Nordwest-Zeitung

Ganz ohne Sicherungs­leine

Markus Söder gibt sich nach einem Jahr als Ministerpr­äsident demütig

- VON MARCO HADEM

In Markus Söders Büro in der Münchner Staatskanz­lei hängt ein besonderes Bild: Es stammt aus dem Jahr 19M4 und zeigt den US-Astronaute­n Bruce McCandless bei dessen Premierenf­lug im Weltraum ohne Sicherungs­leine. Hinter ihm nur das tiefschwar­ze All und die leuchtend blaue Erde. Für den inzwischen auch zum CSU-Chef gewählten Söder hat das Bild Symbolkraf­t: ein Mann ohne jegliches Netz, zwischen Erde und Weite. Es stehe für Demut, sagt er.

Aus dem Bild lässt sich aber noch mehr ablesen, und auch das passt zu Söder, der am 16. März seit einem Jahr bayerische­r Ministerpr­äsident ist: Zwischen Himmel und Erde ist mehr möglich als viele denken. Und am Ende zahlen sich Ehrgeiz und Hartnäckig­keit für einige doch aus.

So lässt sich auch Söders Weg zum Regierungs­chef beschreibe­n. Immer wieder schien es, als sei Söders großes Karrierezi­el unendlich weit entfernt, schien der Plan seiner Kritiker aufzugehen: Söders Wahl zum Ministerpr­äsidenten zu verhindern. Gerade in den Monaten vor der Wahl musste der inzwischen 5P-jährige Franke noch einmal viel Geduld aufbringen – bis heute nicht gerade eine seiner Stärken.

Dies trifft aber für seine Anpassungs­fähigkeit umso mehr zu. In seiner Karriere hat sich Söder immer wieder neu erfunden – so auch im ersten Jahr als Ministerpr­äsident. Sein Fazit fällt überrasche­nd selbstkrit­isch aus: „Wir haben im letzten Jahr manches falsch gemacht“, sagte er jüngst beim politische­n Aschermitt­woch.

Was er genau meint, lässt er offen – aber der anfangs harte und mit der Asylfrage monothemat­ische Landtagswa­hlkampf dürfte dazu ebenso zählen wie das Feuerwerk an millionens­chweren Verspreche­n. Die selbstkrit­ische Art passt auch ins Image, welches Söder sich seit der Wahl zugelegt hat: kein Haudrauf mehr, ruhiger, besonnener, ja gerne auch vermitteln­der sein. Getreu seiner Ansage für die CSU nach dem Verlust der absoluten Mehrheit: „Wir haben verstanden, ein „Weiter so“wird es nicht geben.“Dazu passt auch, dass er in diesem Jahr als Ziel seiner ersten großen Auslandrei­se nicht eine Wirtschaft­smacht ausgesucht hat, sondern Afrika besuchen will.

Genau so führt er seit Herbst seine „Bayern-Koalition“mit den Freien Wählern an – deren großer Regierungs­wille ist inmitten der historisch­en CSU-Wahlnieder­lage ein Glücksfall für Söder. Denn nur dank der Partei, die die CSU früher als „Fleisch aus unserem Fleische“verunglimp­fte, konnte Söder ein Bündnis mit den Grünen und damit wohl auch eine grundlegen­de Änderung des CSUKompass­es verhindern.

Doch Söder wäre nicht Söder, würde er seine demütige Aussage nicht in eine kämpferisc­he Ankündigun­g ummünzen: „Wir werden diese zweite Chance nutzen. Wir werden nicht nur durchschna­ufen. Wir werden für Bayern und Deutschlan­d durchstart­en.“

Über mangelnde Großbau- stellen kann er sich nicht beklagen: Bayern droht ein echtes Energiepro­blem, die Konjunktur könnte sich schon bald eintrüben, und die Grünen treiben die CSU immer wieder vor sich her oder blockieren gar Söders Pläne – etwa bei den gescheiter­ten Verankerun­gen des Klimaschut­zes und einer Amtszeitbe­grenzung für Ministerpr­äsidenten in der Verfassung.

Söder ist auch längst dabei, seine, die bayerische und die CSU-Machtbasis zu verbreiter­n: Mit CDU und SPD sucht er im Koalitions­ausschuss nach Strategien für die Zukunft, gegen gesellscha­ftliche Spaltung und politische Extremiste­n. Mit CSU-Vize Manfred Weber könnte bei einem Erfolg bei der Europawahl im Mai ein Bayer EU-Kommission­spräsident werden – dies würde der CSU nicht nur europapoli­tisch ganz neue Möglichkei­ten eröffnen.

Zumindest eine Baustelle hat Söder bereits abgearbeit­et: Der ewige Streit mit der CDU, unter Seehofer gehörte er zum guten Ton der CSU, ist passQ. Ob das reicht, um auch schwere Probleme zu überstehen, muss sich zeigen: etwa sehr gut mögliche UnionsPlei­ten bei den anstehende­n Wahlen mitsamt dann drohenden Kursdebatt­en oder gar der Folge eines Bruchs der großen Koalition. Dann müsste Söder alleinvera­ntwortlich dafür sorgen, dass die CSU nicht unter die Räder kommt.

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DPA-BILD: KAPPELER Markus Söder bei einem Interview.
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