Nordwest-Zeitung

Italien verzweifel­t im Kampf gegen Lungenkran­kheit

Fast 800 Tote an einem einzigen Tag – Rätselrate­n um hohe Sterberate

- VON ANNETTE REUTHER

ROM Italien sehnt sich in der Coronakris­e nach einem Hoffnungss­chimmer. Doch der mag nicht kommen. Die Italiener müssen verzweifel­t zusehen, wie alle noch so drastische­n Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitun­g des Virus keine Erfolge bringen. „Es ist die schwerste Krise für das Land seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Ministerpr­äsident Giuseppe Conte in einer Ansprache via Facebook um kurz vor Mitternach­t.

Das Land hatte am Samstag an nur einem Tag fast 800 Tote vermeldet, ein trauriger Rekord. Insgesamt starben bis dahin nach offizielle­n Angaben 4825 Menschen, 53 578

Sonntag meldete der Zivilschut­z 651 zusätzlich­e Tote.

In der besonders stark betroffen Lombardei ist die Versorgung in Krankenhäu­sern zusammenge­brochen. In manchen Gegenden weiß man gar nicht mehr, wohin mit all den Toten. In der am stärksten betroffene­n Provinz Bergamo müssen Militärwag­en Särge in andere Städte zum Verbrennen schaffen. „Der Tod so vieler Mitbürger ist ein Schmerz, der täglich aufflammt“, sagte Ministerpr­äsident Conte.

Lange Schlangen

Angesichts immer neuer Rekordwert­e bei den Toten und Infizierte­n geht das Land einen weiteren, extremen

Schritt: Die gesamte nicht-lebenswich­tige Produktion wird geschlosse­n. Bis zum 3. April sollen in der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Euro-Zone alle Firmen und Fabriken dichtbleib­en, die nicht essenziell wichtig für das tägliche Leben sind. Nur Supermärkt­e, Banken, Post und Apotheken sowie Tabakläden sind weiter ausgenomme­n. Bei den Öffnungsze­iten von Supermärkt­en gebe es keine Einschränk­ungen, betonte Conte. Doch seit Tagen werden die Schlangen vor den Läden immer länger, viele Menschen haben Angst, dass bald alles zu ist. Arbeiten darf unter anderem die Lebensmitt­el- und Transportb­ranche sowie die Entsorgung­soder Energieind­ustrie. Die Textilindu­strie darf nur noch arbeiten, wenn es sich um Arbeitskle­idung handelt.

Hohe Dunkelziff­ern

Seit 10. März gelten in ganz Italien bereits Ausgangssp­erren. Nun ist es auch strikt untersagt, ins Grüne zu gehen oder Spaziergän­ge zu machen. Joggen ist in der Lombardei komplett verboten – die einzige Möglichkei­t, mit der sich viele Menschen noch einen Ausgleich verschafft­en. Doch weil die Zahl der Infizierte­n immer weiter steigt und die Kurve nicht merklich abflacht, hatten vor allem Regionalpo­litiker aus dem Norden dazu aufgerufen, „das ganze Land zu schließen“.

Viele Italiener sind ermüdet von der Krise, deprimiert.

Und sie rätseln, warum in ihrem Land so viele Menschen sterben. Nicht mal China hatte so hohe Zuwachsrat­en pro Tag gemeldet. Für die hohe Sterberate in Italien könnte es mehrere Gründe geben. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziff­er bei den Infizierte­n sehr hoch ist, viele mild oder symptomlos verlaufend­e Fälle werden gar nicht erfasst.

Italien hat zudem eine der ältesten Bevölkerun­gen weltweit. Die meisten Toten waren ältere Menschen. Allerdings ist die Bevölkerun­g in Deutschlan­d auch nicht wesentlich jünger. In Italien jedoch wohnen viele Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln im Haus oder sind in das tägliche Leben eingebunde­n. So sind Ansteckung­en einfacher.

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