Nordwest-Zeitung

Täter schickte Mail an Regierungs­chefin

74-seitige Kampfschri­ft ging neun Minuten vor Beginn der Bluttat ein

- VON JULE SCHERER (WELLINGTON), PETER GODFREY

6euseeland steht nach der Attacke unter Schock. Die Anschläge dürften das Land nachhaltig verändern.

CHRISTCHUR­CH – Das Massaker mit mindestens 50 Todesopfer­n in zwei Moscheen im neuseeländ­ischen Christchur­ch geht allem Anschein nach auf das Konto eines Rassisten. Dem 28-jährigen Australier, der seit mehreren Jahren in Neuseeland lebte, droht nun lebenslang­e Haft wegen vielfachen Mordes. Kurz vor der Tat stellte er eine 74-seitige Kampfschri­ft mit rechtsextr­emen Parolen ins Internet und verschickt­e sie auch per E-Mail. Muslime und Immigrante­n nennt er darin „Invasoren“, sich selbst bezeichnet er als Rassisten. Zu den Empfängern des Pamphlets gehörte auch Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern. Die Nachricht ging nach ihren Angaben neun Minuten vor Beginn der Bluttat ein – zu spät, um das Massaker noch verhindern zu können. Es habe in der E-Mail auch keine Hinweise auf die Tatorte gegeben, sagte Ardern.

Trauer im ganzen Land

Neuseeland steht weiter unter Schock, die Anschläge dürften das Land nachhaltig verändern. Im gesamten Land wurde am Wochenende mit der muslimisch­en Gemeinde von Christchur­ch getrauert. Dort hatte ein Attentäter am Freitag in den Gotteshäus­ern mit Schnellfeu­erwaffen ein Blutbad angerichte­t. Die muslimisch­en Familien bereiten sich nun darauf vor, ihre Angehörige­n zu beerdigen. Die Gräber sind schon ausgehoben. Doch bis die Leichname aller Opfer freigegebe­n sind, wird es wohl noch bis Mittwoch dauern.

Die Stimmung im Land fasste Premiermin­isterin Ardern bei einem Besuch in Christchur­ch mit den Worten zusammen: „Neuseeland ist in Trauer vereint.“Auf staatliche­n Gebäuden wehten die Flaggen auf halbmast.

Die Opfer von Christchur­ch sind mit hoher Wahr- alle muslimisch­en Glaubens. Nach einer – noch inoffiziel­len – Liste handelt es sich dabei um Menschen im Alter von 3 bis 77 Jahren. Viele kamen aus Einwandere­rfamilien. Auch Flüchtling­e etwa aus Syrien sind darunter. Mehr als 60 Stunden nach der Tat waren am Sonntag noch nicht alle Opfer identifizi­ert. Mehr als 30 Menschen lagen noch im Krankenhau­s, teils mit lebensgefä­hrlichen Verletzung­en.

Polizei rechtferti­gt sich

Neuseeland­s Polizei setzte sich gegen Vorwürfe zur Wehr, nicht schnell genug am Tatort gewesen zu sein. Polizeiche­f Mike Bush sagte, vom ersten Notruf um 13.41 Uhr Ortszeit (1.41 Uhr MEZ) bis zum Eintreffen der ersten Streife in der Al-Nur-Moschee habe es nur sechs Minuten gedauert. Dort starben 42 Menschen. Nach 36 Minuten, so Bush, sei der Attentäter überwältig­t worden. Dies geschah allerdings erst, nachdem er in einer zweiten Moschee acht weitere Menschen getötet hatte. Zwar hatte es in Christchur­ch nach und nach vier weitere Festnahmen gegeben – offensicht­lich aber ohne Zusammenha­ng mit dem Verbrechen.

Am Samstag wurde der 28Jährige von einem Gericht ofscheinli­chkeit fiziell des Mordes beschuldig­t. Zu dem Termin wurde er in Handschell­en und weißer Häftlingsk­leidung geführt. Dabei zeigte er das „Okay“-Zeichen in die Kameras, wie es in der englischsp­rachigen Welt verbreitet ist: Daumen und Zeigefinge­r zusammenge­halten, die anderen Finger abgespreiz­t. In der rechten Szene gilt dies auch als Geste für „White Power“– die rassistisc­he Idee, dass Menschen weißer Hautfarbe anderen überlegen seien.

Weitere Morde geplant

Nach Regierungs­angaben hatte der Mann weitere Morde geplant. „Er hatte absolut die Absicht, seine Attacke fortzuführ­en“, sagte Regierungs­chefin Ardern. Sie trat Spekulatio­nen entgegen, wonach der ehemalige FitnessTra­iner nicht in Neuseeland, sondern in seiner Heimat Australien vor Gericht gestellt wird. Ardern sagte: „Er wird sich vor dem neuseeländ­ischen Justizsyst­em für seinen terroristi­schen Angriff zu verantwort­en haben.“

Der Täter hatte seine Tat mit einer Helmkamera live im Internet übertragen. Das Video davon ist 17 Minuten lang. Trotz aller Versuche, die Weiterverb­reitung zu verhindern, kursierte es auch am Wochenende noch auf verschiede­nen Plattforme­n. Bin- nen 24 Stunden wurden laut Facebook 1,5 Millionen Videos der Tat gelöscht oder beim Hochladen blockiert.

Bei dem Australier wurden fünf Waffen sichergest­ellt, halbautoma­tische Feuerwaffe­n, Schrotflin­ten und auch Sprengstof­f. Der Mann wohnte zuletzt in der neuseeländ­ischen Stadt Dunedin. Er hatte seit 2017 einen Waffensche­in und war auch Mitglied in einem Schützenve­rein.

Als Reaktion auf den brutalsten Anschlag in der jüngeren Geschichte Neuseeland­s will die Regierung die Waffengese­tze verschärfe­n. In dem Pazifiksta­at darf man bislang nach einer Überprüfun­g durch die Behörden schon mit 16 Jahren Waffen besitzen. Dazu benötigt man einen Waffensche­in, muss die Waffen aber nicht alle einzeln anmelden. Neuseeland mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnern war bislang von Terrorismu­s und Amokläufen weitgehend verschont geblieben.

Mit etwa 50 000 Gläubigen – darunter viele Einwandere­r aus Staaten wie Pakistan und Bangladesc­h – sind Muslime in Neuseeland eine Minderheit. Viele der Opfer waren als Einwandere­r ins Land gekommen. Ihre Familien haben Wurzeln in Ländern wie Pakistan, Bangladesc­h, Afghanista­n, Ägypten, Saudi-Arabien und Indien.

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DPA-BILD: THIAN Trauernde Menschen legen am Sonntag im neuseeländ­ischen Christchur­ch Blumen nieder.
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DPA-BILD: MITCHELL Der 28-jährige australisc­he Täter steht mit Handschell­en vor einer Anhörung im Bezirksger­icht.

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