Drogenkartell überzieht Mexiko mit Gewalt
„Jalisco Neue Generation“breitet sich rasant aus – Ein Blick auf die kriminelle Unterwelt des Landes
Die Mitglieder der Gruppe gelten als besonders brutal. An den „Fronten“herrscht Ausnahmezustand. Auch vor Sicherheitskräften macht die Gruppe nicht Halt.
MEXIKO-STADT Ob in den Vororten der Hauptstadt, in der Touristenregion an der Karibik oder entlang der Grenze zu den USA: Das Drogenkartell „Jalisco Neue Generation“breitet sich mit rasanter Geschwindigkeit in ganz Mexiko aus. Die Mitglieder der Gruppe gelten als besonders brutal. Begleitet wird ihr Vormarsch von Videos und Drohungen über Soziale Medien. Manche Mexikaner haben längst resigniert und argumentieren, dass ein großes Kartell am Ende vielleicht besser sei als viele kleine Banden. Die Behörden hingegen warnen vor einer solchen Einschätzung.
„Es scheint, als würde die Gruppe ,Jalisco Neue Generation‘ überall alles übernehmen“, sagt ein Priester aus der westlichen Stadt Apatzingán. Aber nach seinem Eindruck lasse das Kartell normale Bürger in Ruhe und gehe „einfach nur seinem Drogengeschäft nach“– anders als bei den „Viagras“, die bisher seine Region terrorisierten. Diese hätten zuletzt eine Frau aus seiner Gemeinde entführt, vergewaltigt und getötet – obwohl von der Familie ein Lösegeld gezahlt worden sei, sagt der Geistliche.
Andere beurteilen die Entwicklung ähnlich – etwa ein Restaurant-Besitzer im zentral gelegenen Bundesstaat Guanajuato, in dem das Kartell die Bande „Santa Rosa de Lima“vertreiben will. „Durch die Anwesenheit von ,Jalisco‘ ist es ruhiger“, sagt der Mann, der ebenfalls anonym bleiben will. Mexiko vor einer Phase der Stabilität stehen würde, ist jedoch stark zu bezweifeln – im Gegenteil. Die Behörden in Guanajuato beobachten parallel zu Morden auf den Straßen eine groß angelegte Propaganda-Offensive der „Jaliscos“. „Mit dieser Propaganda wollen sie nicht nur Rivalen Angst einjagen, sondern der ganzen Bevölkerung“, sagt Sofia Huett, die leitende Sicherheitsbeamtin des Staates. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass in der Öffentlichkeit ein falsches Bild von diesen Kriminellen entstehe, betont sie. „Das endet immer böse.“
Das wahre Gesicht des Kartells zeigt sich dort, wo es besonders mächtig ist. In Guadalajara, der Hauptstadt des Bundesstaates Jalisco, wurden allein im vergangenen Jahr Hunderte Leichen gefunden. Die Toten lagen in Entwässerungskanälen oder waren in Gärten und Feldern begraben. Das Kartell ist zudem dafür beDass kannt, auch direkt gegen die Sicherheitskräfte vorzugehen. Im Oktober tötete die Gruppe bei einem Angriff im Bundesstaat Michoacán 14 Polizisten.
Das „Cártel de Jalisco Nueva Generación“setzt also auf maximale Gewalt. Trotzdem hält sich der mexikanische Staat seit dem Amtsantritt des linksgerichteten Präsidenten Andrés Manuel López Obrador im Jahr 2018 ganz bewusst deutlich zurück. „Der Einsatz von Gewalt ist nicht mehr die erste Option“, wurde am Freitag in einer Erklärung der Regierung betont.
An den „Fronten“herrscht dennoch Ausnahmezustand. Ein Beispiel dafür ist die an der Grenze zwischen Jalisco und Michoacán gelegene Stadt Tepalcatepec, die bisher zu den Hochburgen der „Viagras“gehört. Die wichtigste Zufahrtsstraße aus Richtung Jalisco ist mit großen Haufen aus Steinen blockiert. Alle Fahrzeuge müssen abbremsen und die
Barrikaden in einem Zickzackkurs umkurven. Ein Scharfschütze beobachtet die Straße von einem Haus auf einem Hügel aus – stets mit einem Finger am Abzug.
Etwas weiter südlich, in der Ortschaft El Terrero, ist das eine Ufer eines Flusses bereits unter Kontrolle der „Jaliscos“, während das andere noch in der Hand der Organisation ist, zu der die „Viagras“gehören. Wie sehr letztere ein weiteres Vordringen des neuen Kartells fürchten, zeigte sich im September: Um einen Überraschungsangriff der „Jaliscos“zu verhindern, stahlen sie ein halbes Dutzend Busse und Lastwagen und setzten sie auf den Brücken über den Fluss in Brand.
Wenn sich Mitglieder des „Jalisco“-Kartells in einer neuen Stadt einnisten, sorgen sie meist dafür, dass jeder schnell Bescheid weiß. Oft hängen sie Banner mit Drohungen an Brücken auf. Zugleich werden Videos in beliebten OnlinePortalen veröffentlicht. Darin heißt es dann, man sei gekommen, um „die Stadt aufzuräumen“. Im Hintergrund sind in der Regel einige Dutzend schwer bewaffnete Männer in Tarnkleidung zu sehen.
Angeführt wird das Kartell von Nemesio Oseguera, bekannt als „El Mencho“. Nach Einschätzung der Behörden haben dessen Leute mehrere wichtige Häfen des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Damit haben sie Zugang zu chemischen Ausgangsstoffen und gute Möglichkeiten, ihre Drogen zu exportieren. Auch entlang der Grenze zu den USA kontrolliert das Kartell inzwischen viele wichtige Schmuggelrouten. „Sie haben eine nahezu landesweite Präsenz“, sagt der mexikanische Sicherheitsexperte Alejandro Hope. Im Vergleich zu anderen kriminellen Gruppen hätten sie „eine stärker zentralisierte Entscheidungsstruktur“.