöffnet in der Mitte.

Ein besonderes Fenster

Sofort ins Auge fällt das große Fenster hinter dem mittlerwei­le ebenerdige­n Altarberei­ch. „Das Fenster macht den Charme aus. Und es ist gleichzeit­ig Altarbild“, sagt Ursula Tangen. „Die Besucher sind mit der Natur, den Vögeln, Fischen und Schmetterl­ingen verbunden – viele bezeichnen es als das schönste Altarbild im Oldenburge­r Land. Alle Jahreszeit­en lassen sich hier erleben. Im Gegensatz zu vielen Kirchen, die eine geschlosse­ne Altarfront haben, gibt es hier eine Kommunikat­ion mit der Außenwelt.“

In der rechten Ecke des Fensters hängt eine Friedensta­ube mit einem Ölzweig. Auch das aus Sandelholz gefertigte Kreuz auf dem Altar, das nur in Umrissen erscheint, fügt sich in dieses Bild ein, bietet einen Blick hindurch auf den Fischteich. Auf die Ruhe der Natur rund um das Blockhaus Ahlhorn.

In dieser Serie stellen wir besondere Kirchen im Oldenburge­r Land vor. Dabei lassen wir uns von verschiede­nen Kirchenfüh­rern Einblicke in die jeweiligen Gotteshäus­er geben, die über eine normale Erkundung hinausgehe­n und viele spannende Blickwinke­l liefern.

Die nächste Folge erscheint am Dienstag, 26. Februar.

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BILDER (5): TORSTEN VON REEKEN B5sonderes Altarbild: Aus der Kirche St. Petri blicken die Besucher auf einen der Fischteich­e.
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Viel Atmosphäre: Ein umlaufende­s Fensterban­d spendet der Gemeinde Licht..
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Symbol: Eine Friedensta­ube ist am Fenster befestigt.
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Lässt die Geschichte lebendig werden: Ursula Tangen
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Hat eine interessan­te Geschichte: Die Kirche stand früher in Steinfeld und wurde 1982 wieder aufgebaut.

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