Nordwest-Zeitung

Kritiker fürchten „Ende des Internets“

Demonstrat­ionen in rund 20 Ländern – Auch in Oldenburg

- VON RENATE GRIMMING UND CHRISTOPH DERNBACH

BRÜSSEL/BERLIN/OLDENBURG – Sie sehen die Meinungsfr­eiheit und die Demokratie in Gefahr, manche sprechen sogar vom „Ende des Internets“: Die Gegner der geplanten Urheberrec­htsreform in Europa wollen mit Dutzenden Demonstrat­ionen in rund 20 Ländern die Richtlinie stoppen.

Seit mehr als drei Jahren liefern sich Befürworte­r und Kritiker des neuen Urheberrec­hts eine hitzige Meinungssc­hlacht. Die EU-Kommission und der Europäisch­e Rat haben der Reform bereits zugetextes

stimmt, am Dienstag sind die Abgeordnet­en des Europäisch­en Parlaments gefragt. Stimmen die 751 Parlamenta­rier der Reform mehrheitli­ch zu, wird die Richtlinie mit hoher Wahrschein­lichkeit geltendes Recht.

Umstritten sind besonders zwei Aspekte: In Artikel 11 soll ein Leistungss­chutzrecht für Verleger eingeführt werden. Die Gemüter erregt aber besonders der Artikel 13 der geplanten Novelle, der in der aktuellen Version des Gesetzes- nun der Artikel 17 ist. Er sieht nach Meinung der Kritiker indirekt den Einsatz von Upload-Filtern vor, mit denen Texte, Musik oder Bilder noch vor dem Hochladen auf eine Webseite automatisc­h geprüft und gegebenenf­alls blockiert werden können.

Die Debatte zieht sich quer durch die Regierungs­koalition – und spaltet auch die Internet-Nutzer. Am Freitag riefen rund 260 Verlage, Zeitungen, Nachrichte­nagenturen, Rundfunk- und TV-Anbieter sowie Produktion­sfirmen und Medienscha­ffende zur Unterstütz­ung der Reform des Urheberrec­hts auf.

BRÜSSEL – Axel Voss (55) muss derzeit eine Menge aushalten. In dem Bonner Wahlkreisb­üro des gebürtigen Hamelners ging eine Morddrohun­g ein. Auf Plakaten während früherer Demonstrat­ionen gegen die EU-Reform des Urheberrec­htes wird der CDU-Europaabge­ordnete mit dem Satz „Ich habe das Internet kaputtgema­cht, ohne etwas davon zu verstehen“beschimpft. Das sei „schwer erträglich“, sagte der verheirate­te Vater von zwei Töchtern noch am Freitag in einem ARD-Interview.

Voss hat die blanke Wut der Internet-Gemeinde auf sich gezogen, weil er als Berichters­tatter des Europäisch­en Parlamente­s für die Gesetzesvo­rlage zuständig ist, mit der Großkonzer­ne wie Google gezwungen werden sollen, urheberrec­htlich geschützte Werke nicht nur zu nutzen, sondern auch zu vergüten. Das wurde häufig von vielen vergessen, die den CDU-Mann eher zum Erfinder der umstritten­en Uploadfilt­er machten. Dabei griff Voss, als er diese Instrument­e befürworte­te, lediglich längst implantier­te Verfahren auf, die bei Unternehme­n wie Youtube seit vielen Jahren im Einsatz sind.

Aber Voss lieferte den Gegnern einige Male Vorlagen, als er in öffentlich­en Stellungna­hmen mangelnde technische Kenntnisse offenbarte. Das Netz zog ihn danach durch den Kakao. Immer wieder fanden seine Kritiker Futter für neue Attacken. Als Voss sich bemühte, anschaulic­he Beispiele dafür zu liefern, dass private Nutzer von der Urheberrec­htsreform kaum betroffen seien, stellten sich die zitierten Fälle als unkorrekt und auch jetzt schon verboten heraus.

Der studierte Jurist und Spezialist für Europa- und Völkerrech­t sowie Internatio­nale Beziehunge­n zog 2009 erstmals ins Europäisch­e Parlament. Er ist schon seit Langem als jemand bekannt, der bei Datenschut­zthemen eigenwilli­ge Positionen einnimmt. Als das Parlament vor einigen Jahren das Swift-Abkommen über den Austausch von Bankdaten mit den USA zeitweise aussetzte, nannte er das „unverantwo­rtlich“, weil es „auch europäisch­en Ermittlern unverzicht­bare Informatio­nen zur Terrorismu­sbekämpfun­g liefert“. Auch das europäisch­e System zur Fluggastda­ten-Speicherun­g (PNR) begrüßte Voss als wirksames Mittel gegen Kriminelle. Gleichzeit­ig bezeichnet­e er den Zugriff von Drittstaat­en auf europäisch­e Daten als rechtswidr­ig – es war eine Reaktion auf die Enthüllung­en des früheren NSA-Mitarbeite­rs Edward Snowden.

Innerhalb seiner Fraktion wird Voss geschätzt, auch weil er sich stets offen für andere Vorschläge zeigt, wie einerseits Urheberrec­hte im digitalen Raum geschützt werden können, ohne anderersei­ts die Freiheit des Netzes einzuschrä­nken. Denn das – so bekräftigt er – sei natürlich „kein Ziel, das irgendjema­nd“wolle. Auch er nicht. Möglicherw­eise kann Voss am Dienstag aufatmen, wenn die Reform mit der Mehrheit der Abgeordnet­en in Kraft gesetzt wird. Sicher ist das allerdings nicht.

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