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James Baldwins „Beale Street Blues“ist Anklage und Liebesdrama
James Baldwin: „Beale Street Blues“, aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow, dtv, München, 224 Seiten, 20 Euro.
MÜNCHEN – „Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street geboren“– diese Erklärung schickte James Baldwin (1924–1987), der wohl bedeutendste afro-amerikanische Schriftsteller, 1974 seinem vorletzten Roman voraus. Eigentlich eine Straße in Memphis wurde sie im JazzKlassiker „Beale Street Blues“von 1916 zu einer Metapher für die schwarzen Viertel schlechthin. Und der gleichnamige Roman, der vor Kurzem von US-Regisseur Barry Jenkins verfilmt wurde, ist eine eindrucksvolle Parabel auf eine bis heute zutiefst rassistische Gesellschaft.
Der Schriftsteller Baldwin, geboren in New York und Wegbegleiter von Malcolm X und Martin Luther King, war schon zu Lebzeiten eine Ikone der Gleichberechtigung aller Menschen – ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft und sexueller Orientierung. In den Vereinigten Staaten wurde er bereits wiederentdeckt, in Deutschland hat der Deutsche Taschenbuchverlag (München) nun seine Werke von Miriam Mandelkow neu übersetzen lassen. Eine dankenswerte Arbeit, denn sie waren fast alle vergriffen. Und umso wichtiger, da Baldwin nicht über die Vergangenheit schrieb. In der Gegenwart der Vereinigten Staaten werden Afro-Amerikaner noch immer diskriminiert und zu Opfern rassistischer
Polizeigewalt und Willkür.
„Wir leben in einem Land der Bullen und Mörder“, sagt Fonny im Roman. Dennoch ist „Beale Street Blues“nur bedingt ein sozialkritisches Buch, sondern in erster Linie eine Liebesgeschichte – schön und traurig, wie es sicht für den Blues gehört. Was wohl daran liegt, dass James Baldwin nie die Hoffnung aufgegeben hat und mit fast verzweifeltem Trotz an die Kraft der Liebe glaubte.
Der Roman spielt im New York der frühen 70er Jahre. Erzählt wird die anrührende Geschichte eines jungen Paares:
Tish, die im Kaufhaus an einem Parfümstand arbeitet, ist schwanger, Fonny, ihr Freund, hält sich mit Nebenjobs über Wasser, weil er Bildhauer werden will. Die beiden planen, zusammenzuziehen und zu heiraten. Doch ihre Träume werden jäh zerstört, als ein rassistischer Polizist, der schon einen schwarzen Jugendlichen erschossen hat, Fonny grundlos beschuldigt, eine junge Puerto Ricanerin vergewaltigt zu haben.
Der Leser lernt die Liebenden im Gefängnis kennen. „Ich wünsche echt niemandem, dass er den, den er liebt, durch die Scheibe angucken muss“, sagt Tish, aus deren Perspektive die Geschichte, teilweise in Rückblenden, erzählt wird. Den eigentlichen
Grund für Fonnys Inhaftierung kann Tish/Baldwin klar benennen: „Er ist niemandes Nigger. Und das ist ein Verbrechen in diesem beschissenen freien Land.“
Die aufgeregte Verwandtschaft setzt nun alles daran, Fonny aus dem Knast zu holen, die Väter auch ohne Rücksicht auf die Gesetze. Die Mutter der schwangeren Tish versucht, in Puerto Rico Fonnys vermeintliches Opfer aufzuspüren. Die Familie erscheint als wichtigste Säule gegen die Spirale der Gewalt und das amerikanische Gefängnissystem. Doch ihre Chancen stehen schlecht.
Und so ist der Roman eine ebenso poetische wie deutliche Mahnung eines wortgewaltigen Romantikers.