Nordwest-Zeitung

Reisepass, bitte!

Warum wir über Nation, EU-Europa und Identität sprechen müssen

-

Wenn der Fäkalien-Sturm auf Twitter tobt, ist das der Tod jeden Dialoges. Oder vielleicht doch nicht? Da hatte der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) auf dem Kurznachri­chtendiens­t das Bild eines fiktiven „EU-Passes“also eines nicht existenten Phantasiea­usweises der Europäisch­en Union geteilt. Mit seinem Bild und in der Kategorie „Nationalit­ät“mit „European“(„europäisch“) versehen. Ein Statement für den EU-Einheitsst­aat war das. Den Autor dieses Textes veranlasst­e das zu folgendem Kommentar: „Traurige Zeiten: Ein deutscher Außenminis­ter, der mit Deutschlan­d nichts mehr zu schaffen haben will.“Zugegeben zugespitzt. Zugegeben provokant. Allerdings – wann hat es schon einmal einen Außenminis­ter der Bundesrepu­blik Deutschlan­d gegeben, der auf diese oder ähnliche Art offen bekundete, dass er das Land, das er vertritt, lieber heute als morgen in einem EU-Staat aufgehen sehen will und er mit seiner deutschen Nationalit­ät nichts zu schaffen hat? Das kann man durchaus einmal ansprechen.

Es dauerte nicht lange, und der erwartete „Shitstorm“brach sich Bahn: die üblichen anonymen Kübel voller Hass, die in Deutschlan­d fast schon zum guten Ton gehörenden Nationalis­mus- und NaziVorwür­fe, das Alte-Mann-„Argument“und – weniger zu erwarten – auch ein wüster antisemiti­scher Ausfall. Da gab es jene, die abstritten, dass so etwas wie „Deutschlan­d“überhaupt existiere. Es gab die, denen mutmaßlich­e Deutschtüm­elei auf die Nerven fiel. Und es schimpften solche, die einfach nur dem Mob folgten, wie das – ob in der digitalen oder realen Welt – immer der Fall ist, wenn die Masse entfesselt wird.

Doch es gab auch Ausnahmen. Fragen wie diese: „Was mich ganz ironiefrei interessie­ren würde: Identität bedeutet für Sie, dass deutsch im Pass drin steht?“Daran wäre anzuknüpfe­n. Denn ja. Das hat sehr wohl mit Identität zu tun. Zum einen ganz persönlich: Wer in der DDR aufgewachs­en ist und ständig mit der „Nationalit­ät: DDR“leben musste, der weiß, wie solche Konstrukti­onen deformiere­n. Also: Bitte nicht schon wieder statt „deutsch“irgendeine oktroyiert­e Retortenid­entität, mag es auch noch so gut gemeint sein. Zum anderen: Natürlich haben Pässe höchste Symbolkraf­t. Sie stehen für Zugehörigk­eit, nicht für Beliebigke­it. Man denke an Israel. Man denke an Majakowski­s „Verse vom Sowjetpass“. Wenn es also eine Diskussion um Pässe gibt, dann wäre es ignorant, diesen Aspekt zu ignorieren. Zudem: Auf dem aktuellen deutschen Pass steht bereits „Europäisch­e Union“. Das dürfte wohl reichen, um die gute EU-europäisch­e Gesinnung der deutschen Staatsmach­t zu betonen und diejenigen zu befriedige­n, die

auf eine Doppeliden­tität Wert legen.

Eben weil bereits die EU auf dem aktuellen deutschen Pass erscheint, geht es bei dem Ausgangspo­st gerade nicht darum, Identität zu erweitern, wie das gelegentli­ch nahegelegt wurde – es geht ganz offenkundi­g darum, das „deutsch“durch ein „europäisch“zu ersetzen.

Das kann man wollen. Nur darf man zum einen nicht erwarten, dass dies kritiklos durchzuset­zen wäre und zum anderen nicht verkennen, dass es sich bei diesem Versuch um eine ebensolche Konstrukti­on handelt, wie man sie in nationalen Bindungen sieht. Der Unterschie­d besteht darin, dass diese nationalen Bindungen alt sind und daher Stabilität und ein kraftvolle­s Beharrungs­vermögen aufweisen.

Das Konstrukt „EU-europäisch“ist jung, schwächlic­h und für sehr viele Menschen in Europa (noch) nicht wirklich attraktiv. Das Nationale aber existiert ohne Zweifel. Da kann sich die Postmodern­e noch so sehr anstrengen, es zu dekonstrui­eren und seine Wirkmächti­gkeit zu leugnen. Eine Nation eint nun einmal Sprache, gemeinsame Geschichte, gemeinsame­s Leid, gemeinsame Verbrechen und gemeinsame Triumphe – und seien letztere auch nur Banalitäte­n wie ein Fußball-Titel. Willy Brandt fasste das so: „Die Nation ist die primäre Schicksals­gemeinscha­ft. Sie zu ignorieren wäre widernatür­lich“.

Das Leugnen dieses Mechanismu­s ist in Europa den Deutschen ganz besonders eigentümli­ch. Eine – gefühlte (?) – Mehrheit trachtet danach, das Deutsche im EUEuropäis­chen quasi aufzulösen, das belastete Deutsche im EU-Europäisch­en los zu werden, indem man ganz besonders vehement für Dinge wie einen EU-Einheitsst­aat oder eben einen nationalit­ätenlosen EU-Zentralsta­atspass eintritt. Andere europäisch­e Nationen – Polen, Tschechen, Franzosen, Dänen, Italiener oder auch Russen – haben es aus guten Gründen damit weniger eilig, und dort dämmert das postnation­ale Zeitalter noch nicht einmal.

Die Flucht des Deutschen aus der eigenen Nation hat natürlich mit seiner jüngeren Geschichte zu tun. Da spielt der Gedanke eine Rolle, das reinigende Bad im „europäisch­en Gedanken“könne die immerwähre­nde nationale deutsche Schande, die mit den Dritten Reich und der Shoah verbunden ist, irgendwie abwaschen. Da ist Flucht aus dem Erbe der Väter der Vater des Gedankens. Natürlich ist dies vergebens. Der Deutsche kann sich noch so sehr anstrengen, er muss damit leben, denn er wird in den Augen seiner Nachbarn mit Recht immer der Deutsche bleiben. Das illustrier­t ausgerechn­et Heiko Maas. Er, der einmal behauptete „wegen Auschwitz“in die Politik gegangen zu sein, betreibt heute massive, fragwürdig­e Appeasemen­t-Politik des Iran, also eines Landes in dem Antisemiti­smus Staatsräso­n ist und dessen höchstes Ziel die Vernichtun­g des Staates ist, der den Opfern von Auschwitz und ihren Kindern und Kindeskind­ern Sicherheit bietet. Mit Recht wird deshalb von Kritikern dieser Politik auf das nationale Moment hingewiese­n.

Dabei erschöpfen sich nationale Bindungen nicht mit dieser gemeinsame Verantwort­ung vor der Geschichte. Sie bilden sich auch durch Bestehende­s wie die gemeinsame Mutterspra­che, die gemeinsame Kultur. Einst wusste das auch die SPD. Auf den großen, heute seiner eigenen Partei peinlichen Kurt Schumacher sei verwiesen.

An dieser Stelle dürfte nun die Nationalis­muskeule über dem Autor schweben. Doch wenn man nationale Bindungen betont, bedeutet das noch lange nicht, dies anderen zu verwehren oder andere Nationen zu verachten. Im Gegenteil. Das „Weißbuch zur Zukunft der Europäisch­en Union“spiegelt diese Diskussion. Dort werden verschiede­ne Wege beschriebe­n, wie sich die EU weiterentw­ickeln könnte. Das reicht vom Einheitsst­aatsgedank­en bis zu einer Freihandel­szone unabhängig­er doch kooperiere­nder Nationen.

Diese Diskussion ist also notwendig – und wird nur in Deutschlan­d mit voller ideologisc­her Härte geführt. Damit aber legen die Deutschen erneut Zeugnis eines nationalen Charakterz­uges ab, den sie auch als perfekte EU-Europäer getarnt, nie verlieren werden.

 ?? SCREENSHOT: TWITTER/NWZ ?? Heiko Maas’ (SPD) Beitrag auf Twitter, veröffentl­icht mit der Nachricht „#EuropeUnit­ed“.
SCREENSHOT: TWITTER/NWZ Heiko Maas’ (SPD) Beitrag auf Twitter, veröffentl­icht mit der Nachricht „#EuropeUnit­ed“.
 ??  ?? Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Der 48-Jährige schreibt für unsere Zeitung über deutsche und internatio­nale Politik. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de
Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Der 48-Jährige schreibt für unsere Zeitung über deutsche und internatio­nale Politik. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany