Im Tiefflug auf der Suche nach Schäden
Strom- und Gasnetzbetreiber Avacon fliegt Hochspannungsleitungen mit Helikopter ab – Eine Reportage
6ur erfahrene Piloten dürfen die Flüge entlang der 110-kV-Leitungen fliegen. Aus gutem Grund: Sie nähern sich ihnen auf bis zu fünf bis zehn Meter.
GANDERKESEE – Es ist 8.45 Uhr. Der rote Hubschrauber, Typ Eurocopter AS350, nähert sich dem Umspannwerk in Oldenburg-Wechloy. Pilot Siegfried Lange geht tiefer. Nähert sich dem Funkturm und den Hochspannungsleitungen von der Seite bis auf rund 20 Meter an. Er ist konzentriert. Kurz wackelt der Helikopter etwas und brummt ein wenig lauter. Ein Gefühl ähnlich wie in einem Fahrgeschäft auf der Kirmes macht sich breit. Siegfried Lange behält mit ruhigen Bewegungen die Mbersicht, dann steht der Hubschrauber beinahe still in der Luft.
Rückblick. Es ist 8 Uhr morgens. Das Thermometer zeigt ein paar Grad über Null. Am Himmel kämpft die Sonne noch gegen die Wolkenschicht, bahnt sich ab und zu den Weg hindurch. Auf dem Flugplatz Ganderkesee im Landkreis Oldenburg stehen hohe Pfützen, die Wiesen sind aufgeweicht.
Monteur Henning Diers läuft auf den Hubschrauber zu, der am Rande des Flugfeldes steht und noch betankt und gewartet wird. Die Hände hat er tief in den Taschen versteckt. Der 2L-jährige, gelernte Elektrotechniker für Betriebstechnik ist Mitarbeiter bei dem Strom- und Gasnetzbetreiber Avacon und Mitglied im Netzteam Nord. Vor drei Jahren wechselte der Wiefelsteder in den Bereich der 110 kV Freileitungen.
Auf Suche nach Schäden
Doch warum ist er an diesem grauen Märztag in Ganderkesee? „Im Vier-JahresRhythmus wird jeweils ein Teil der Hochspannungstrassen zwischen Cloppenburg und Carolinensiel per Helikopter auf mögliche Schäden untersucht“, sagt er. Dazwischen gehen die Mitarbeiter die Leitungen auch zu Fuß ab. Dabei wird vor allem auf Schäden am Mastfuß und an den Fundamenten geachtet. Henning Diers begrüßt den Piloten, wechselt ein paar Worte zum Wetter. Der Sturm vom Vortag hat sich gelegt.
Doch die Kontrollen aus der Vogelperspektive bieten weitaus mehr MöglichkeitenN „Wir suchen nach Seilschäden, defekten Isolatoren oder Schäden am Mastgestänge“, sagt Henning Diers. Auch auf Bäume, die zu nah an Leitungen heranwachsen, Bebauung in Mastnähe, Plastikmüll in Leitungen oder Vogelnester auf Masten wird geachtet. „Vogelnester bleiben normalerweise einfach an Ort und Stelle – Probleme gibt es nur, wenn die Nester auseinanderfallen. Dann bekommen wir auch mal Unterstützung von Vogelkundlern.“
In diesem Jahr werden rund 260 Kilometer abgeflogen. „Wir sind insgesamt circa 25 Stunden in der Luft und brauchen dafür ungefähr eine Woche – das hängt aber auch vom Wetter ab. Am Montag mussten wir die Flüge absagen – heute ist es windstill und perfekt“, sagt Henning Diers. Für die Flüge wird das DHD Heliservice mit Sitz in Groß Kreutz (Brandenburg) beauftragt.
Doch warum dieser Aufwand? Jährlich investiert Avacon nach eigenen Angaben 65 000 Euro in die Inspektion aus der Luft. „Ein großer Vorteil ist, dass wir viel schneller sind“, sagt Henning Diers. „Außerdem kommen wir so an Stellen, die wir zu Fuß nicht erreichen, und können die Leitungen, Trassen und Masten von allen Seiten anschauen.“
Gemeinsam mit Siegfried Lange schaut er auf eine Karte, die den gesamten Nordwesten von Haselünne bis zur Küste zeigt. Auf der Karte sind die Hochspannungsleitungen eingezeichnet. Kurz wird die Flugroute besprochen. Dann öffnet der Pilot die Helikoptertüren. Drinnen ist der Hubschrauber mit beigefarbenen Ledersitzen ausgestattet. Auf dem Fußboden ist gleichfarbener Teppichboden ausgelegt. Auf der Rückseite der Rückenlehnen sind Karten mit Sicherheitshinweisen. Neben dem Piloten ist ein kleiner Feuerlöscher angebracht.
„Immer vorne um den Helikopter gehen – nie hinten herum“, sagt Siegfried Lange bestimmt. „Die Heckrotoren drehen sich so schnell, dass man sie nicht sieht – wir wollen ja nicht, dass etwas passiert.“Er weist darauf hin, sich beim Einsteigen Zeit zu lassen, auch wenn die Kufen angeraut sind. Danach werden Gurte angeschnallt und Siegfried Lange überprüft die Kommunikation über die Kopfhörer. Nebenbei lässt er den Motor warm laufen.
Schließlich wechselt der erfahrene Pilot – der 66-jährige kommt auf insgesamt knapp 24 000 Flugstunden – auf eine andere Frequenz und meldet den Flug beim Tower an. Es ist 8.2L Uhr. Die Rotorblätter drehen sich immer schneller und der 650-PS-starke Hubschrauber hebt mit einem leichten Ruckeln und ein wenig nach vorne geneigt ab.
„Draußen sind es nur zwei Grad“, sagt Siegfried Lange und stellt die Heizung ein wenig höher. Routiniert bringt er den Hubschrauber auf Höhe, fliegt zunächst in Richtung Autobahn 28 und quert diese. „An Ortschaften und bei Tierherden gehen wir höher und werden schneller“, erklärt der ehemalige Fluglehrer wäh-
rend der Eurocopter AS350 Felder, Wiesen, kleine Seen und Höfe überfliegt. Das Gefühl für Raum und Zeit scheint verschwunden, denn nur wenige Augenblicke später taucht bereits die Kirchturmspitze der Oldenburger Lambertikirche am Horizont auf. „Am liebsten hätte ich Privat auch einen Helikopter – nie wieder im Stau stehen“, scherzt Henning Diers.
Das Ziel an diesem Morgen ist Oldenburg. Unten sind nun der Tweelbäker See, die Holler Landstraße und der Stadtteil Donnerschwee zu erkennen. In Etzhorn reduziert Siegfried Lange die Geschwindigkeit und verringert auch die Flughöhe – die erste Leitung wird inspiziert. Sie führt über einige Abbiegungen zum Werkhof und dem daneben gelegenen Umspannwerk. Henning Diers schaut genau hin, bespricht sich hin und wieder auch mit dem Piloten, doch die Leitung weist keine Auffälligkeiten auf. Mittlerweile ist der Helikopter auf 150 Meter Höhe. „Hier ist unser technischer Stützpunkt“, sagt Henning Diers und zeigt auf den GebäudeUnternehmen komplex an der Weißenmoorstraße.
Der Helikopter gewinnt wieder an Höhe und fliegt über den ehemaligen Fliegerhorst und die Photovoltaikanlagen zum Umspannwerk Wechloy, direkt neben dem Campus der Universität Oldenburg. Bei jeder Kurve neigt sich der Hubschrauber im Flug leicht zur Seite.
Sträucher am Mast
Dann bringt Siegfried Lange den Helikopter auf Höhe von Funkturm und Mast, um diese genau zu kontrollieren. Auch hier findet Henning Diers keine Auffälligkeiten. Lange steuert den Hubschrauber ruhig und mit Mbersicht, fliegt zunächst links von der Leitung, weil auf der rechten Seite Wohnhäuser stehen. „Wir schauen zum Beispiel auch die Flugwarnkugeln an und kontrollieren, ob sie noch sicher sind“, sagt Henning Diers und nickt zufrieden. „Alles okay.“
Kommt man da nicht durcheinander? „Nein, die Leitungen haben Namen und sind nummeriert – aktuell sind wir am ,Abzweig Wechloy‘“, sagt Henning Diers. „Normalerweise sind neben dem Pilot zwei Mitarbeiter bei den Flügen dabei. Einer von beiden führt dann ganz klassisch Protokoll“, erklärt er und zeigt auf Sträucher, die rund um einen Mast wachsen. „Auch darum kümmern wir uns. Der Mast soll schließlich ordentlich aussehen.“
Der Pilot wechselt auf die andere Seite, geht auf Höhe der Leitung und bleibt in der Luft stehen. Wieder ruckelt es ein wenig. Fast setzt der Hubschrauber auf der vom Regenwasser gefluteten Wiese auf. Doch Siegried Lange strahlt eine solche Ruhe aus, das bei keinem an Bord ein mulmiges Gefühl aufkommt. „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagt er.
Indes hat Henning Diers die Hochspannungsleitung die ganze Zeit über fest im Blick – dennoch kann er keine Schäden entdecken. „Zum Glück“, sagt er und lacht. „Das ist eine sehr gut gepflegte Leitung.“Der Hubschrauber fliegt auf eine Straße zu und gewinnt wieder an Höhe. Unten stehen Menschen auf dem Gehweg und blicken dem Helikopter zwischen Straßenbäumen hinterher.
„Normalerweise fliegen wir zehn bis minimal fünf Meter nah an die Leitung“, sagt Siegfried Lange, der dafür eine extra Einweisung erhalten habe. „Wir bekommen immer mal wieder Anzeigen. Deswegen müssen wir immer wissen, wann wir wo waren, um uns zu rechtfertigen“, sagt er. Für die Tätigkeiten hat der Heliservice eine Tieffluggenehmigung für Leitungsbefliegung. „Teilweise arbeiten wir auch mit Naturschützern zusammen, wenn es beispielsweise in Küstennähe um Brutstätten von Seeadlern geht“, sagt der Pilot. Als er in der Ferne eine Pferdekoppel erblickt, zieht er den Helikopter erneut hoch und lenkt ihn auf die andere Seite der Leitung, um genug Abstand zu den schreckhaften Tieren zu wahren.
Ein kleiner Teil der Arbeit
Als die Leitung an einem Kreuzmast schließlich auf eine andere trifft, ist dieser Kontrollflug beendet. Mittlerweile hat die Sonne den Kampf gegen die Wolken verloren – und so ist auch der Rückflug gegen die Sonne angenehm. In nun 300 Metern Höhe und mit rund 200 km/h geht es zurück zum Flugplatz in Ganderkesee. Per Funk gibt der Pilot dem Tower die Rückkehr bekannt. Kurz muss er warten, da gerade ein kleines Sportflugzeug startet, das schnell in Richtung Süden verschwindet.
Es ist 9.06 Uhr. Sanft landet Siegfried Lange den Helikopter, lässt den Motor wieder abkühlen, bevor er die Tür öffnet. Nach einem kurzen Auftanken wird der Pilot mit anderen Mitarbeitern weiter in Richtung Cloppenburg fliegen und dort die nächsten Leitungen kontrollieren. „Es ist zwar nur ein kleiner Teil unserer Arbeit, aber das macht immer Spaß“, sagt Henning Diers während der rote Helikopter wieder abhebt. „Trotzdem ist es auch anstrengend – am Ende bleibt es eben Arbeit.“Ein außergewöhnliche Arbeit. lesen Sie Online unter
www.bit.ly/heli-kontrolle