DIREKTOR AN DER KARL-JASPERS-KLINIK
Beispiel in Gefängnissen. Auch Menschen, die sich in medizinisch indizierter Quarantäne befunden haben, hat man untersucht. Aus dieser Forschung weiß man, dass sogar aus einem mental gesunden Zustand heraus schon wenige Tage bis Wochen der Isolation stressbedingt schwere psychische Schäden auslösen können. Depressive Syndrome bis hin zu Suizidalität, ein Realitätsverlust im Rahmen psychotischer Reaktionen oder Angst- und posttraumatische Belastungsstörungen sind mögliche Folgen, letztere mitunter auch erst Jahre später. Ob man psychisch erkrankt, hängt sehr von der eigenen mentalen und körperlichen Widerstandskraft ab, die sogenannte Resilienz. Sie ist entscheidend dafür, über welche Dauer Isolationsstress vom Organismus toleriert werden kann, ohne dass Akutzeichen oder Spätfolgen zu befürchten sind.
Welche Menschen sind besonders gefährdet, nun in eine depressive Stimmung abzudriften?
Hurlemann: Besonders gefährdet sind leider die Menschen, die auch von dem Virus besonders gefährdet sind, also vor allem ältere Menschen. Sie haben häufig, zum Beispiel aufgrund geringerer Mobilität im Alltag, nicht mehr so viele
Professor Dr. Dr. René Hurlemann
Sozialkontakte und sind zudem auch in den sozialen Medien nicht aktiv, einfach weil sie den Umgang damit nie erlernt haben oder krankheitsbedingt nicht mehr dazu in der Lage sind. Sie sind also gleich in mehrfacher Hinsicht bedroht – einmal durch die Infektion
selbst und zusätzlich dadurch, dass sie aufgrund fehlender Unterstützung und der Angst sich zu infizieren immer weiter in die soziale Isolation rutschen. Alte Menschen sind also gerade in diesen Zeiten ganz besonders hilfsbedürftig. Ihre Lage ist besonders prekär und wir dürfen nicht wegsehen.
Was kann man jetzt tun? Hurlemann: Es ist jetzt von größter Bedeutung, miteinander zu sprechen. Das Motto dieser Tage heißt soziale Distanz. Für mich ist das ein Unwort, das auf ein Missverständnis zurückgeht: Es geht vielmehr um körperlichen Abstand als um soziale Distanz.