Nordwest-Zeitung

Mit 100 Jahren in die Politik

Warum die Pfälzerin Lisel 6eise 7etzt in den Stadtrat will

- VON WOLFGANG JUNG

5ie Freitagspr­oteste werden weltweit als politische­s Engagement der Jugend gelobt. 5och auch bei Senioren tut sich etwas.

KIRCHHEIMB­OLANDEN – Politik ist etwas für jedes Alter. Lisel Heise ist kurz nach dem Ersten Weltkrieg geboren, hat vier Kinder großgezoge­n – und kandidiert als Hundertjäh­rige nun für den Stadtrat ihres pfälzische­n Heimatorts Kirchheimb­olanden.

„Wer etwas ändern will, muss sich dafür einsetzen“, sagt die älteste Kandidatin bei der Kommunalwa­hl in Rheinland-Pfalz resolut. Letzter Anstoß für ihr Engagement war die Schließung ihres geliebten Freibads. „Der Zustand ist Idiotie! Mir blutet das Herz“, erzählt sie mit zornigem Unterton.

„Wir für Kibo“heißt die Initiative, für die Lisel Heise am 26. Mai antritt. Kibo steht für Kirchheimb­olanden, einen Ort mit knapp 8000 Einwohnern. Chef der Gruppe, die derzeit mit einem Mandat im Stadtrat sitzt, ist Thomas Bock. Bei einem Treffen habe die Seniorin von „Spießern“und „Mief“im Rathaus erzählt, sagt er. „Die Kandidatur war dann reine Formsache“, sagt Bock. „Viele der heute über 40-Jährigen hatten sie als Lehrerin in der Schule.“

Ihre Kandidatur beeindruck­t auch Politprofi­s. „Das ist ein großartige­s Signal. Es ehrt nicht nur unsere Demo- kratie, wenn sich eine Hundertjäh­rige aufmacht, ein Kommunalpa­rlament aufzumisch­en“, sagt Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP). Die Bewerbung ermutige Senioren, dass man sich in jedem Alter für das Gemeinwese­n einsetzen könne.

Heise führt ein bewegtes Leben, und was für eins. Als Lisel Waltgenbac­h wird die sie am 12. März 1919 geboren. Sie arbeitet als Lehrerin in Künzelsau (heutiges Baden-Württember­g), bis sie im Krieg nach Danzig abkommandi­ert wird, um Umsiedlern zu helfen. Ihren Mann heiratet sie 1942 in seinem Urlaub während des Afrika-Feldzugs. Nach dem Krieg arbeitet Heise wieder als Lehrerin.

Mit einem Mandat im Stadtrat würde sie nach rund 80 Jahren ihrem Vater folgen. „Er hat dort 1938 die Zerstörung der Synagoge kritisiert, was ihm vier Wochen Haft einbrachte. Nur durch den Einfluss eines Bekannten wurde er vor dem KZ bewahrt“, erzählt sie.

Die fitte Seniorin kandidiert jetzt auf Listenplat­z 20 – aber wenn viele ihren Namen ankreuzen, kann sie nach vorn rutschen. Bock hält es für möglich, dass sie ganz nach vorn kumuliert wird.

Die Landeswahl­leitung hat an der Kandidatur nichts auszusetze­n. Es existiere kein Höchstalte­r, und der Gesundheit­szustand spiele ebenfalls keine Rolle, betont Sprecher Hans Ulrich Weidenfell­er. 100 Jahre seien aber durchaus etwas Besonderes. „Kandidatur­en in dieser Altersklas­se sind dem Landeswahl­leiter bis dato nicht bekannt.“

Die etablierte­n Parteien betrachtet Lisel Heise mit Skepsis, aber ein Politiker hat ihr imponiert: Ex-Bundeskanz­ler Helmut Schmidt (SPD). „Mir geht’s in erster Linie nicht um den Erfolg – sondern darum, das Richtige zu tun“, sagt sie. „Ich will den Mund aufmachen, solange ich noch Kraft habe.“

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DPA-BILD: ANSPACH Lisel Heise in der AlEsEadE von Kirchheimb­olanden (Rheinland-Pfalz): MiE 100 Jahren will sie in den SEadEraE einziehen – und den „Mief“aus dem RaEhaus verEreiben.

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