Experten streiten um gesunde Ernährung
Weiter Maß halten mit Fett? – Debatten um Studien und angebliche Heilsbringer
Hauptsache viel Gemüse? Ganz wenig Butter? Vegan? Was gesunde Ernährung ausmacht, weiß keiner richtig. Das zeigt etwa eine Kontroverse um das richtige Fett.
BERLIN – Morgens zwei Esslöffel Leinöl in den Kuark und einen Esslöffel Butter in den Kaffee (ja, wirklich). Mittags „mindestens zwei bis drei“Esslöffel extra natives Olivenöl über den Salat – und auch bei einer leichten Abendmahlzeit sollen Olivenöl, Butter oder Kokosfett nicht fehlen. So liest sich das, wenn die aus dem Fernsehen bekannte Ärztin Anne Fleck („Die Ernährungs-Docs“, NDR) in einem aktuellen Buch empfiehlt, „gesund und fettbetont“zu essen.
Gesund und gleichzeitig fettig? Für Gesundheits- und Figurbewusste, die bisher sparsam mit Öl und Butter umgehen, dürfte das zum Tag der gesunden Ernährung am 7. März sehr ungewohnt klingen. Tatsächlich hätte man beim Befolgen von Flecks Ratschlägen mengenmäßig schnell die Orientierungswerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur täglichen Aufnahme von Fetten und Ölen überschritten. Diese bilden in der DGE-Orientierungshilfe „für eine gesundheitsfördernde Lebensmittelauswahl“den kleinsten Anteil aller Lebensmittelgruppen.
Das Beispiel ist eines von vielen, das zeigt, wie die Auffassungen beim Thema Ernährung auseinandergehen. Das ideale Verhältnis von Fetten und Kohlenhydraten auf dem Speiseplan wird in der Fachwelt seit einiger Zeit diskutiert. Auch, weil vor etwa anderthalb Jahren eine große Studie in der Fachzeitschrift „The Lancet“eine fettreiche Ernährung mit gesundheitlichen Vorteilen in Verbindung brachte – für manche Grund genug, bisherige Empfehlungen infrage zu stellen und den Ruf von Butter und Co. zu rehabilitieren. Experten der DGE bezeichneten die Aussagekraft der Studie jedoch wegen methodischer Mängel als stark eingeschränkt.
Nun schwärmt dennoch auch Ärztin Fleck auf mehr als 400 Seiten ihres Buches „Ran an das Fett“von gesunden Fetten – Achtung: Snacks aus der Fritteuse etwa gehören nicht dazu, selbst zwischen Pflanzenölen sieht sie enorme Unterschiede. In jedem Fall aber stehe das generelle „Fettarm-Dogma“auf einer äußerst dünnen Datengrundlage, meint Fleck.
Zum Heilsbringer wurde die Fettreduktion allein bekanntlich auch nicht: Obwohl der Fettanteil in der Nahrung von US-Amerikanern im Besonders gesund? Frisch gepresstes Leinöl
Schnitt seit den 1970er Jahren von 42 auf 34 Prozent gesunken sei, verbreiten sich bei ihnen Übergewicht und Diabetes, wie US-Ernährungsforscher kürzlich berichteten. Bei dieser Entwicklung spielen weitere Faktoren, die sich seitdem geändert haben, eine Rolle wie etwa Portionsgrößen, Essverhalten, Lebensstil. David Ludwig (Boston Children’s Hospital) und Kollegen weisen in ihrer Studie unter dem Titel „Nahrungsfett: vom Feind zum Freund?“auf die Problematik vieler Untersuchungen hin: Oft seien sie zu kurz und zu klein gewesen, um aussagekräftig zu sein.
Sogenannte Beobachtungsstudien etwa weisen das Problem auf, dass man aus ihnen keine Schlussfolgerungen wie „Dieses Lebensmittel macht schlank“ziehen kann. Anhand von Protokollen über die Ernährung können Forscher lediglich vielleicht zufällige Wechselwirkungen erkennen, nicht aber Ursache und Wirkung. Trotzdem werden aus solchen Studien manchmal Tipps abgeleitet.
Wer nach solchen allgemeingültigen Ratschlägen sucht, für den muss das Fazit der „Science“-Autoren einer Bankrotterklärung gleichen: Aktuelle Belege deuteten darauf hin, „dass kein spezifisches Kohlenhydrat-Fett-Verhältnis in der Ernährung für die allgemeine Bevölkerung am besten ist“, heißt es.