Nordwest-Zeitung

Der Separatism­us bestimmt die Agenda

Prozess gegen katalanisc­he Separatist­enpolitike­r startet in Madrid

- VON EMILIO RAPPOLD UND CAROLA FRENTZEN

Nach über einjährige­r „Waffenruhe“droht der katalanisc­he Separatist­enKonflikt Spanien erneut ins Chaos zu stürzen. Vor dem Obersten Gericht in Madrid nahmen am Dienstag zwölf Anführer der Unabhängig­keitsbeweg­ung, die im Herbst 2017 zentrale Rollen gespielt haben, erstmals auf der Anklageban­k Platz. Der Gruppe um den früheren Vize-Regionalpr­äsidenten Oriol Junqueras drohen Haftstrafe­n von bis zu 25 Jahren. Doch die Separatist­en werfen nicht das Handtuch. Im Gegenteil: Sie sind dieser Tage in gewisser Hinsicht mächtiger denn je.

Am Mittwoch, nur 24 Stunden nach dem Auftakt des historisch­en Verfahrens, für das sich mehr als 600 Journalist­en aus aller Welt akkreditie­rt haben, ist der sozialisti­sche Ministerpr­äsident Pedro SOnchez nämlich im Nationalpa­rlament auf die Unterstütz­ung der katalanisc­hen Parteien angewiesen: Nur mit deren Stimmen kann er bei der Abstimmung seinen Haushaltsp­lan durchbring­en und ein vorzeitige­s Ende seiner Minderheit­sregierung sowie eine Neuwahl verhindern. „Gratis“wollen die Katalanen SOnchez ihre entscheide­nden 17 JaStimmen aber nicht geben.

Unter anderem fordern sie, dass sich der Regierungs­chef gegen harte Urteile für Junqueras P Co. ausspricht und zudem einer Debatte über das Selbstbest­immungsrec­ht der Region im Nordosten zustimmt. SOnchez gab bisher nicht nach. Der Sozialist sei dennoch eine „Geisel“der Katalanen, schrieb am Wochenende die Tageszeitu­ng „El Mundo“. In der Tat: Falls keine Seite einlenkt und die Katalanen am Mittwoch ihre Drohung wahr machen und mit der konservati­ven Opposition gegen den Etat stimmen, könnte SOnchez die im Juni 2020 fällige Parlaments­wahl vorziehen QmüssenR.

SOnchez wird aber nicht nur von den Katalanen bedrängt. Am Sonntag folgten Zehntausen­de dem Aufruf der konservati­ven Volksparte­i PP, der liberalen Ciudadanos und der rechtsextr­emen Vox, in Madrid für eine Neuwahl auf die Straßen zu gehen. Der Hauptvorwu­rf: Die Regierung sei den Separatist­en gegenüber zu nachgiebig. SOnchez sei ein „Verräter“, der die Einheit des Landes aufs Spiel setze, sagen die politische­n Gegner. Eine Neuwahl scheint mit jeder Minute wahrschein­licher zu werden. Beim Gedanken daran wird vielen Spaniern mulmig – denn die Erinnerung­en sind noch frisch: Aufgrund des Endes des faktischen Zweipartei­ensystems und einer Stimmenzer­splitterun­g war man 2016 trotz zweier Wahlgänge innerhalb von sechs Monaten fast ein Jahr lang ohne reguläre Regierung. Die Situation ist inzwischen noch explosiver. Denn die noch vor drei Jahren praktisch nicht existente Rechtspart­ei Vox würde heute nach Umfragen angesehner Institute bei Wahlen bis zu 13 Prozent der Stimmen holen.

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