Wolf Biermann klaute Bahnschwellen
„Barbara“erzählt bislang Unbekanntes aus dem Leben des Liedermachers
BERLIN – „Das wäre ein Ritterroman von 7000 Seiten geworden.“Den wollte der wortgewaltige Wolf Biermann dann doch vermeiden. Für viele Geschichten über kleine und große Helden im Leben des deutsch-deutschen Dichters fand der 82-Jährige keinen Platz in seiner drei Jahre alten Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“. Im nun erschienenen Band „Barbara“erzählt Biermann süffisant und kurzweilig diese „Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten“.
„Meine stärkste Schwäche: Wenn ich eine Geschichte schreibe, neige ich dazu, abzuschweifen in Nebengeschichten“, sagt Biermann. Über interessante Nebenfiguren entstehe die Gefahr, immer weiter zu mäandern. „Ich verderbe mir die eigentliche Geschichte, wenn ich zu viele Nebenbegebenheiten einflechte.“So kam es zu „Barbara“. Darin habe er „aufregende Geschichten über außergewöhnliche Menschen festgehalten, berühmte und noch interessanter: unberühmte.“Biermann erzählt also von jenen Menschen um ihn herum, von denen in der Wolfzentrierten Biografie die eine oder andere Zeile auch vermisst werden konnte.
In „Barbara“geht es dann etwa um den Kohlen-Otto, der verbotenerweise die Briketts zu Biermann „rauf inne Wohnung“liefert, dann aber bei einer Sauftour an den falschen Volkspolizisten geriet und im Steinbruch landet. Da ist die Monika aus dem Hinterhof, die an der Homosexualität ihres Mannes zerbricht. Garance wird von der Stasi gezwungen, sich im Westen des geteilten Berlins als Spionin
zu prostituieren. Oder es geht um den Zirkusdirektor und seinen alten Löwen, in dessen Maul Biermanns Sohn Manuel unbedingt seinen Kopf stecken will.
„Ich will, dass grad so tolle Geschichten, in denen ich, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle spiele, nicht mit mir unter den Sargdeckel geraten, sondern zwischen zwei Buchdeckeln weiterleben“, sagt Autor Biermann.
Auch seiner für ihn so wichtigen Oma Meume widmet er wieder ein gutes Stück des Buches. Mit Sohn Till klaut Biermann eine Bahnschwelle im Hamburger Karolinenviertel, von wo aus Juden deportiert wurden. Verdutzten Polizisten hält er tags drauf entgegen: „Wir haben diese Schwelle nicht geklaut! sondern verhaftet!“– auch sie habe sich schuldig gemacht „als im November 1941 meine ganze jüdische Familie deportiert wurde“.
Biermann verwebt seine Geschichten mit den großen Ereignissen und kleinen Erlebnissen der um ihn tosenden Zeiten.
Das Buch „Barbara“von Wolf Biermann ist im Berliner Ullstein Verlag erschienen (288 Seiten, 20 Euro).