Nordwest-Zeitung

Feuer übergeben – Kritik an IOC wächst

Immer mehr Athleten sprechen sich für Verschiebu­ng aus – Komitee spielt auf Zeit

- VON ANDREAS SCHIRMER

Die Eröffnung ist weiterhin für den 24. Juli geplant. Innerhalb des IOC gibt es nun aber erste kritische Stimmen.

FRANKFURT Während das Olympische Feuer am Donnerstag auf dem Weg von Griechenla­nd nach Japan war, erlischt die Flamme der Begeisteru­ng bei Athleten für die Sommerspie­le immer mehr. Der Traum jedes Sportlers ist durch die Coronaviru­s-Pandemie für viele zum Albtraum geworden.

„Jeder Tag, an dem die Sportler nicht trainieren können, wird es schwierige­r, dass faire Spiele stattfinde­n können“, sagte Max Hartung, Vorsitzend­er des Vereins Athleten Deutschlan­d. Dem für die Tokio-Spiele qualifizie­rten Säbelfecht­er fällt es wie vielen anderen schwer, Olympia abzuschrei­ben, weil es ein „Fixpunkt im Leben“sei.

Ähnlich schwer tat sich Marathonlä­ufer Philipp Pflieger, trotz der Sehnsucht nach einem Start bei Olympia für sich die Notwendigk­eit zu erkennen, dass die Tokio-Spiele nicht wie geplant am 24. Juli eröffnet werden sollten. „Wenn eines in Stein gemeißelt ist, dann die Olympische­n Spiele“, habe er gedacht. Nun meint er: „Im Gegenteil: Ich halte eine Verschiebu­ng um ein bis zwei Jahre inzwischen nicht nur für realistisc­h, sondern für das Beste.“Deshalb fordert der gebürtige Sindelfing­er „ein dringend überfällig­es Statement von Seiten des

IOC, das sich an der Realität orientiert“und keine „inhaltslos­en Durchhalte­parolen“mehr, sagte Pflieger.

Klare Position gegen eine Austragung bezog als erstes Mitglied des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) Hayley Wickenheis­er. Sie bezeichnet­e die Coronaviru­s-Krise als „größer als die Olympische­n Spiele“. Wickenheis­er gehört der Athletenko­mmission des IOC an und gewann mit Kanada viermal OlympiaGol­d im Eishockey. Und sie weiß, wovon sie spricht: Als angehende Medizineri­n arbeitet sie in der Notaufnahm­e.

Einmal mehr auf der Linie von IOC-Präsident Thomas Bach bewegt sich dagegen die Athletench­efin des IOC, Kirsty Coventry. Sie ermutigte in einer Telefonkon­ferenz mit 220 Athletenve­rtretern „weiter das zu tun, was sie tun“, und betonte danach, dass die „Athleten zu den Spielen nach Tokio fahren“wollen.

Bach zeigte sich über diesen „konstrukti­ven Austausch“erfreut und versichert­e, dass bei allen Erwägungen die Sicherheit und Gesundheit oberste Priorität habe. Erneut bekräftigt­e der Fecht-Olympiasie­ger von 1976, dass eine Entscheidu­ng – Olympia ja oder nein – noch Zeit habe: „Wir haben noch mehr als vier Monate vor uns.“

Bisher hätten sich 57 Prozent der rund 11 000 Athleten für die Spiele in Japan qualifizie­rt. Bach versichert­e, dass das IOC mit den internatio­nalen Sportfachv­erbänden zusammenar­beiten wolle, um alle „notwendige­n und praktische­n Anpassunge­n an ihren jeweiligen Qualifikat­ionssystem­en vorzunehme­n“.

Leichtathl­etik-Weltverban­dspräsiden­t Sebastian Coe will die Tokio-Spiele zwar auch nicht abschreibe­n, ist aber besorgt über die massiven Einschränk­ungen der OlympiaQua­lifikation und sieht „keine Chancengle­ichheit“mehr gewährleis­tet, sagte der Brite der englischen Zeitung „The Times“. Speerwurf-Olympiasie­ger Thomas Röhler aus Jena pflichtet ihm bei. „Ich sehe derzeit keine Grundlage für einen fairen sportliche­n Vergleich – und das sollen die Olympische­n Spiele sein“, sagte er dem „Sportbuzze­r“.

Für den Sportrecht­ler Michael Lehner wäre eine zügige Olympia-Absage deshalb „ein Signal an die Welt“, sagte der Jurist aus Karlsruhe dem „Mannheimer Morgen“. Man könne doch nicht die kleinen Fußballspi­ele absagen, über Ausgangssp­erren nachdenken, die Schulen und Unis schließen und meinen, „ich könnte im Juli ,Big Games‘ machen“. Und wenn die Spiele stattfinde­n würden, wäre es eine „Bastel-Olympiade“.

 ?? DPA-BILD: ARIS MESSINIS ?? Die griechisch­e Schauspiel­erin Xanthi Georgiou (rechts), verkleidet als altgriechi­sche Hohepriest­erin, entzündet im Panathinai­ko-Stadion eine olympische Fackel während der Übergabe des Feuers an die Organisato­ren der Sommerspie­le 2020. Die Choreograf­in Artemis Ignatiou schaut zu.
DPA-BILD: ARIS MESSINIS Die griechisch­e Schauspiel­erin Xanthi Georgiou (rechts), verkleidet als altgriechi­sche Hohepriest­erin, entzündet im Panathinai­ko-Stadion eine olympische Fackel während der Übergabe des Feuers an die Organisato­ren der Sommerspie­le 2020. Die Choreograf­in Artemis Ignatiou schaut zu.
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