Nordwest-Zeitung

Bei Rückkehr in die Gesellscha­ft helfen

Islamismus-Expertin Dantschke über Kinder von IS-Kämpfern

- VON MAREN BREITLING

FRAGE: Der ehemalige Verfassung­sschutzprä­sident HansGeorg Maaßen nannte sie „lebende Zeitbomben“– die Kinder von IS-Kämpfern. Viele von sind im Kriegsgebi­et auf die Welt gekommen. Nun kehren ihre Eltern allmählich mit ihnen nach Deutschlan­d zurück. Frau Dantschke, wie bewerten Sie Schlagwort­e wie „lebende Zeitbomben“? DANTSCHKE: Vorurteile sind ein großes Problem. Diese Aussagen unterstell­en pauschal, dass jedes zurückkehr­ende Kind ein potenziell­er Terrorist ist. Wir müssen die Gefahr ernst nehmen, und ich kann Ängste verstehen. Aber Kinder sind immer erstmal Opfer – und wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht zu Tätern werden. Zudem muss ich sagen: Die Eltern haben sich in Deutschlan­d radikalisi­ert und sind dann ausgereist. Es sind unsere Staatsbürg­er. Wir müssen alles tun, um die Gefahr zu bannen. Das geht am

Claudia Dantschke

(56) ist Islamismus-Expertin. Sie leitet die Beratungss­telle für Deradikali­sierung Hayat (u.a. Bonn). Die Initiative arbeitet seit 2011 mit radikalisi­erten Personen oder solchen, die in Beziehung zu diesen Personen stehen.

besten, indem man sich um sie kümmert. Dadurch können sie sich von der Ideologie distanzier­en und wieder in die Gesellscha­ft integriert werden.

FRAGE: Sind Kinder von ISRückkehr­ern denn gefährlich? DANTSCHKE: Bisher gibt es keine Hinweise, dass Kinder aus Deutschlan­d bei Kampfausbi­ldungen im Kriegsgebi­et dabei waren. Aber Psychologe­n müssen prüfen, unter welchem psychologi­schen Druck die Kinder standen. Vor allem bei älteren Kindern muss genauer auf die ideologisc­he Beeinfluss­ung durch die Eltern geschaut werden. FRAGE: In welcher Verfassung kommen die Kinder hier an? DANTSCHKE: Rund die Hälfte der deutschen Kinder ist dort geboren und wahrschein­lich unter drei Jahre alt. Manche Familien sind rechtzeiti­g rausgekomm­en. Andere haben Kämpfe erlebt und sind erst in letzter Minute evakuiert worden. Daher untersuche­n wir mit Psychologe­n, ob sie Traumatisc­hes erlebt haben und wie sie es verarbeite­t haben. Klassische Kriegseinf­lüsse wie Mangelernä­hrung oder Krankheite­n spielen eine Rolle. Bei manchen Kindern kommt es daher zu Entwicklun­gsstörunge­n. Hier kann man nicht generalisi­eren, vor allem nicht bei Kleinkinde­rn. FRAGE: Wenn Rückkehrer hier sind – wie geht es weiter? DANTSCHKE: Wichtig ist, dass sich Rückkehrer an Beratungss­tellen wenden. Vor allem die Erwachsene­n müssen ihre Taten und Erlebnisse aufarbeite­n. Manche Rückkehrer haben nicht mit der Ideologie des IS gebrochen, sondern sind nur aufgrund des Krieges und des Zerfalls des Kalifats zurückgeke­hrt. Da hat keine innere Auseinande­rsetzung mit dem IS stattgefun­den – das ist aber notwendig, weil sie die Ideologie sonst auf die Kinder übertragen. Wir helfen, wieder in der Gesellscha­ft anzukommen, im Idealfall passiert das mit der Unterstütz­ung durch die Herkunftsf­amilie der Ausgereist­en. FRAGE: Wie machen Sie das? DANTSCHKE: Eine soziale Reintegrat­ion gelingt durch ein normales Leben mit Arbeit und Kindergart­enplatz. Das darf nicht losgelöst von der Aufarbeitu­ng ihrer Erfahrunge­n passieren – die Betroffene­n müssen sich fragen, wieso sie das Kalifat des IS als ideales Lebensumfe­ld empfunden haben. Das ist eine Auseinande­rsetzung über einen langen Zeitraum. Wenn sie unsere Hilfe wollen, müssen sie sich dem stellen (...).

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