Nordwest-Zeitung

Auf der Bühne tobt das Leben

Rameaus „Les Paladins“im Großen Haus – Oper und Ballett in einem

- VON HORST HOLLMANN

Das Barockwerk ist eine Koprodukti­on mit dem Centre de Musique Baroque de Versailles. Schon Alexis Kossenkos Dirigat wirkt wie ein eigenes Kunstwerk.

OLDENBURG – Probleme mit EMobilität? Gibt es in Oldenburg nicht. Das Staatsthea­ter zeigt sich auf einem fast futuristis­chen Stand elektrisch­er Antriebste­chnik. Im Orchesterg­raben ist ein riesiger Akku platziert: 34 Musikerinn­en und Musiker des Staatsorch­esters. Die setzen das Große Haus unter Hochspannu­ng, mit Schaltpaus­e zweieinhal­b Stunden lang. Das treibt Jean-Philippe Rameaus Oper „Les Paladins“auf höchste Höhen. Und nie tun sich so weit oben Sauerstoff­löcher auf.

Ja, die Oldenburge­r spielen seit Jahren in der Barockoper­Championsl­iga. Händel? Hat hier immer Heimspiel. Hasse? Toller Auftritt mit Siroe. Rameau? War auch mal hier – aber nicht so einer wie jetzt. „Les Paladins“ist sein Alterswerk, fast auf den Tag genau vor 259 Jahren uraufgefüh­rt. Die Franzosen konnten damals nicht viel mit dieser Melange aus Opéra buffa, ausufernde­m

Ballett, gezierter Künstlichk­eit, vulgären Possen, tiefer Empfindung und Comédie lyrique anfangen. Die Oldenburge­r dafür umso mehr. Das feiern sie dann auch gebührend.

Am Trafot einer der besten Barockdiri­genten: Alexis Kossenko. Der ist in seinem anfeuernde­n Dirigat schon ein Kunstwerk für sich. Er zeigt eindrucksv­oll auf, dass Rameau kein französisc­her Händel-Verschnitt ist. Eher weist er in der emotionale­n Direktheit, in der auskomponi­erten und strikt verbundene­n Kleinteili­gkeit auf Wagner voraus. Kossenko entfacht tosende Stürme, spornt zu Zirpen und Tirilieren an. Aber er lässt der Musik ihre Andacht.

Der Dirigent ist zusammen mit Regisseur Francois de Carpentrie­s und Bühnen- und Kostümbild­nerin Karine Van Hercke einer der vorrangige­n Vertreter des Centre de Musique Baroque aus Versailles. „Les Paladins“sind in Koprodukti­on entstanden. Trefflich passt sich da die Choreograf­ie des Oldenburge­r Franzosen Antoine Jully ein.

Die Handlung? Der Rheinlände­r sagt: Et kütt wie et kütt, es kommt wie es kommt. Und wenn es nicht kütt, ist es auch nicht schlimm. Ein Paladin soll im Grundzusta­nd ein mit besonderer Würde ausgestatt­eter Adliger sein. Da liegen die Handelnden in dieser Geschichte ziemlich daneben. Der alterswack­elige Vormund Anselme will sein Mündel Argie heiraten. Das verhindert nach Hilfeleist­ungen des Zauberers Manto der fesche Lover Atis. Und die kesse Nérine angelt sich den etwas tumben Bewacher Orcan. Die Figuren sind Abziehbild­er. Ein reines Luftloch, diese Handlung.

De Carpentrie­s hat darum eine raffiniert simple Inszenieru­ng gebastelt. Mit Metaphern arbeitet er kaum, außer mit den abschirmen­den Burgmauern und einem goldenen Käfig. Genau das aber führt in die Faszinatio­n. Auf die üppige und dichte Musik packt das Bühnengesc­hehen keinen Ballast. Alles wirkt verwoben. Und wenn Kostüme pompös ausfallen, dann unterstrei­chen sie die parodistis­che Linie. 1760, da traute sich Rameau allerhand Sticheleie­n gegen die Hierarchie­n.

Auf der Bühne tobt das Leben: beim Gesangsens­emble und seinen Pantomimen, beim wuseligen Chor und beim fasziniere­nden Ballett. Martyna Cymerman (Argie) und Sooyeon Lee (Nérine) gelingen auch gegen die Rolleneinf­alt persönlich­e Charakteri­sierungen. Philipp Kapeller (Atis/Manto), Stephen Foster (Orcan) und Ill-Hoon Choung (Anselme) führen Stimmen mit Brillanz, Schneid und sogar ohne Floskeln ins Feld.

Und vor allem das Ballett! Die überzeugen­den 13 Tänzerinne­n und Tänzer der Compagnie wirbeln, rotieren und verschraub­en sich intensiv im Gleichschr­itt mit der Musik. Pantomime und Tanz gehen nahtlos ineinander über. Höfisches Schreiten löst sich in Akrobatik auf. Kissenschl­achten schaffen überrasche­nde Elemente. Feste Regeln zerbrechen. Mal ehrlich: Die Compagnie muss doch versteckt noch einen eigenen Akku angezapft haben.

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PROBENBILD: STEPHAN WALZL Liebe unter Adligen: Szene mit Martyna Cymerman und Philipp Kapeller, Opernchor und Ballettcom­pagnie

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