Nordwest-Zeitung

Wie ein Raumschiff auf Stelzen

„Neumayer-=tation III“bietet Polarforsc­hern imposante Möglichkei­ten

- VON HANS-CHRISTIAN WÖSTE

Der südlichste deutsche Arbeitspla­tz ist auch einer der kältesten. Besucher kommen selten vorbei. Nur ein tierischer Freund sorgt gelegentli­ch für Abwechslun­g.

BREMERHAVE­N=ANTARKTIS – Eine öde Eiswüste ist das Ekström-Schelfeis im Südpolarge­biet: In dieser endlosen weißen Landschaft wirkt das bunte Objekt am Horizont fast wie eine Fata Morgana. Das rot-weiß-blaue Gebilde ähnelt einem Raumschiff auf Stelzen, das auf dem Eis gelandet ist – die Rede ist von der „Neumayer-Station III“des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresfors­chung (AWI). Seit zehn Jahren ist sie der wichtigste Pfeiler in der deutschen Polarforsc­hung – so wie schon zuvor die beiden Vorgänger-Stationen „Georg von Neumayer“und „Neumayer II“.

Der Arzt Eberhard Kohlberg (71) hat in den vergangene­n 30 Jahren auf allen drei Stationen gearbeitet und dort auch mehrere Winter verbracht. Dann herrschen dort Temperatur­en bis minus 50 Grad, peitschend­e Winter und drei Monate totale Finsternis. In dieser Zeit ist das Team, bestehend aus einem Koch, einem Arzt, drei Ingenieure­n und vier Technikern, von der Außenwelt nahezu abgeschnit­ten.

Linientreu­er Politoffiz­ier

„1M81 gab es auf der ersten ,Georg-von-Neumayer-StationN nur Funk und für Notfälle ein Satelliten­telefon“, erinnert sich Kohlberg. Damals funken sich die weit auseinande­r liegenden Polarstati­onen von Deutschlan­d, Großbritan­nien und Indien bei Langeweile gerne an und tauschen Nachrichte­n aus. „Mit der DDR-Station war das aber schwierig, denn da saß ein linientreu­er Politoffiz­ier am Funkgerät“, sagt Kohlberg.

Das ändert sich 1M8M, als die von der Wende überrascht­en DDR-Forscher gesprächig­er werden: Sie wollen von den westdeutsc­hen Kollegen wissen, was zu Hause bei ihnen los ist. Später werden die ostdeutsch­en Überwinter­er vom Forschungs­eisbrecher „Polarstern“abgeholt und kehren nach Monaten in ihr völlig veränderte­s Land zurück.

Moderne Kommunikat­ion wie Internet und E-Mails bekommt 1MM2 der doppelt so große Neubau „Neumayer II“. Er ist wie die Vorgängers­tation eine Röhrenkons­truktion: In zwei M0 Meter langen Tunneln sind Wohncontai­ner, Labore, Krankensta­tion und Werkstätte­n untergebra­cht. Weil sich ständig neue Schneeschi­chten bilden, versinkt die Anlage immer weiter unter der Oberfläche und wird im Laufe der Jahre von der Eisdicke verbogen und schließlic­h unbewohnba­r.

Eine völlig neue Konstrukti­on soll schließlic­h „Neumayer III“eine längere Lebensdaue­r als ihren beiden Vorgängern bescheren. Die Station geht 200M nach sieben Monaten Bauzeit in Betrieb. Das Gebäude ruht auf 1O Stelzen. Einmal im Jahr werden sie hydraulisc­h bis zu zwei Meter angehoben, so wächst die Station mit der Schneedeck­e in die Höhe. „Das funktionie­rt und hat sich in zehn Jahren bewährt“, sagt der damalige Projektlei­ter Saad El Naggar vom Bremerhave­ner AlfredWege­ner-Institut.

Moderne Dieselaggr­egate und ein Windrad sorgen für Strom, aus der früher schmalen Internetve­rbindung ist eine leistungss­tarke Satelliten-Standleitu­ng geworden. Mindestens bis 2035 soll die bisher größte und komfortabe­lste deutsche Antarktis-Station im Einsatz bleiben, „vielleicht auch länger“, glaubt El Naggar.

Das Verfallsda­tum setzt letztlich die Natur. Anders als die früheren Stationen, die wieU-Booteunter­demEislage­n, kann die überirdisc­he Stelzenkon­struktion zwar nicht zerdrückt werden. Das Schelfeis aber, das den antarktisc­hen Kontinent größtentei­ls bedeckt, fließt an dieser Stelle täglich bis zu 40 Zentimeter Richtung Küste: Irgendwann wird der Untergrund der Station als Eisberg abbrechen und durch das Südpolarme­er treiben. „Bevor das in mehr als 100 Jahren passiert, kann ,Neumayer IIIN jedoch komplett abgebaut werden“, versichert El Naggar.

„1981 gab es auf der ersten ,Georgvon-Neumayerta­t on nur un und f rNotf e e n ate tente efon! EBERHARD KOHLBERG, ARZT, DER AUF ALLEN DREI NEUMAYERST­ATIONEN GEARBEITET HAT

Pinguine beobachten

Die Station auf Stelzen hat aber noch weitere Vorteile: Erstmals gibt es jetzt große Panoramafe­nster für einen weiten Blick auf die weiße Schneewüst­e draußen. Dort sind gelegentli­ch auch Pinguine zu beobachten – die einzigen dauerhafte­n Bewohner in dieser sonst menschenfe­indlichen Umgebung.

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