Wo auf Gemütlichkeit Wert gelegt wird
Utrecht hat sich dörflichen Charakter bewahrt – Bezaubernde Plätze und Gärten
Viele Holland-Besucher fahren an Utrecht vorbei. Ein /roßer Fehler. Denn in der viert/rößten Stadt der Niederlande /ibt es eini/es zu sehen, zum Beispiel eine doppelstöcki/e Gracht.
UTRECHT – Ein paar Tage in Utrecht war die 45 Jahre alte Barbara aus Köln, als sie einen Albtraum hatte. Sie sah sich mit ihren drei Kindern in das berühmte Rietveld-SchröderHaus einziehen und geriet regelrecht in Panik. Man dürfe dieses Horror-Haus nicht weiterempfehlen, meint sie. Doch wenn ein 1924 erbautes Haus heute noch bleibenden Eindruck hinterlässt, dass man davon (schlecht) träumt, ist es allemal einen Besuch wert.
Sehenswerter Domturm
Normalerweise gibt die niederländische Stadt Utrecht keineswegs Anlass zu Albträumen. Utrecht ist fast so schön wie Amsterdam – nur mit viel weniger Touristen. Die Stadt ist auch sehr relaxt, sie hat nur 350 000 Einwohner. Die scheinen gefühlt alle unter 30 zu sein, in Utrecht gibt es fast 70 000 Studenten. Viel Wasser und viel Grün, windschiefe Häuschen und gepflasterte Straßen verleihen der Stadt außerdem einen stellenweise dörflichen Charakter. Man darf sich nicht wundern, wenn plötzlich eine Schar Gänse über die Straße watschelt.
Utrecht hat lange nicht so viele Grachten wie Amsterdam, aber dafür eine besonUniversität, ders große und schöne, die sich durch das gesamte Zentrum zieht: die Oudegracht. Im Gegensatz zu den Amsterdamer Kanälen ist sie zweistöckig: Es gibt eine Ebene auf Straßenniveau und ein paar Meter darunter direkt auf Höhe des Wasserspiegels noch steinerne Anlegestege. Diese niedrig gelegenen Kaianlagen stehen über Tunnel unter der Straße direkt mit den Lagerkellern der Grachtenhäuser in Verbindung. Die Handelsware konnte dadurch vom Wasser aus gleich in die Häuser transportiert werden. Heute sind noch 732 dieser Gewölbekeller übrig, und viele von ihnen haben sich in Cafés, Restaurants, Discos, Clubs oder Geschäfte verwandelt.
Utrechts bedeutendste Attraktion neben der Gracht ist der Domturm. Einst besaß die Stadt die größte Kathedrale der Niederlande. Heute aber steht von diesem Dom nur noch die hintere Hälfte, die vordere ist weg. Sie verschwand am 1. August 1674, als ein Tornado das Mittelschiff einstürzen ließ. Es wurde nie wieder aufgebaut.
Stehengeblieben ist der 122 Meter hohe Turm, der höchste Kirchturm der Niederlande, den man in dem platten Land schon aus vielen Kilometern Entfernung sieht. Der Domturm ist eine niederländische Ikone jenseits von Windmühlen und Straßenorgeln, und man sollte ihn unbedingt erklimmen. Von oben kann man bei gutem Wetter einen Großteil des Königreichs überblicken: Man sieht die Dächer von Amsterdam und die Hochhäuser von Rotterdam.
Top-Museen so wie in Amsterdam das Van-GoghMuseum oder das Rijksmuseum gibt es in Utrecht nicht. Statt von einer Attraktion zur anderen zu hetzen, lässt man sich am besten einfach durch die Gassen der behaglichen Innenstadt treiben. „Gezellig“, wie der Niederländer sagt – urgemütlich. Irgendwann setzt man sich in eines der Cafés, bestellt ein Stück „appeltaart met slagroom“(Apfelkuchen mit Sahne) und schaut den „fietsers“(Radfahrern) zu. Die gibt es in Utrecht in so unglaublicher Zahl, dass man zu den Hauptverkehrszeiten richtige Radlerstaus beobachten kann.
Viele bezaubernde Plätze warten darauf, entdeckt zu werden. Einer davon ist der Kreuzgang des Doms samt Garten und Brunnen. Oder der botanische Garten der der verwunschen mitten in der Stadt liegt. Darin ein Gingko aus dem 18. Jahrhundert und eine AmazonasRiesenseerose mit eineinhalb Meter Durchmesser.
Das Shoppen in Utrecht führt auf einen Abstecher ins frühe 20. Jahrhundert: Freundliche ältere Damen betreiben in ehrenamtlicher Tätigkeit einen Süßigkeitenladen, genannt Kruideniersmuseum. Man kann sich dort mit allen denkbaren Leckereien eindecken, und zwar noch zu jenen Mini-Beträgen, für die man früher auch an deutschen Büdchen Drops und Lakritze erhielt. Besonders zu empfehlen sind unter anderem „heksentanden“(Hexenzähne), „harde katjes“(harte Katzen) und „zwarte schoolkrijt“(schwarze Schulkreide). Ausgesprochen lecker!
Haus ohne Wände
Und dann schließlich das Rietveld-Schröder-Haus. Es steht für Freiheit und Klarheit. Was in Deutschland unter Bauhaus bekannt ist, hieß in den Niederlanden De Stijl. Und begann dort sogar um einiges früher. Das RietveldSchröder-Haus sieht aus wie ein in Architektur umgewandeltes Bild von Piet Mondrian in Rot, Gelb und Blau. Es wirkt hypermodern – dabei ist es fast 100 Jahre alt.
Wenn man im ersten Stock die Fenster öffnet, wird das Haus eins mit der Landschaft – es scheint zu schweben. Auch die Innenwände lassen sich komplett wegklappen, so dass ein einziger Raum entsteht. Das ist der Stoff, aus dem für Touristin Barbara Albträume entstehen: Wer will schon mit Teenagern in einem Haus ohne Wände leben?