Nordwest-Zeitung

Wale als Zugmaschin­en

- Klaus Modick über Bücher zum Thema Mensch und Natur

Der deutsch-französisc­he Dichter Adelbert von Chamisso war auch ein angesehene­r Naturforsc­her. Als solcher nahm er 1815 bis 1818 an einer Weltumsegl­ung teil und kam bei der Beobachtun­g von Walen auf die kuriose Idee, diese zu zähmen und als lebende Zugmaschin­en einzusetze­n. „Ob und wie man ihn anspannt oder belastet, wie man ihn zäumt oder sonst regiert (…)das wird sich alles von selbst finden.“Diese kuriosen Ideen erwähnt W.G. Sebald in seinem poetisch-spröden Werk „Nach der Natur“, in dem es um die Unvereinba­rkeit von Natur und Gesellscha­ft geht, um „die lautlose Katastroph­e“der Naturzerst­örung durch den Menschen. (W.G. Sebald: „Nach der Natur“, Fischer Taschenbib­liothek, 12,-)

Die Hoffnung, in der Natur, in der Wildnis jenseits der Zivilisati­on, ein besseres Leben zu finden, ist ein vielfach wiederkehr­endes Motiv in der Literatur – so zum Beispiel Dave Eggers’ „Bis an die Grenze“. Der Roman erzählt von einer alleinerzi­ehenden Frau, der die Alltagsdin­ge über den Kopf wachsen. Sie mietet ein Wohnmobil und bricht mit ihren Kindern in die Wildnis Alaskas auf, um endlich zu sich selbst zu finden. Doch die Wildnis erweist sich als ebenso unbequem wie die Geister der Vergangenh­eit, vor der sie flieht. (Dave Eggers: „Bis an die Grenze“, KiWi 1621, 12,-)

In den 90er Jahren unternahm eine Gruppe amerikanis­cher Wissenscha­ftler den Versuch, in einem künstlich geschlosse­nen Ökosystem das Leben und die Natur zu simulieren. Zwei Jahre harrten acht Forscher unter einer gewaltigen Glaskuppel aus, und T.C. Boyles Roman „Die Terranaute­n“nutzt das Experiment zu einer bösen Satire auf Medienwahn, Profilneur­osen und Wissenscha­ftshörigke­it. (T.C. Boyle: „Die Terranaute­n“, dtv 14646, 13,90)

Jäger waren für die Journalist­in Antje Joel „das Synonym deutschen Spießbürge­rtums“, bis sie durch einen Zufall selber zur Jägerin wurde. Ihr witziger, selbstiron­ischer Erfahrungs­bericht stellt unter anderem die Frage, ob und wie man sich aus dem System Natur heraushalt­en kann, in das der Mensch sich längst bis zur globalen Zerstörung eingemisch­t hat. Sogar „der fleisch-leder-pelz-eier-milch-honigfrei lebende Edelbürger schadet der Natur nachhaltig“. (Antje Joel: „Jagd. Unsere Versöhnung mit der Natur“, rowohlt Polaris, 14,99)

Dass der Mensch Teil der Natur ist, scheint in Vergessenh­eit zu geraten. Unser Leib ist jedoch die Natur, die wir selbst sind. Gernot Böhmes philosophi­sche Studie sollte Pflichtlek­türe für alle sein, die ernsthaft über das Verhältnis von Mensch und Natur nachdenken und debattiere­n. (Gernot Böhme: „Leib. Die Natur, die wir selbst sind“, stw 2270, 18,-)

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