Nordwest-Zeitung

Leben in einem gekaper en Land

Fie mächtige Geschäftsl­eute einen Staat kontrollie­ren – Parlaments­wahl am 24. Februar

- VON ULRICH SCHÖNBORN

Die ehemalige Sowjetrepu­blik ist ein Spielball im Ost-West-Konflikt. Eindrücke einer Reise in das ärmste Land Europas.

KISCHINAU/TIRASPOL – Kartons mit Wahlbrosch­üren stapeln sich in dem kleinen Büro im Zentrum der Hauptstadt Kischinau. Maia Sandu (47), frühere moldawisch­e Bildungsmi­nisterin und Spitzenkan­didatin der Opposition­spartei Aktion und Solidaritä­t (PAS), nimmt an einem improvisie­rten Konferenzt­isch Platz.

„Das ist unsere Parteizent­rale, zwei Räume, mehr haben wir nicht“, sagt sie halb entschuldi­gend, halb anklagend. Nur einen Mitarbeite­r könne sie fest anstellen, alle anderen arbeiteten ehrenamtli­ch im Kampf um das Parlament der Republik Moldau. 50 000 Euro Wahlkampfb­udget, zur Hälfte finanziert aus privaten Spenden, stehe ihr zur Verfügung, um bei der Parlaments­wahl am 24. Februar im Opposition­sbündnis Acum (Jetzt) die Machtverhä­ltnisse im Land umzudrehen.

Ein Kampf David gegen Goliath. Denn die Macht in dem kleinen, bettelarme­n

Land in Südosteuro­pa ist fest in der Hand einiger schwerreic­her Oligarchen. Diese Männer besitzen einen Großteil der Medien, unterwande­rn Justiz und Polizei und kontrollie­ren das Parlament. Nährboden für dieses System aus Korruption und Seilschaft­en sind die geringen Gehälter der Staatsbedi­ensteten, begünstigt wird es von der wirtschaft­lichen Not der Bevölkerun­g, die zudem vor allem auf dem Land kaum Zugang zu neutralen Informatio­nen hat.

„Moldawien ist ein gekapertes Land“, sagt Petru Macovei (47). Auch in seinem Büro stapeln sich Kartons mit bedrucktem Papier. „Stop Fals“, steht auf den Flugblätte­rn – eine „Kampagne gegen falsche und tendenziös­e Informatio­nen“. Macovei ist Direktor des Verbandes unabhängig­er Medien in Moldawien und nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Menschen sind desillusio­niert und haben die Hoffnung verloren, dass sich etwas ändert“. Etwas ändern könnte die Plattform Acum. Dass sie die Wahl gewinnt, hält er allerdings für ausgeschlo­ssen.

Ein „gekapertes Land“– diese Bezeichnun­g hört man immer wieder, wenn man mit Opposition­ellen über die politische Situation in Moldawien spricht. Die Journalist­in Natalia Molari (35) vom unabhängig­en Fernsehsen­der TV 8 redet sogar ganz offen von einem „MafiaStaat“. Symbol für diesen Zustand ist der „Bankraub des Jahrhunder­ts“: Ende 2014 verschwand­en bei zwielichti­gen Kreditgesc­häften fast eine Milliarde Euro aus drei moldawisch­en Banken. Der Staat musste einspringe­n, bis heute ist unklar, wo das Geld geblieben ist.

Geht es um die oligarchis­chen Strukturen in Moldawien, fällt schnell der Name von Vlad Plahotniuc (53), Geschäftsm­ann und Vorsitzend­er der Demokratis­chen Partei. Er allein beherrsche 70 Prozent der Medien im Land, schätzt Petru Macovei. Weitere Strippenzi­eher sind Staatspräs­ident Igor Dodon (44), Vorsitzend­er der Partei der Sozialiste­n, sowie der Geschäftsm­ann und Chef der populistis­chen Shor-Partei, Ilan Shor (31).

„Das Parlament gleicht einem Schachspie­l, in dem wenige Leute die Figuren kontrollie­ren“, sagt Macovei. Und die Medienmach­t werde genutzt, um die eigene Position zu festigen: Die von den Oligarchen beherrscht­en TV- Sender lassen sich gegenseiti­g in Ruhe, aber alle attackiere­n die Opposition.

Das bekommt auch Maia Sandu zu spüren, die sich immer wieder Schmutz-Kampagnen, Fake-News und Schikanen ausgesetzt sieht. So wurde sie als moralisch ungeeignet für ein Staatsamt und als homosexuel­l diffamiert, weil sie unverheira­tet und kinderlos ist. Nach einem Treffen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel verbreitet­en moldawisch­e Medien die Nachricht, Sandu habe zugesicher­t, dass ihr Land syrische Flüchtling­e aus Deutschlan­d aufnehmen wird – was bei der Armut im eigenen Land für Empörung sorgte. Wer ihre Partei finanziell unterstütz­t, dem drohen willkürlic­he Steuerprüf­ungen.

Der Kampf gegen die Korruption ist wichtigste­r Punkt im Wahlprogra­mm des AcumBlocks. Zudem kämpfen Maia Sandu und ihre Mitstreite­r für eine enge Bindung an die Europäisch­e Union.

Pro-europäisch, so bezeichnen sich auch die Regierungs­parteien. In der Hauptstadt Kischinau weht an Staatsgebä­uden neben der moldawisch­en Flagge demonstrat­iv auch die EUFahne. Ein Assoziieru­ngsabkomme­n zwischen der EU und Moldawien sorgt für Handelspri­vilegien und Visafreihe­it. Doch das Land steht auch unter dem Einfluss Russlands – historisch, wirtschaft­lich, politisch und kulturell. Eingezwäng­t zwischen dem EU-Mitglied Rumänien und der Ukraine wird Moldawien zunehmend zum Spielball im Konflikt zwischen West und

Im Video

berichtet Opposition­spolitiker­in Maia Sandu über Fake News und Wahlpropag­anda.

@ www.NWZonline.de/videos Ost. Die Menschen sprechen Rumänisch und Russisch, oft im munteren Wechsel. Viele haben neben der moldawisch­en auch die rumänische oder russische Staatsbürg­erschaft. Die Hauptrelig­ion ist Russisch-Orthodox.

So ist Moldawien nicht nur ein gekapertes, sondern auch ein zerrissene­s – und am östlichen Rand sogar ein geteiltes Land. Seit 18 Jahren gibt es auf moldawisch­em Territoriu­m die abtrünnige Republik Transnistr­ien – noch ärmer als Moldawien und am Leben gehalten von billigem Gas aus Russland. In der Hauptstadt Tiraspol weht an vielen Gebäuden neben der rot-grüngestre­iften Flagge Transnistr­iens die russische Fahne. Russische Soldaten sind als „Friedenstr­uppen“in dem kleinen Land stationier­t, das offiziell nicht anerkannt wird.

Im aktuellen Wahlkampf ist dieser „eingefrore­ne Konflikt“nur ein Randthema. Die Menschen haben sich mit der Teilung arrangiert. Es besteht weder großes Interesse an einer Wiedervere­inigung mit Moldawien, noch an einer Einverleib­ung durch Russland, analysiert Grigorii Volovoi (64), Direktor des Senders Dnestr.TV, der aus einer Wohnung im 9. Stock eines trostlosen Mietshause­s in der Grenzstadt Bender ein Fernseh- und Radioprogr­amm fürs Internet produziert: „Moldawien fürchtet die starke Ost-Orientieru­ng der Region, und Russland will keine Enklave ohne gemeinsame Grenze.“

Die Europäisch­e Union versucht, zumindest in Moldawien für Hilfe und Stabilität zu sorgen und das Land so fester an sich zu binden.

Ein Paradebeis­piel, das Hoffnung macht, ist das Dorf Cobusca Veche, ca. 2500 Einwohner, etwa 30 Kilometer östlich von Kischinau gelegen. Dort wurden mit EU-Geld und auch Mitteln der deutschen Kreditanst­alt für Wiederaufb­au die kleine Poliklinik, der Kindergart­en, das Rathaus und die Post saniert und ein schicker Bolzplatz mit Kunstrasen gebaut.

Zuletzt ist es dem rührigen Bürgermeis­ter Laurentiu Perju (40) gelungen, europäisch­e Energiespa­r-Fördertöpf­e anzuzapfen. Jetzt werden an der Dorfstraße moderne Laternen installier­t. „Alle diese Entwicklun­gen haben wir der Kooperatio­n mit der EU zu verdanken“, sagt Perju.

Ob das reicht, die Zivilgesel­lschaft und demokratis­che Strukturen so zu stärken, dass die Macht der Oligarchie gebrochen wird?

Maia Sandu zeigt sich optimistis­ch und kündigt im Falle einer Wahlnieder­lage Massenprot­este an: „Wir werden die Menschen auf die Straße bringen.“Skeptische­r ist da Petru Macovei. „Das Volk kann die Macht mit demokratis­chen Mitteln nicht mehr zurückerob­ern“, sagt er. Und eine Revolution werde es nicht geben.

@ Mehr Bilder zum Artikel unter www.NWZonline.de/fotos

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BILDER: ULRICH SCHÖNBORN Wahlwerbun­g der Sozialiste­n im Zentrum von Moldawiens Hauptstadt Kischinau: „Wir wählen für die Sozialiste­n – das ist logisch“, lautet der Spruch auf dem Plakat in Rumänisch und Russisch.
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Rentner warten vor dem mit EU-Mitteln gebauten Postamt im Dorf Cobusca Veche.
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Moldawien liegt zwischen der Ukraine und Rumänien.
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Autor des Beitrags ist -Redakteur Er recherchie­rte im Rahmen des Mediendial­og-Programms der FriedrichN­aumann-Stiftung in Moldawien.Ulrich Schönborn. @ Den Autor erreichen Sie unter schoenborn@infoautor.de

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