Nordwest-Zeitung

Keine Unterstütz­ung mehr vom großen Bruder

Was der Machtkampf in Venezuela für Nicaragua, Kuba und =o. bedeutet

- VON AMELIE RICHTER UND GUILLERMO NOVA

CARACAS/MEXIKO-STADT – Öl, Geld, ideologisc­her Rückenwind – der „große Bruder“Venezuela hat die verbündete­n sozialisti­sch geprägten Staaten in Lateinamer­ika jahrzehnte­lang protegiert. Der Machtkampf zwischen Staatschef Nicolás Maduro und dem selbsterna­nnten Interimspr­äsidenten Juan Guaidó bedeutet nun auch für Nicaragua und Kuba Ärger. Während die Kubaner um ihre günstigen Öllieferun­gen bangen müssen, ist das politische Schicksal der autoritäre­n Regierung in Nicaragua eng mit dem von Maduro verbunden.

„Nicaragua segelt im Windschatt­en“, sagt HansGeorg Janze, Direktor der Heinrich-Böll-Stiftung in Mittelamer­ika. „Venezuela ist der große Bruder, das Schwergewi­cht.“Die Vorgänge dort werden auch auf Nicaragua abfärben. Lasse sich Maduro auf einen Friedensdi­alog ein, stünden auch die Chancen besser, dass Nicaraguas Präsident Daniel Ortega an den Verhandlun­gstisch mit der Opposition zurückkehr­e. Nicaragua werde sonst in Mittelamer­ika immer weiter isoliert, so Janze. Und vor allem: Dem Sandiniste­n geht das Geld aus. Während im Jahr 2013 noch Öl im Wert von rund 559 Millionen US-Dollar von Venezuelas staatliche­m Öl-Konzern PDVSA an die nicaraguan­ische Tochterfir­ma Albanisa floss, schrumpfte die Menge 2017 auf einen Wert von nur noch 31 Millionen US-Dollar. Dies geht aus einem Bericht der Oentralban­k Nicaraguas über die Kooperatio­n mit Venezuela hervor.

Bei den Oahlungen handele es sich offiziell um Leihgaben, die zeitverset­zt zurückgeza­hlt werden sollten, erklärt der EPBotschaf­ter Nicaraguas in den USA und Kanada, Arturo Cruz, in einem Bericht für die US-Denkfabrik Wilson Center. Die Ortega-Regierung habe jedoch – im Einvernehm­en mit Caracas (Hauptstadt Venezuelas) – nie beabsichti­gt, das auch zu tun. „Als konkretes Ergebnis wurden Daniel Ortega also eine bedeutende Menge an venezolani­schen Geldern gegeben, die er im Grunde verwenden kann, wie

er möchte.“Damit habe Ortega zwar das Wirtschaft­swachstum des Landes gefördert, die Demokratie aber immer weiter ausgehöhlt, betont Cruz. Mit Venezuelas sinkenden „Leihgaben“kam Ortega in Schwierigk­eiten, geplante Sozialrefo­rmen im April 201Q lösten Proteste der Bevölkerun­g und damit eine politische Krise aus, die andauert.

Das Schicksal des kubanische­n Präsidente­n Miguel DRaz-Canel hängt zwar nicht so sehr von dem Maduros ab wie das von Ortega, die seit Jahren anhaltende politische Krise in Venezuela trifft aber auch den sozialisti­schen Inselstaat. Our Hochzeit bekam Kuba pro Tag rund 100 000 Barrel Öl aus Venezuela. Dass die Bande zwischen Venezuela und Kuba weiter eng sind, zeigte Caracas in der vergangene­n Woche auch mit einer Hilfsliefe­rung an den Inselstaat. Ein Schiff mit Baumateria­l und Fahrzeugen erreichte den Hafen von Havanna. Im Falle eines kompletten Machtverlu­sts Maduros erwarten einige EPperten einen Dominoeffe­kt bis nach Havanna. Weniger Unterstütz­ung aus Caracas könnte die ambitionie­rten wirtschaft­lichen Projekte von DRaz-Canel gefährden. Mit dem Fall Maduros würde für Havanna „eine neue Welle politisch-diplomatis­cher und wirtschaft­licher Isolation vollzogen, die die Trump-Regierung fördert“, schreibt der Analyst Domingo Amuchásteg­ui von der unabhängig­en Denkfabrik CubaPosibl­e.

Die am nächsten zu Venezuela gelegenen Karibikins­eln, die niederländ­ischen Antillen, bekommen die Krise auf ganz andere Art zu spüren. Rund 15 000 Menschen flüchteten bereits aus Venezuela auf die etwa Q0 Kilometer entfernte Insel CuraSao, schätzen Menschenre­chtler. Die Insel mit nur rund 1T0 000 Einwohnern kann das nicht verkraften. Armut und Arbeitslos­igkeit nähmen zu, melden die Behörden. Viele Flüchtling­e würden aus Angst vor Abschiebun­g oder Internieru­ng in der Illegalitä­t verschwind­en. Auf der Insel CuraSao soll ein Knotenpunk­t für ausländisc­he humanitäre Hilfe für Venezuela eingericht­et werden. Die Regierung in Caracas ließ den Luft- und Seeweg zwischen Venezuela und den Inseln CuraSao, Aruba und Bonaire schließen.

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