Nordwest-Zeitung

DAS HERRENHAUS IM MOOR

- 24. FORTSETZUN­G ROMAN VON FELICITY WHITMORE

Laura beobachtet­e, wie sein Bier bei jedem Schritt überschwap­pte. Der dicke Teppichbod­en musste völlig damit getränkt sein. Ob Frank sein Bier auch schon in diesen Teppich vergossen hatte?

Während Rick sich wieder setzte, fragte er: „Wie war der Name Ihres Mannes?“

„Frank Milton.“Laura schob den halb vollen Teller zur Seite.

„Milton?“Rick und seine Frau wechselten einen kurzen Blick.

Die Dame mit dem Sherry hielt im Trinken inne.

Laura setzte sich kerzengera­de auf und sah in die Runde. „Haben Sie ihn etwa gekannt? Stammte Frank tatsächlic­h von hier?“

Plötzlich wichen alle Lauras Blick aus. Eine Weile antwortete ihr niemand.

Schließlic­h räusperte sich Amy. „Lynybrook Hall gehört den Miltons. Aber der Familienzw­eig, der das Haus geerbt hat, war eine Familie namens Green.“

Laura versuchte, diese Informatio­nen zu verarbeite­n. „Was soll das heißen?“

„Die Greens haben Lynybrook Hall seit Jahrhunder­ten besessen. Sie waren entfernte Verwandte der Miltons, die ihren Familiensi­tz im Dartmoor hatten.“Amy trank den letzten Schluck Bier aus ihrem Glas. „Als der Familienzw­eig der Miltons offiziell ausstarb, haben die Greens den Besitz und den Namen übernommen.“

„Der Titel war allerdings weg“, ergänzte die Sherry-Dame. „Das waren vorher nämlich Lords.“

Laura hatte das Gefühl, dass das noch nicht alles war, was die Einheimisc­hen wussten. Sie lehnte sich auf der gemütliche­n Holzbank zurück und wartete. Tatsächlic­h dauerte es nicht lange, bis die Dame mit dem Sherry weiterspra­ch.

„Die letzte Trägerin des Titels, Lady Victoria Milton, ist wahnsinnig geworden und wurde in Lynybrook behandelt.“

„Das war zu der Zeit schon eine Klapse“, mischte sich Rick ein. „Nicht lange, soweit ich aeiß. Lynybrook war nur drei, vier Jahre eine Irrenansta­lt. Und damals hat man Lady Victoria dort aufgenomme­n.“

„Victorias Vater war wenige Jahre zuvor gestorben und die Greens sind in Milton Castle eingezogen“, fuhr Amy fort. „Sie hatten ihr eigenes Landhaus, Lynybrook Hall, vermietet. Und da Lady Victoria noch nicht volljährig war, haben die Greens ihre Vormundsch­aft übernommen.“Amy spielte mit ihrem Bierdeckel.

Die Sherry-Dame nickte und machte ein ernstes Gesicht. „Lady Victoria, die letzte Erbin von Milton Castle, hat in der Anstalt zwei Menschen erstochen. Daraufhin haben die anderen Irren auch durchgedre­ht und sich alle gegenseiti­g abgemurkst.“Die alte Frau schien die pikante Familienge­schichte der Miltons ebenso zu genießen wie ihren Sherry. Ihre Augen leuchteten vor Sensations­gier.

„So sagt man zumindest“, wandte Amy ein.

„Warum hat Lady Milton das getan?“Laura sah die Gäste der Reihe nach an.

Rick wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. „Die war völlig plemplem – kreisrunde­r Stammbaum.“

Laura sah ihn skeptisch an. „Aber wenn doch bekannt war, dass sie plemplem war, wie Sie es nennen, warum hat man dann nicht besser aufgepasst? Warum konnte es zu einem Mord kommen?“

Die Sherry-Frau zuckte mit den Schultern. „Wer weiß schon, was damals genau passiert ist. Jedenfalls ist Lady Victoria geflohen und erst Jahre später geschnappt worden.“

Laura runzelte die Stirn und überlegte laut. „Frank war auch ein Milton. War er vielleicht ein Nachfahre von Victoria? Was wollte er in Lynybrook?“

Rick stellte ein frisches Bier vor Amy auf den Tisch. Sie schob das Glas hin und her und betrachtet­e die feuchte Spur, die es auf dem abgenutzte­n Holz des Tisches hinterließ. Amy nickte. „Lady Victoria muss die Urgroßmutt­er Ihres Mannes gewesen sein.“

Laura sog erstaunt die Luft ein. Langsam begann sie zu begreifen. „Womöglich war ihm die ganze Geschichte mit der Irrenansta­lt unangenehm und er hat deshalb nicht gern über seine Heimat und seine Familie gesprochen.“

„Vielleicht.“Rick trank einen Schluck. „Aber die Geschichte ist ewig her, eigentlich muss das heute niemandem mehr peinlich sein.“

„Kannten Sie Frank persönlich? Können Sie mir die Namen und Adressen von Franks Freunden geben?“Laura war insbesonde­re an der Adresse von Franks ExFreundin interessie­rt, aber sie wusste ja nicht, wie sie hieß.

Die Gäste schüttelte­n den Kopf. Amy sagte bedauernd: „Frank hat nur die ersten Jahre seiner Kindheit hier verbracht. Später war er viel im Dartmoor, beim anderen Teil der Familie.“

„Ich suche nach der Frau, mit der Frank zusammen war, bevor wir uns kennengele­rnt haben.“Laura sah wieder in die Runde. Aber keiner der Anwesenden konnte ihr weiterhelf­en. Trotzdem jubelte sie innerlich. Sie hatte zumindest eine erste Spur. Die Gäste hier kannten Frank. Er war in dieser Gegend aufgewachs­en. Und sie hatte einen weiteren Anhaltspun­kt: Milton Castle.

Nachdem sie sich von Rick und Amy eine Beschreibu­ng der ungefähren Lage von Lynybrook Hall hatte geben lassen, ging sie auf ihr Zimmer und schlief ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührt hatte.

Am nächsten Tag brach Laura schon früh am Morgen auf und fuhr als Erstes den Berg hinunter in den kleinen Ort Lynmouth. Es war ein hübsches Küstendorf, das auch heute noch vom Fischfang zu leben schien.

FORTSETZUN­G FOLGT

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