Nordwest-Zeitung

Deutschlan­d bei Messung übereifrig?

Studie der EU mit interessan­ten Ergebnisse­n

- VON DETLEF DREWES UND UNSEREN AGENTUREN

BRÜSSEL/OLDENBURG/STUTTGART – Die deutschen Behörden wollten es ganz genau machen: Messstatio­nen für Feinstaub, Stickoxide und andere Stoffe wurden vielfach genau an den Ballungspu­nkten des Verkehrs aufgestell­t – was weder im Sinne der EURichtlin­ie zur Luftreinha­ltung ist noch von irgendeine­m anderen EU-Mitgliedsl­and praktizier­t wurde. Das ist eine der zentralen Aussagen einer Studie des österreich­ischen Umweltbund­esamtes, das im Auftrag des Europäisch­en Parlamente­s die Standorte der Filter untersucht hat.

Genauer hingesehen hat man in den fünf Ländern Deutschlan­d, Österreich, Frankreich, Italien und Polen. Dabei fiel auf: Vor allem außerhalb der Bundesrepu­blik nahm man es mit der Montage der Messgeräte ganz und gar nicht genau. Ein Beispiel: Zum Teil beeinfluss­en Straßenbäu­me den Luftstrom und sorgen somit für nicht realistisc­he Werte.

Ein spezielles Problem sehen die Experten in den Daten sogenannte­r Passivsamm­ler. Dabei handelt es sich um einfachere Filter, die den Luftstrom an Messröhrch­en vorbeiführ­en. Diese Geräte werden aber nur einmal monatlich ausgetausc­ht und können so keine exakten Informatio­nen liefern. Unklar ist, wie deren Angaben gewertet werden sollen, denn die Qualität sei mit den Erkenntnis­sen, die die kontinuier­lich arbeitende­n Messstatio­nen liefern, nicht vergleichb­ar.

Einige Regionen (zum Beispiel Stuttgart) schicken die Werte der Passivsamm­ler deshalb erst gar nicht nach Brüssel, andere dagegen schon. Das passt zu weiteren Ungenauigk­eiten, die die Spezialist­en im Wortlaut der EU-Richtlinie selbst gefunden haben. An mindestens 22 Stellen, so heißt es in dem Papier, das in dieser Woche veröffentl­icht wird, gebe es „Vorschrift­en, die in unterschie­dlicher Weise von den Mitgliedst­aaten interpreti­ert wurden“und die deshalb – vor allem mit Blick „auf die Positionie­rung der Messstelle­n“– präzisiert werden müssten.

Das betrifft vor allem die Frage, was die Filter denn eigentlich erfassen sollen: die punktuelle oder die dauerhafte Belastung? Und spätestens da erscheint die Aufstellun­g deutscher Filter zweifelhaf­t. Schließlic­h legt die einschlägi­ge Richtlinie der EU mit der Nummer 2008/50/EG im Anhang III fest, dass der „Ort für Probenentn­ahme so zu wählen ist, dass die Messung sehr kleinräumi­ger Umweltzust­ände in unmittelba­rer Nähe vermieden wird“. Konkret: Die Messstelle soll „einen Straßenabs­chnitt von 100 Meter Länge“erfassen. Für den städtische­n Bereich wird vorgeschri­eben, dass „die gemessene Verschmutz­ung den integriert­en Beitrag sämtlicher Quellen im Luv (der dem Wind zugewandte­n Seite, d. Red.) der Station erfasst“. Also nicht einfach nur den Straßenver­kehr. Deshalb gilt: „Bei allen Schadstoff­en müssen die Proben-Entnahmest­ellen in verkehrsna­hen Zonen mindestens 25 Meter vom Rand verkehrsre­icher Kreuzungen und höchstens zehn Meter vom Fahrbahnra­nd entfernt sein.“Ein Blick in die Vorgaben einiger Bundesländ­er zeigt, dass bei der Übersetzun­g daraus deutlich geringere Abstände zu Kreuzungen und verkehrsre­ichen Straßen wurden – eine klare Abweichung von der ursprüngli­chen Fassung im EU-Gesetz.

Auch in Oldenburg gab es – wie berichtet – heftige Diskussion­en um Details des Standorts der Messstatio­n am Heiligenge­istwall.

Der CDU-Europa-Abgeordnet­e Norbert Lins, der die Studie mitinitiie­rt hatte, sieht deshalb vor allem ein Ergebnis: „Fahrverbot­e bleiben nach dem jetzigen Stand eine sehr fragwürdig­e Angelegenh­eit.“

Unterdesse­n teilte der ADAC mit, die ersten Nachrüstsy­steme für Diesel-Fahrzeuge könnten in diesem Herbst auf den Markt kommen. Eigene Tests ergaben, dass der Stickoxid-Ausstoß der Autos um bis zu 80 Prozent gesenkt werden könne.

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DPA-BILD: MARIJAN MURAT Abgase sind ein großes Thema: Winfried Hermann, Verkehrsmi­nister von Baden-Württember­g schaut sich einen Tank für den Zusatzstof­f AdBlue an.

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