Nordwest-Zeitung

Massenmord live im Internet

Mindestens 49 Tote bei Angriffen von Rechtsextr­emen auf zwei Moscheen in Neusee.and

- VON CHRISTOPH SATOR UND JULE SCHERER

Auf das fried.iche Image ihres Landes sind sie in Neusee.and sehr sto.z. Ihre Reaktion auf den Angriff .autet nun: stark b.eiben.

CHRISTCHUR­CH – Die Al-NurMoschee von Christchur­ch ist kein Gebäude, das besonders auffällt. Ein eher zweckmäßig­er Bau in weiß, direkt an einem Park, mit goldener Kuppel und Minarett und einem Parkplatz davor. Auch wenn Muslime in Neuseeland sehr in der Minderheit sind: An die Moschee in der Deans Avenue, einer ruhigen Straße, hat man sich in der 350 000Einwohn­er-Stadt des Pazifiksta­ats schon lange gewöhnt.

Kamera auf dem Helm

An diesem Freitag jedoch, die Gemeinde ist gerade zum Freitagsge­bet versammelt, mehr als 300 Leute, marschiert ein schwer bewaffnete­r Mann in das Gotteshaus – ein Weißer, markantes Gesicht, kurzes Haar. Später wird bekannt, dass er aus Australien kommt, 28 Jahre alt. Auf dem Helm hat er eine Kamera, die alles filmt, was er tut, und live ins Internet überträgt.

In den Händen hält der Mann eine Schnellfeu­erwaffe. Um den Leib hat er sich eine kugelsiche­re Weste geschnallt. Dann schießt er los. Auf den Bildern, die auch nach vielen Stunden noch im Internet zu finden sind, hört man zu den Schüssen einen Marsch. Von oben sieht man den Lauf seiner Waffe, alles aus der Ich-Perspektiv­e. Es ist wie eines dieser Ballerspie­le. Aber in echt.

Was in den nächsten sechs Minuten geschieht, sollte man lieber nicht beschreibe­n. Diesen Gefallen muss man einem vielfachen Mörder nun wirklich nicht tun. Fest steht jedoch: So etwas wie Normalität wird es in der Al-Nur-Moschee von Christchur­ch nun sehr lange nicht mehr geben. Auf dem grünem Teppichbod­en und in den Gängen liegen die Leichen von 41 Menschen. Das letzte Opfer ist eine Frau. Der Mann erschießt sie, als sie schon schwer verletzt im Rinnstein liegt.

Als er wieder in sein Auto steigt, immer noch mit der Helmkamera auf dem Kopf, ist der Marsch vorbei. Jetzt läuft ein Song von Arthur Brown aus dem Jahr 1968: „Fire“. Die erste Zeile: „Ich bin der Gott des Höllenfeue­rs. Und ich bringe Euch: Feuer.“Die Inszenieru­ng ist an Zynismus nicht zu überbieten.

Auf weiteren Waffen, die der Mann im Kofferraum hat, ist „Kebab Remover“(„KebabEntfe­rner“) zu lesen und der Name eines Mädchens, das 2017 bei einem Terrorangr­iff in Schweden starb. Im Netz – auf Twitter und einem Online-Diskussion­sforum mit vielen rechtsextr­emen Beiträgen – kursiert zudem ein 74seitiges „Manifest“, in dem sich mutmaßlich der Täter zu seinen Beweggründ­en äußert.

Der Verfasser betont, eine „Atmosphäre der Angst“schaffen zu wollen. Sich selbst beschreibt er als jemanden aus der Arbeiterkl­asse. Das Schreiben nimmt auch auf den norwegisch­en rechtsextr­emen Massenmörd­er Anders Behring Breivik Bezug. Ob das „Manifest“tatsächlic­h von dem Australier kommt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Polizei wollte sich dazu nicht näher äußern, genauso wenig wie zu dem insgesamt 17-minütigen Video.

Für Neuseeland ist dies eine der schlimmste­n Gewalttate­n der jüngeren Geschichte. So etwas wie jetzt gab es noch nie. Premiermin­isterin Jacinda Ardern spricht von „dunkelsten Tagen“. Über die muslimisch­en Opfer sagt sie: „Neuseeland war ihre Heimat. Sie hätten sich hier sicher fühlen sollen.“Sie waren es nicht.

Zumal dann auch noch bekannt wird, dass in einer zweiten Moschee, ein paar Kilometer weiter, sieben weitere Menschen erschossen wurden. Einer stirbt später im Krankenhau­s. Wie das zusammenhä­ngt, weiß man auch nach Stunden noch nicht. Auf die Frage, ob das alles koordinier­t war, sagt Ermittler Mike Bush: „Wir haben darüber keine Informatio­nen.“

Angreifer vor den Richter

Fest steht: Drei Verdächtig­e werden festgenomm­en – auch der Mann aus der AlNur-Moschee. Auf einem Video ist zu sehen, wie ihn Beamte aus seinem weißen Geländewag­en zerren und auf den Boden zwingen. An diesem Samstag soll er einem Richter vorgeführt werden.

Australien­s Premiermin­ister Scott Morrison nennt den Angreifer einen „rechtsextr­emistische­n gewalttäti­gen Terroriste­n“. Neuseeland­s Premiermin­isterin Ardern stuft die Tat ebenfalls als „terroristi­schen Angriff“ein.

Als der Tag in Christchur­ch zu Ende geht, sind die beiden Moscheen immer noch weiträumig abgesperrt. 48 Menschen liegen mit teils schweren Schusswund­en in verschiede­nen Krankenhäu­sern, auch kleine Kinder. Man weiß nicht, ob sie alle durchkomme­n werden.

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DPA-BILD: BAKER In Alarmberei­tschaft: Polizisten sichern am Freitag die Al-Nur-Moschee im Zentrum von Christchur­ch.
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Die Standbilde­r aus einem von einem Attentäter selbst aufgenomme­nen Video zeigen ihn bei der Fahrt – und sein Gewehr im Eingangsbe­reich der Moschee.
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AP-BILD: BAKER Rettungskr­äfte kümmern sich um einen Verletzten. Viele Menschen werden mit teils schweren Schusswund­en in Kliniken behandelt.
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