Der Greta-Effekt
ürs Klima, gegen Waffen, gegen Plastik: Vielerorts, auch hier im Nordwesten, kämpfen junge Akti7isten wie Greta Thunberg für eine bessere Welt. Durch das Internet fühlen sie sich 7erbunden. Eine große Frage dabei lautet: Werden ihre Aktionen Bestand haben?
STOCKHOLM – Neben der Klimaschutz-Ikone Greta stehen drei Dutzend Mitstreiter im Schnee von Stockholm. Die langen Zöpfe sind unter einer doppelten Lage Wollmützen verborgen. Greta Thunberg, 16 Jahre alt und der aktuelle Star in einer Reihe junger Polit-Aktivisten, steht wieder vor dem Stockholmer Parlament. Es ist Freitag – ihr Tag. Sie will erreichen, dass sich Schweden, besser noch die Politik weltweit, stärker einsetzt gegen das Aufheizen der Erde. Mit diesem Appell wurde sie zur UN-Klimakonferenz ins polnische Kattowitz (Katowice) und zum Weltwirtschaftsforum ins schweizerische Davos eingeladen.
Im August, nachdem der Dürre-Sommer auch ihr Land ächzen ließ, hatte sie losgelegt mit den Protesten. Inzwischen folgen international Tausende Mädchen und Jungen ihrem Beispiel und gehen bei Großdemos für die Umwelt auf die Straße. Die verbindenden Losungen lauten #FridaysForFuture (Freitage für die Zukunft) und #YouthForClimate (Jugend fürs Klima).
Gretas Aktion wirkt an diesem Wintertag eher mini. Besonders im Vergleich zu den Demos in anderen Ländern Europas. Selbst in deutschen Kleinstädten kommen inzwischen mehr junge Leute zu Schulstreiks fürs Klima zusammen als hier, wo alles anfing. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum das gerade unter Jugendlichen in Belgien, Deutschland, Australien und Kanada so groß geworden ist“, sagt die 16-Jährige, die kaum über 1,50 Meter groß ist. Sie spricht leise und sieht noch jünger aus, als sie ist. „In Schweden ist es nicht so groß geworden, das ist seltsam.“Sie sieht es trotzdem positiv: „Am ersten Tag saß ich ganz alleine hier.“Seit dem zweiten Tag seien schon ein paar Leute dazukommen.
Greta Thunberg ist in weniger als einem halben Jahr zur Vorreiterin geworden. Doch von was eigentlich? Von einer neuen weltweiten Jugendbewegung? Sie gilt als europäisches Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation. Doch können die so angestoßenen Demonstrationen gar, wie
„Die Zeit“andeutet, in eine „globale gesellschaftliche Bewegung“münden, die 2019 zum Wendepunkt fürs Klima macht?
Fakt ist, dass verschiedene junge Menschen gerade sehr schnell zu politischen Symbolfiguren wurden. In den USA etwa erhob Emma González 2018 spektakulär ihre Stimme gegen Politiker und die einflussreiche Waffenlobby. Sie und andere junge Menschen initiierten nach dem Schulmassaker von Parkland (Florida) vom Februar Massenproteste.
Manche Jung-Aktivisten sind bereits weit gekommen: Die pakistanische Kinderrechtsvorkämpferin Malala Yousafzai erhielt schon mit 17 den Friedensnobelpreis. Heute, 21 Jahre alt, engagiert sie sich bei den Vereinten Nationen. Oder der Deutsche Felix Finkbeiner bekannt für die Organisation Plant-for-the-Planet. Seit mehr als zehn Jahren wirbt der heute 21-Jährige bereits dafür, Bäume für den Klimaschutz zu pflanzen. Auch er tourt im Namen der Vereinten Nationen.
„Es gibt eine politische Mo- bilisierung bei den jungen Menschen in den letzten Jahren, die ist bemerkenswert“, stellt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. „Das haben eigene Studien und die Auswertungen der regelmäßig stattfindenden Allbus-Erhebungen ergeben.“Allerdings sei das wachsende Politik-Interesse auch bei Erwachsenen zu beobachten, sagt die Sozialforscherin. Der Trend gehe also in die gleiche Richtung.
„Auch früher haben junge Leute schon protestiert, etwa gegen neue Atomwaffen in Europa, Waldsterben oder AKW“, ordnet der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, Professor Ulrich Reinhardt, ein. „Natürlich spielt auch das Happening als solches für die junge Generation eine Rolle: Man ist mit anderen bei einer Aktion – und dieses ist für viele attraktiver, als zur Schule gehen“, sagt er. „Nichtsdestotrotz ha- ben wir jetzt eine Generation, die politisch interessierter ist als noch die Generation davor.“
Doch wie entsteht auf der Basis von Politik-Interesse eine Vorreiterin? Was macht den Greta-Effekt aus? Sicher gehören klare Aussagen und persönliche Betroffenheit dazu: Ende 2018 in Kattowitz und Anfang 2019 in Davos erklärte Greta der Welt die Dringlichkeit der Klimakrise. „Erwachsene sagen immer wieder:Wirsindesden jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu geben. Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet“, sagte sie in Davos. „Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es.“
Zum anderen nutzt die junge Schwedin ein Werkzeug, das frühere Generationen nicht hatten: das Internet. Die 16-Jährige weiß, dass sie mit ihrem Protest in den sozialen Netzwerken Ländergrenzen spielend überspringt. Auf Twitter folgen ihr knapp 160 000 Menschen, auf Instagram mehr als 250000. Die Schülerin schreibt und teilt unentwegt. Über das Netz fühlt sie sich mit anderen Aktivisten verbunden.
Auf ihre Vorbildrolle angesprochen, zuckt Greta Thunberg, die Nachfahrin eines Chemienobelpreisträgers, mit den Schultern. Vorbilder, sagt sie, sind andere für sie. „Meistens sind das Leute, die zu mir kommen und sagen, dass sie zum Beispiel aufgehört haben, zu fliegen. Die zu Veganern geworden sind wegen des Klimas und so etwas. Das müssen keine berühmten Menschen sein.“
Ob die aktuellen Schülerproteste zu einer nachhaltigen Politisierung der jungen Generation führen, kann Jugendforscherin Gille noch nicht sagen. „Da muss man einfach etwas länger abwarten.“Viele Faktoren spielten eine Rolle, etwa die Medien.
„Es mag sein, dass die erste Welle der Proteste vorübergeht“, sagt auch Claudia Langer, Vorstand der Generationen Stiftung in Berlin. „Aber das ist aus meiner Sicht irrelevant, weil sich bereits etwas in unsere Köpfe gebrannt hat. Die Proteste von Parkland kann ich bei meinen Gesprächspartnern abrufen. Und wir alle werden noch in fünf Jahren wissen, wer Greta Thunberg ist.“ Auch an diesem Freitag wollen sich die Schüler dort wieder um 10 Uhr auf dem Theatervorplatz versammeln. Die Demo in Osnabrück ist diesmal die einzige in der Region, zu der öffentlich aufgerufen wird.
Doch das muss nichts heißen, denn auch in der Vergangenheit wurden viele kleinere Aktionen nicht über die offiziellen Internetportale angekündigt. So streikten beispielsweise in der vergangenen Woche knapp 200 Gymnasiasten in Esens sowie mehrere Hundert Schüler in Bramsche und in der Woche zuvor hatten 50 Internatsschüler vor dem Rathaus auf Spiekeroog protestiert.
Auch für Bremen ist an diesem Freitag keine weitere Demo angekündigt. Zuletzt waren in der Hansestadt etwa 400 Jugendliche für den Klimaschutz auf den Marktplatz gezogen. Bis auf weiteres werde es dort keine wöchentlichen Demos mehr geben, erklären die Organisatoren auf Facebook, weil man sich auf den internationalen Streik am 15. März konzentrieren will.
#FridaysForFuture-Gruppen haben sich zudem in Friesoythe, Cuxhaven, Varel und Leer gebildet. Meist kommunizieren die Jugendlichen über den Internet-Dienst WhatsApp und sprechen dort ihre Aktionen ab. Wo genau an diesem Freitag demonstriert werden wird, weiß daher vermutlich niemand genau zu sagen.
ZWir haben jetzt eine Generation, die politisch interessierter ist als noch die Generation davor“ULRICH REINHARDT