Nordwest-Zeitung

Drogenkart­ell überzieht Mexiko mit Gewalt

„Jalisco Neue Generation“breitet sich rasant aus – Ein Blick auf die kriminelle Unterwelt des Landes

- VON PETER ORSI

Die Mitglieder der Gruppe gelten als besonders brutal. An den „Fronten“herrscht Ausnahmezu­stand. Auch vor Sicherheit­skräften macht die Gruppe nicht Halt.

MEXIKO-STADT Ob in den Vororten der Hauptstadt, in der Touristenr­egion an der Karibik oder entlang der Grenze zu den USA: Das Drogenkart­ell „Jalisco Neue Generation“breitet sich mit rasanter Geschwindi­gkeit in ganz Mexiko aus. Die Mitglieder der Gruppe gelten als besonders brutal. Begleitet wird ihr Vormarsch von Videos und Drohungen über Soziale Medien. Manche Mexikaner haben längst resigniert und argumentie­ren, dass ein großes Kartell am Ende vielleicht besser sei als viele kleine Banden. Die Behörden hingegen warnen vor einer solchen Einschätzu­ng.

„Es scheint, als würde die Gruppe ,Jalisco Neue Generation‘ überall alles übernehmen“, sagt ein Priester aus der westlichen Stadt Apatzingán. Aber nach seinem Eindruck lasse das Kartell normale Bürger in Ruhe und gehe „einfach nur seinem Drogengesc­häft nach“– anders als bei den „Viagras“, die bisher seine Region terrorisie­rten. Diese hätten zuletzt eine Frau aus seiner Gemeinde entführt, vergewalti­gt und getötet – obwohl von der Familie ein Lösegeld gezahlt worden sei, sagt der Geistliche.

Andere beurteilen die Entwicklun­g ähnlich – etwa ein Restaurant-Besitzer im zentral gelegenen Bundesstaa­t Guanajuato, in dem das Kartell die Bande „Santa Rosa de Lima“vertreiben will. „Durch die Anwesenhei­t von ,Jalisco‘ ist es ruhiger“, sagt der Mann, der ebenfalls anonym bleiben will. Mexiko vor einer Phase der Stabilität stehen würde, ist jedoch stark zu bezweifeln – im Gegenteil. Die Behörden in Guanajuato beobachten parallel zu Morden auf den Straßen eine groß angelegte Propaganda-Offensive der „Jaliscos“. „Mit dieser Propaganda wollen sie nicht nur Rivalen Angst einjagen, sondern der ganzen Bevölkerun­g“, sagt Sofia Huett, die leitende Sicherheit­sbeamtin des Staates. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass in der Öffentlich­keit ein falsches Bild von diesen Kriminelle­n entstehe, betont sie. „Das endet immer böse.“

Das wahre Gesicht des Kartells zeigt sich dort, wo es besonders mächtig ist. In Guadalajar­a, der Hauptstadt des Bundesstaa­tes Jalisco, wurden allein im vergangene­n Jahr Hunderte Leichen gefunden. Die Toten lagen in Entwässeru­ngskanälen oder waren in Gärten und Feldern begraben. Das Kartell ist zudem dafür beDass kannt, auch direkt gegen die Sicherheit­skräfte vorzugehen. Im Oktober tötete die Gruppe bei einem Angriff im Bundesstaa­t Michoacán 14 Polizisten.

Das „Cártel de Jalisco Nueva Generación“setzt also auf maximale Gewalt. Trotzdem hält sich der mexikanisc­he Staat seit dem Amtsantrit­t des linksgeric­hteten Präsidente­n Andrés Manuel López Obrador im Jahr 2018 ganz bewusst deutlich zurück. „Der Einsatz von Gewalt ist nicht mehr die erste Option“, wurde am Freitag in einer Erklärung der Regierung betont.

An den „Fronten“herrscht dennoch Ausnahmezu­stand. Ein Beispiel dafür ist die an der Grenze zwischen Jalisco und Michoacán gelegene Stadt Tepalcatep­ec, die bisher zu den Hochburgen der „Viagras“gehört. Die wichtigste Zufahrtsst­raße aus Richtung Jalisco ist mit großen Haufen aus Steinen blockiert. Alle Fahrzeuge müssen abbremsen und die

Barrikaden in einem Zickzackku­rs umkurven. Ein Scharfschü­tze beobachtet die Straße von einem Haus auf einem Hügel aus – stets mit einem Finger am Abzug.

Etwas weiter südlich, in der Ortschaft El Terrero, ist das eine Ufer eines Flusses bereits unter Kontrolle der „Jaliscos“, während das andere noch in der Hand der Organisati­on ist, zu der die „Viagras“gehören. Wie sehr letztere ein weiteres Vordringen des neuen Kartells fürchten, zeigte sich im September: Um einen Überraschu­ngsangriff der „Jaliscos“zu verhindern, stahlen sie ein halbes Dutzend Busse und Lastwagen und setzten sie auf den Brücken über den Fluss in Brand.

Wenn sich Mitglieder des „Jalisco“-Kartells in einer neuen Stadt einnisten, sorgen sie meist dafür, dass jeder schnell Bescheid weiß. Oft hängen sie Banner mit Drohungen an Brücken auf. Zugleich werden Videos in beliebten OnlinePort­alen veröffentl­icht. Darin heißt es dann, man sei gekommen, um „die Stadt aufzuräume­n“. Im Hintergrun­d sind in der Regel einige Dutzend schwer bewaffnete Männer in Tarnkleidu­ng zu sehen.

Angeführt wird das Kartell von Nemesio Oseguera, bekannt als „El Mencho“. Nach Einschätzu­ng der Behörden haben dessen Leute mehrere wichtige Häfen des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Damit haben sie Zugang zu chemischen Ausgangsst­offen und gute Möglichkei­ten, ihre Drogen zu exportiere­n. Auch entlang der Grenze zu den USA kontrollie­rt das Kartell inzwischen viele wichtige Schmuggelr­outen. „Sie haben eine nahezu landesweit­e Präsenz“, sagt der mexikanisc­he Sicherheit­sexperte Alejandro Hope. Im Vergleich zu anderen kriminelle­n Gruppen hätten sie „eine stärker zentralisi­erte Entscheidu­ngsstruktu­r“.

 ?? AP-BILD: RICHARD VOGEL ?? Kampf gegen das Kartell: Bewaffnete Agenten der US-Strafverfo­lgungsbehö­rde „Drug Enforcemen­t Administra­tion“(DEA) durchsuche­n während einer Razzia nahe der mexikanisc­hen Grenze das Haus eines Drogenschm­ugglers.
AP-BILD: RICHARD VOGEL Kampf gegen das Kartell: Bewaffnete Agenten der US-Strafverfo­lgungsbehö­rde „Drug Enforcemen­t Administra­tion“(DEA) durchsuche­n während einer Razzia nahe der mexikanisc­hen Grenze das Haus eines Drogenschm­ugglers.
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AP-BILD: VOGEL Suche nach Drogen: Eine Beamtin mit Spürhund geht während einer Razzia in ein Haus.
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AP-BILD: UGARTE Um einen Angriff der „Jaliscos“zu verhindern, setzte die Gruppe „Viagras“Busse auf Brücken in Brand.

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