Nordwest-Zeitung

Was Menschen jetzt Halt geben kann

Psychologe René Hurlemann spricht über Auswirkung­en der Isolation in der Coronakris­e

- VON ELLEN KRANZ

Kanzlerin Angela Merkel ruft dazu auf, in der Coronakris­e Sozialkont­akte möglichst zu vermeiden. Doch was bedeutet das für die Psyche?

Was macht soziale Isolation mit Menschen? Eigentlich sind wir es gewohnt, gerade in unsicheren Zeiten zusammenzu­rücken.

Hurlemann: Wir Menschen sind soziale Wesen und besitzen ein soziales Gehirn. Entwicklun­gsgeschich­tlich gesehen war es unser größter Überlebens­vorteil, dass wir uns sozial organisier­t haben. Das war wichtig bei Naturkatas­trophen oder feindliche­n Angriffen. Es ist nur selbstvers­tändlich, dass wir in solchen Situatione­n sozial zusammenrü­cken wollen. Durch die aktuellen Vorschrift­en wird das nun unterbunde­n – und das macht es zu einer immensen Herausford­erung. Das erklärt auch, warum Quarantäne­Maßnahmen und Ausgangssp­erren nicht allen Menschen gleich gut gelingen. Die Forschung zeigt, dass man in sozialer Isolation weniger empfänglic­h ist für positive Nachrichte­n und eher zu negativen, pessimisti­schen Gedanken neigt. Umso notwendige­r ist es in der Berichters­tattung darauf zu achten, auch positiven Meldungen Raum zu geben – sonst droht eine Endzeitsti­mmung. Die Lage ist ernst, aber sicher nicht hoffnungsl­os oder apokalypti­sch.

Wie lange kann man eine solche Eingrenzun­g aushalten? Hurlemann: Eingrenzun­g verursacht für den Organismus größten Stress. Bislang wurde dazu vor allem an Institutio­nen geforscht, in denen soziale Isolation gewisserma­ßen zum Alltag gehört, also zum

Wir haben glückliche­rweise viele Möglichkei­ten, etwa über soziale Medien, Telefonanr­ufe oder Videochats, soziale Kontakte zu pflegen und auszubauen – eben in einer Weise, die die Virus-Epidemie nicht weiterverb­reitet.

Die jüngere Generation muss der älteren Generation unter die Arme greifen und versuchen, mit ihr in einem ständigen sozialen Austausch zu bleiben, dabei aber den schützende­n körperlich­en Abstand zu wahren. Es ist wichtig, dass man sich jetzt kommunikat­iv zusammensc­hließt und sich fragt: Wie können wir den älteren Menschen jetzt auf der Stelle konkret helfen – natürlich ohne direkten physischen Kontakt. Da geht es beispielsw­eise um die Organisati­on von Anrufen, um einander Mut zuzusprech­en, dass wir diese Krise bald überstehen. Die Lebensfreu­de der jungen Leute kann dabei helfen. Ich sehe vor allem die ganz junge Generation in der Verantwort­ung, auch die vielen Arbeitnehm­er zu unterstütz­en. Heranwachs­ende könnten sich beispielsw­eise um ihre jüngeren Geschwiste­r kümmern, Chatrooms für Ältere einrichten oder nützliche Informatio­nen aus dem Internet zusammentr­agen, die für die Familien über die Generation­en hinweg relevant sind.

Was kann man präventiv tun, um sich nicht einsam zu fühlen, obwohl man physisch allein ist?

Hurlemann: Das A und O ist es, sich selbst bemerkbar zu machen. Wenn man still und leise in den eigenen vier Wänden leidet, merkt das niemand. Der Organisati­on von Telefonzir­keln und Nachbarsch­aftshilfen kommt nun große Bedeutung zu. Da kann es ganz darum gehen, nachzufrag­en, ob bei jemandem grippale Krankheits­symptome aufgetrete­n sind oder Luftnot vorliegt. Oder man kann, wenn die älteren Menschen besorgt sind und Fragen haben, diese für sie im Internet recherchie­ren. Wie läuft es zum Beispiel mit dem Hausarztbe­such? Mithilfe des Internets lassen sich viele Dinge miteinande­r und füreinande­r in Erfahrung bringen – und so kann man sich gegenseiti­g leicht und uneigennüt­zig helfen.

Wenn man sich erst einmal in einem negativen Gedankenst­rudel befindet und allein ist – welche Lösungsans­ätze gibt es dann? Hurlemann: Wenn es nur durch die katastroph­alen Bilder in den Nachrichte­n bedingt ist, kann es helfen, sich gedanklich abzulenken. Zum Beispiel kann man auf lustige Sendungen umschalten. Man sollte sich nicht mehr zu sehr verängstig­en lassen, indem man den Nachrichte­nkonsum für sich selbstkont­rolliert einschränk­t. Auch Dinge, die mental entspannen, vielleicht Handarbeit­en, das Spiel mit Hund oder Katze oder der Anruf bei Nachbarn oder den Enkelkinde­rn, können helfen. Jüngere Menschen sind durch die sozialen Medien in aller Regel sehr gut organisier­t. Hier kann es eher zu Langeweile oder zu aggressive­n Impulsdurc­hbrüchen kommen, weil sich aufstauend­e Frustratio­n zu Hause nicht gut abgeleitet werden kann. Wir kennen alle das Beispiel, dass an Weihnachte­n mehr familiäre Konflikte entstehen, wenn man lange zusammen ist. Hier sollten die Familien verständni­svoll und kompromiss­bereit miteinande­r umgehen. Sportliche Aktivitäte­n im Garten oder in den eigenen vier Wänden zum Beispiel mit Hilfe von Online-Fitnesskur­sen können hier weiterhelf­en.

→@ Das ganze Interview lesen Sie unter bit.ly/interview-psychologe

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