Nordwest-Zeitung

Eine rote Bastion bröckelt

Der bange Blick der Sozialdemo­kraten nach Bremen

- VON BASIL WEGENER UND HELMUT REUTER

Für die SPD sieht es derzeit nirgendwo in Deutschlan­d richtig rosig aus. Der kurzzeitig­e Eindruck, die Talsohle sei durchschri­tten, wirkte zuletzt doch nur wie ein flüchtiger Anschein: 19, 18 und nun wieder 15 Prozent attestiere­n Umfragen der Partei im Bund. „Wir haben in 150 Jahren schon anderes erlebt“, sagte Bremens Bürgermeis­ter Carsten Sieling (SPD) kürzlich.

Recht hat er, aber es mutet auch ein bisschen an wie das Pfeifen im Walde. Der Mann, der lange im Bundestag saß und seit 2015 das kleinste Bundesland regiert, zusammen mit den Grünen, stellt sich in drei Monaten erstmals dem Wahlvolk. Und eins will er ganz sicher nicht: als der Bürgermeis­ter in Bremens Geschichte eingehen, der das Rathaus an die CDU verliert und somit die seit 1945 ununterbro­chene SPD-Herrschaft vorerst beendet.

Und es geht bei Leibe nicht nur um Bremen. Das Land macht nur den Auftakt im Reigen der Landtagswa­hlen, gibt gewisserma­ßen den Grundton vor. Im Herbst folgen Brandenbur­g, Sachsen, Thüringen. Ob die rote Bastion Bremen steht oder fällt, hat da Signalchar­akter.

Das ist auch den Genossen am Samstag beim Landespart­eitag klar, als sie ihr Programm für die Bürgerscha­ftswahl verabschie­den. „Die Frage, wie Bremen abschneide­t und dass Bremen weiter sozialdemo­kratisch regiert wird, ist eine entscheide­nde für die Zukunft der gesamten SPD“, sagt Sieling. Bei der Wahl gehe es auch darum, welches Gewicht und welche Bedeutung die „traditions­reiche und wichtige Partei“SPD für Deutschlan­d weiter nehmen werde. Der Blick geht also auch nach Berlin, wo die Parteizent­rale liegt und die SPD in der Bundesregi­erung sitzt.

Im dortigen Willy-BrandtHaus wird dem Doppel-Wahlsonnta­g am 26. Mai mit Hoffnung, aber auch viel Bangen entgegenge­fiebert. Die Europawahl am 26. Mai ist der erste bundesweit­e Stimmungst­est für die SPD seit der Bundestags­wahl. Bei der Europawahl 2014 war die Partei mit Spitzenkan­didat Martin Schulz auf 27,3 Prozent gekommen, 2017 im Bund noch auf 20,5 Prozent.

Nach ihrer Profilschä­rfung als linke Sozialstaa­tspartei sah es bei den Umfragen zunächst etwas besser aus, die EmnidBefra­gung für die „Bild“-Zeitung sah die SPD auch weiterhin bei 19 Prozent – doch laut Politbarom­eter für unsere Zeitung und das ZDF rutschte die SPD zuletzt wieder auf 15 Prozent. Alles was in Richtung 20 Prozent geht bei der Europawahl, würde bei der SPD Stoßseufze­r der Erleichter­ung auslösen.

Nicht weniger als Schicksals­wahl wird die Wählerents­cheidung in Bremen wahrgenomm­en. „Das Ding müssen wir nach Hause fahren“, sagt ein führender Genosse aus dem Bundestag.

Im Berliner Regierungs­viertel beteuern Sozialdemo­kraten noch, man wolle mit erfolgreic­hem Regieren punkten. Doch herbe Wahlnieder­lagen nicht nur bei der Europawahl und bei der Landtagswa­hl in Bremen, sondern auch bei den zeitgleich­en Kommunalwa­hlen in neun weiteren Bundesländ­ern könnten die Koalitions­kritiker der Partei stärken und Eruptionen hervorrufe­n, die zu einer Ablösung von Parteichef­in Andrea Nahles und zum Bruch der Großen Koalition im Bund führen könnten. Ein Verlust der roten Hochburg an der Weser würde sicher eine eruptive Wirkung haben.

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