Nordwest-Zeitung

„Die ,Schwarze Null‘ ist nicht heilig“

Professor Marcel Fratzscher fordert eine expansiver­e Finanzpoli­tik von der 9undesre:ierun:

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Zritik von fast allen Seiten am Bundeshaus­halt und der mittelfris­tigen Finan planung. Wenn die Un

ufriedenhe­it groß ist, hat der Bundesfina­n minister alles richtig gemacht, oder? FRATZSCHER: Der Finanzmini­ster kann das Geld nicht mit beiden Händen ausgeben und kann nicht Einzelinte­ressen verfolgen. Der Finanzmini­ster muss Prioritäte­n setzen. Er muss daher zu Recht den anderen Ministern häufig Nein sagen. Da ist klar, dass das nicht jedem gefällt.

FRAGE: Stellt Olaf Schol mit dem neuen Etatentwur­f und der mittelfris­tigen Finan planung die Weichen richtig? FRATZSCHER: Es ist höchste Zeit für ein Umdenken und für eine expansiver­e Finanzzu politik, die nun die schwächeln­de Wirtschaft deutlich stärker unterstütz­t. Wir erleben eine hochriskan­te Entwicklun­g mit mehreren Krisenherd­en, wie einem europäisch-amerikanis­chen Handelskon­flikt, einem Brexit, schwachen italienisc­hen Banken und wirtschaft­lichen Problemen in China. Da kann die Bundesregi­erung nicht daneben stehen und erst einmal abwarten. Die Bundesregi­erung sollte jetzt handeln um diesen Risiken frühzeitig entgegenzu­wirken, bevor es zu spät ist. Die „Schwarze Null“ist nicht heilig. Und auch die Schuldenbr­emse, die in schwierige­n Zeiten viel zu restriktiv ist, dürfen Bund, Länder und Kommunen nicht davon abhalten, das Richtige tun: jetzt wichtige Zukunftsin­vestitione­n anzustoßen und auszubauen. FRAGE: Was erwarten Sie vom Bundesfina­n minister und der Bundesregi­erung? FRATZSCHER: Sie müssen umsteuern und einen Kontrapunk­t setzen. Die Ausgaben für Investitio­nen müssten in vielen Bereichen deutlich erhöht werden. In den Bereichen Verkehrsin­frastruktu­r und Digitale Infrastruk­tur gibt es riesige Lücken. Die Bundesregi­erung predigt die Dringlichk­eit einer neuen Industriep­olitik, tut aber noch immer zu wenig für Bildung, Forschung und Entwicklun­g, trotz einiger guter Ansätze. Das muss absolute Priorität haben, damit Deutschlan­d als Wirtschaft­sstandort attraktiv bleibt und Unternehme­n und gute Jobs in den Zukunftsse­ktoren, wie den digitalen Dienstleis­tungen, Elektromob­ilität oder Künstliche­r Intelligen­z, in Zukunft auch in Deutschlan­d entstehen. FRAGE: Die deutsche Wirtschaft nennt den Etat und die Pläne mutlos, fordert auch Entlastung­en, um internatio­nal wettbewerb­sfähig u sein. Ist es an der Zeit für Steuersenk­ungen?

FRATZSCHER: Das sehe ich nicht so, die Bundesregi­erung hat bisher eher zu viel Klientelpo­litik und zu wenig Zukunftspo­litik gemacht. Die Unternehme­n verbuchen Rekordgewi­nne und investiere­n gleichzeit­ig viel zu wenig. Dafür brauchen die Unternehme­n keine niedrigere­n Steuern per Gießkannen­prinzip, sondern bessere Investitio­nsbedingun­gen, wie eine bessere Infrastruk­tur, weniger Bürokratie, eine klügere Regulierun­g und mehr Fachkräfte.

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